Schäden kommen ans Tageslicht
20.03.2025 Baselbiet, Baselbiet, Gemeinden, Gesellschaft, Zeglingen, Gesundheit, LandwirtschaftDie Blauzungenkrankheit führt zu behinderten Kälbern
Landwirte warten immer noch auf Entschädigungen für ihre am Virus verendeten Tiere. Neben hohen Milcheinbussen und fehlendem Nachwuchs in den Ställen bereitet ihnen eine mögliche neue Infektionswelle durch steigende Temperaturen Sorgen.
Nikolaos Schär
Seit Monaten warten die Baselbieter Landwirtinnen und Landwirte auf die Entschädigung der Tierseuchenkasse für Rinder und Schafe, die an der Blauzungenkrankheit gestorben sind oder getötet werden mussten. Das Virus wurde im vergangenen August erstmals in der Schweiz nachgewiesen und verbreitete sich über Gnitzen (Stechmücken) vom Jura bis in die Ostschweiz und die Genferseeregion. Im Baselbiet wurde der Erreger in 170 Tierhaltungen nachgewiesen, wo er vor allem bei Schafen, aber auch bei Rindern schwere Krankheitsverläufe, Aborte, Milchleistungsrückgänge und auch Todesfälle verursachte.
Die Dunkelziffer dürfte hoch sein, sagt Marc Schär (26) vom Weidhof in Ormalingen, der 55 Milchkühe besitzt und den Betrieb zusammen mit seinem Vater führt: Denn bisher habe es für die Bäuerinnen und Bauern wenig Anreiz gegeben, ihre Tiere zu testen. Bei positiven Testergebnissen wurden die Betriebe bisher gesperrt. Betriebe, die Mastkälber halten, durften ihre Tiere nicht mehr verkaufen. Schär ist überzeugt, dass dies viele Bauern davon abgehalten hat, ihre Tiere testen zu lassen, denn: «Bei uns in der Region hat das Virus sicher in mehr Betrieben Tiere befallen, als gesperrt wurden», sagt Schär.
Zwar würden positiv getestete Betriebe künftig nicht mehr gesperrt, schreibt der Bauernverband beider Basel in einem Informationsblatt. Doch die unterlassenen Tests dürften sich für die Landwirte noch rächen. Denn die Tierseuchenkasse entschädigt die Bauern nur für Tiere, bei denen das Virus nachgewiesen werden konnte.
Auf Anfrage der «Volksstimme» schreibt das kantonale Amt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (ALV), dass der Entschädigungsprozess aufwendig sei und sich auch aufgrund der hohen Anzahl gemeldeter Fälle verzögere. Jedes Tier müsse einzeln von einem Schätzungsexperten bewertet werden. Bisher wurden dem ALV 250 Fälle gemeldet. Mit den Auszahlungen sei bereits begonnen worden, schreibt der Kanton.
SVP-Landrat und Landwirt Markus Graf aus Maisprach sagt: «Wir stecken in der Zwickmühle und sind vielleicht auch ein bisschen selber schuld.» Er hat kürzlich im Parlament einen Vorstoss eingereicht, um einerseits vom Kanton Zahlen über die wirtschaftlichen Einbussen zu erhalten und andererseits, wie er sagt, den Druck auf den Bund zu erhöhen. Obwohl die Wirksamkeit von Impfstoffen gegen die Blauzungenkrankheit bereits zu Beginn des Ausbruchs in der Schweiz erwiesen war, habe der Bund zu spät reagiert, so Graf.
Obwohl die Zulassungsbehörde «Swissmedic» die nicht ordnungsgemäss zugelassenen Impfstoffe als Sicherheitsrisiko beurteilte, verfügte das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) auf Druck des eidgenössischen Parlaments im vergangenen Oktober deren Einsatz.
Zu spät, meint Graf: «Die wahren Schäden kommen erst jetzt ans Tageslicht. Aus der Landwirtschaft häufen sich die Meldungen, dass nicht lebensfähige Kälber geboren werden.» Auch Marc Schär muss derzeit eines versorgen: «Es hat Probleme mit der Lunge, ist sehbehindert und hat immer wieder Anfälle.» Seit zwei Monaten müsse das Kalb mit der Flasche gesäugt werden, was normalerweise nach einer Woche nicht mehr nötig sei. Der Aufwand sei enorm, ganz zu schweigen von den Behandlungskosten, die stark steigen. «Die kranken Tiere schlagen auf die Psyche», sagt Graf. Aufgrund der ständigen Rückschläge vergehe die Leidenschaft, mit den Tieren zu arbeiten.
Nächste Welle rollt bereits an
Wie viele behinderte Kälber bereits geboren wurden, kann das ALV nicht sagen, da sie als «Folgekosten» gemäss Tierseuchenverordnung nicht entschädigungsberechtigt seien und deshalb nicht erfasst werden. Die Dunkelziffer sei auch hier sehr hoch, sagt Landrat Graf. Er vermutet, dass sie im vierstelligen Bereich liegen könnte. Für die Betriebe bedeuten die fehlenden Kälber, dass weniger Milchkühe nachgezogen und Mastkälber verkauft werden können. Schär hat bereits zwei Kühe durch den Virus verloren und schätzt den aktuellen Unterbestand seiner Herde auf 5 Prozent.
Auch geben die Kühe wegen des Virus nach der Geburt weniger Milch, was zu Milcheinbussen von bis zu 50 Prozent führe, sagt Schär. Dann sei es schwierig, die Kühe wieder trächtig zu bekommen. Gelinge dies nicht, müssten diese Tiere gezwungenermassen geschlachtet werden: «Kühe mit weniger als zehn Litern Milch sind nicht mehr wirtschaftlich.» Für Schär ist klar: Um die hohe Dunkelziffer zu senken, muss der Bund mehr Anreize schaffen, damit flächendeckend getestet wird. Es brauche eine breitere Unterstützung, die neben dem Verzicht auf Sperren und der Finanzierung der Impfung auch die Entschädigung für nicht lebensfähige Kälber umfasse.
Obwohl Schär von 20 bis 25 Prozent an Milcheinbussen ausgeht, schreibt die Genossenschaft «mooh», die grösste Milchabnehmerin im Kanton, auf Anfrage: «Bis jetzt ist kein markanter Mengenrückgang im Kanton Baselland feststellbar gewesen.» Sie verweist aber auf die unsichere Situation im kommenden Sommer.
Auch wenn die Überträgermücken in den Ställen überwintern und weiterhin Tiere infizieren können, ist ihre Aktivität aufgrund der tiefen Temperaturen eingeschränkt. Bei höheren Temperaturen nimmt die Aktivität der Gnitzen jedoch wieder zu. Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen empfiehlt allen Landwirtinnen und Landwirten, ihre Tiere zu impfen. Denn dies ist zurzeit die einzige wirksame Massnahme gegen schwere Krankheitsverläufe. Bisher mussten die Landwirte die Impfkosten selber tragen. Der Bund stellt nun ab kommendem Herbst 10 Millionen Franken in Aussicht, die für bereits durchgeführte Impfungen ausbezahlt werden.
Auch für Betriebe, die bereits von der Blauzungenkrankheit betroffen waren, besteht weiterhin ein hohes Risiko. Das BLV schreibt in seiner Impfempfehlung, dass der Anteil natürlich infizierter Tiere in einer Herde oft relativ gering sei. Untersuchungen aus Deutschland und den Niederlanden zeigen, dass nur etwa 30 Prozent der Tiere aus betroffenen Herden Antikörper aufweisen. Wie stark der zu erwartende Ausbruch in diesem Frühling sein wird, bleibt unklar.