«Gesetz ist Türöffner für Sanierungs pflichten» – «Das ist Angstmacherei»
24.05.2024 Baselbiet, Baselbiet, Politik, AbstimmungenStreitgespräch über das neue Energiegesetz mit Gegner Peter Riebli (SVP) und Befürworter Manuel Ballmer (GLP)
Am 9. Juni stimmt das Baselbiet über das vom Landrat revidierte Energiegesetz ab, das primär Ziele für die Baselbieter Klimaneutralität bis 2050 vorgibt. Die «Volksstimme» hat im Vorfeld des Urnengangs zwei Landräte zum Streitgespräch getroffen: Gegner Peter Riebli (SVP) und Berfürworter Manuel Ballmer (GLP).
Janis Erne
Herr Ballmer, wie beurteilen Sie es, dass die Energiegesetz-Gegner mit dem Dekret Abstimmungskampf betreiben?
Manuel Ballmer: Die Vermischung von Gesetz und Dekret ist der Stimmbevölkerung gegenüber nicht fair. Damit verwirrt das Nein-Komitee die Leute bewusst. Denn das vom Landrat überarbeitete Dekret tritt am 1. Oktober auch bei einem Volks-Nein zum neuen Energiegesetz in Kraft. Das Verbot neuer Öl- und Gasheizungen sowie die Solarpflicht für Neubauten ab 2026 werden also ohnehin eingeführt.
Herr Riebli, was sagen Sie zum Vorwurf, dass Ihr Komitee die Stimmbevölkerung absichtlich verwirre?
Peter Riebli: Das Gesetz und das Dekret wurden im ganzen Gesetzgebungsprozess immer als Paket behandelt. Falls das Gesetz vom Stimmvolk abgelehnt wird, können wir uns deshalb nicht vorstellen, dass das Dekret in Kraft treten soll. Und falls doch, werden wir uns wehren.
Weshalb?
Riebli: Wir sind der klaren Auffassung, dass das geltende Energiegesetz von 2017 als Grundlage für das überarbeitete Dekret nicht genügt. Deshalb haben wir Beschwerde am Kantonsgericht eingereicht.
Ballmer: 2016 hat ein bürgerlicher Landrat entschieden, energiepolitische Massnahmen in einem Dekret und nicht im Gesetz festzuschreiben. Das, was die SVP jetzt beklagt, hat sie vor acht Jahren also selbst mitaufgegleist. Im laufenden Abstimmungskampf betreibt die SVP Oppositionspolitik, die nur ihr selbst dient, nicht aber der Bevölkerung. Wie bei der Abstimmung über die Deponieabgabe im vergangenen Herbst sind auch jetzt alle anderen Parteien für die Vorlage. Sogar die FDP unterstützt das äusserst moderate Energiegesetz.
Manuel Ballmer bezeichnet das Gesetz als moderat. Demgegenüber spricht Markus Meier, SVP-Landrat und Mitglied des Nein-Komitees, von einem der schärfsten Energiegesetze in der. Wo liegt die Wahrheit, Herr Riebli?
Riebli: Zuerst kurz zum Vorwurf, die SVP würde Oppositionspolitik um der Opposition willen betreiben: Das stimmt nicht. Wir haben von Anfang an gesagt, dass wir das neue Energiegesetz bekämpfen werden, wenn im parlamentarischen Prozess rote Linien überschritten werden. Abgesehen davon ist das neue Gesetz überflüssig. Denn das bestehende Gesetz mit dem Anreizsystem des Baselbieter Energiepakets hat uns in Sachen minimiertem CO2-Ausstoss und Energieverbrauch pro Kopf an die Spitze der Kantonsranglisten gebracht. Nun zur Frage: Das neue Energiegesetz mag vordergründig moderat sein, doch das dazugehörige Dekret schmerzt die Hauseigentümer und die Mieter dafür umso mehr.
Über das Dekret wird am 9. Juni nicht abgestimmt. Sprechen wir deshalb über das Gesetz und seine Inhalte. Vorgesehen ist der Zielwert, dass der Heizwärmebedarf für bestehende Bauten bis 2050 auf durchschnittlich 40 Kilowattstunden pro Quadratmeter Wohnfläche und Jahr gesenkt werden soll.
Riebli: Richtig. Die Häuser im Baselbiet müssen damit Minergie-P-Standard erfüllen, der nur knapp unter diesen 40 Kilowattstunden liegt.
Verschiedene Quellen, zum Beispiel das Bundesamt für Energie, sprechen davon, dass der Minergie-P-Standard deutlich tiefer liegt, zwischen 10 und
30 Kilowattstunden.
Riebli: Das trifft längst nicht auf alle Gebäude zu. Ich habe mein eigenes Haus auf Minergie-P-Standard renovieren lassen und komme jetzt in etwa auf 40 Kilowattstunden. Fakt ist: Im Baselbiet gibt es sehr viele ältere Liegenschaften, die einen Heizwärmebedarf von 180 bis 200 Kilowattstunden aufweisen. Um bis 2050 im Kantonsdurchschnitt auf 40 Kilowattstunden zu kommen, müssen in den nächsten Jahren unzählige Häuser saniert werden, was einerseits die Eigentümer sehr teuer zu stehen kommt und andererseits aus Kapazitätsgründen schlicht nicht möglich ist.
Eine Sanierungspflicht für Hauseigentümer begründet der Zielwert von 40 Kilowattstunden im neuen Energiegesetz nicht. Das sagt sogar der Regierungsrat. Riebli: Der genannte Passus ist aber ein Türöffner für Sanierungspflichten. Wird das neue Energiegesetz vom Volk angenommen, werden in den kommenden Jahren unweigerlich Auflagen vom Staat kommen, dass bestimmte Häuser energetisch saniert werden müssen.
Ballmer: Von solchen Auflagen ist zurzeit nirgends die Rede. Ausserdem könnte der Staat solche Regelungen nicht einfach so einführen; sie müssten vom Landrat beschlossen und allenfalls vom Volk bestätigt werden. Und noch etwas.
Bitte.
Ballmer: Das Nein-Lager tut so, als wäre besagter Zielwert etwas Neues. Doch die Wahrheit ist, dass die 40 Kilowattstunden seit 1991 im Energiegesetz festgeschrieben sind.
Riebli: Auch das stimmt nicht. Im aktuellen Energiegesetz, das seit 2017 gilt, bezieht sich der Zielwert lediglich auf den «nicht erneuerbaren» Heizwärmebedarf. Im neuen Energiegesetz, über das wir abstimmen, ist die Formulierung «nicht erneuerbar» gestrichen. Das macht einen grossen Unterschied.
Ballmer: Nein, macht es nicht. Die Formulierung «nicht erneuerbar» wurde aus dem einfachen Grund gestrichen, weil 2050 gar nicht mehr mit fossilen Energieträgern geheizt werden darf. Das Nein-Lager stürzt sich nur deshalb auf diesen Zielwert, weil er die einzige Möglichkeit bietet, um ein Schreckensmärchen zu erzählen. Das Wort «durchschnittlich» wird dabei bewusst ignoriert und es wird fälschlicherweise eine Sanierungspflicht für den einzelnen Hauseigentümer suggeriert. Das ist reine Angstmacherei. Nochmals: Die 40 Kilowattstunden sind ein Zielwert.
Riebli: Wenn solche Absenkpfade in einem Gesetz festgeschrieben sind, müssen wir sie auch umsetzen. Früher oder später werden also Massnahmen in Form von Sanierungspflichten ergriffen, die der Bevölkerung finanziell sehr wehtun. Von mir aus können wir solche Zielwerte gerne in eine Strategie schreiben, nicht aber in ein verbindliches Gesetz.
Peter Riebli ist überzeugt, dass viele Baselbieterinnen und Baselbieter früher oder später ihr Haus sanieren müssen, sodass der Zielwert im Kantonsdurchschnitt erreicht werden kann. Wie sehen Sie das, Herr Ballmer?
Ballmer: Die Leute sanieren ihre Häuser auch ohne Pflicht. Mit dem Baselbieter Energiepaket und seinen Fördergeldern unterstützt der Kanton sie dabei. Für mich ist klar: Mit den freiwilligen Sanierungen und den Neubauten, die in den nächsten 26 Jahren realisiert werden, kann der Heizwärmebedarf bis 2050 im Durchschnitt auf 40 Kilowattstunden gesenkt werden – auch wenn das, zugegebenermassen, eine ambitionierte Zielsetzung ist.
Riebli:Wie schon vorhin erklärt, ist diese Zielsetzung nicht ambitioniert, sondern unrealistisch. Es gibt schlichtweg zu viele ältere Häuser. Zudem muss ich in diesem Zusammenhang nochmals auf das Dekret zu sprechen kommen.
Aber nur kurz, bitte.
Riebli: Ab 2026 sollen neue Öl- und Gasheizungen verboten werden. Doch was passiert, wenn meine Ölheizung zu Beginn des Winters kaputt geht und ich aufgrund von Lieferschwierigkeiten ein halbes Jahr auf eine Wärmepumpe warten muss? Muss ich dann frieren, bis es Frühling ist? Und: Wer bestimmt, ob ich als Härtefall gelte und weiterhin eine fossile Heizung einbauen darf? Der Staat, Gerichte? Es gibt schlichtweg zu viele ungeklärte Fragen.
Herr Ballmer, Sie haben es vorhin gesagt: Viele Leute sanieren ihre Häuser freiwillig. Zudem wird bei Neubauten bereits heute fast immer eine Wärmepumpe eingebaut. Weshalb braucht es überhaupt neue Vorschriften?
Ballmer: Mit dem Ja zum Klima- und Innovationsgesetz hat sich das Schweizer Stimmvolk vor einem Jahr für die Klimaneutralität ausgesprochen. Bis 2050 sollen die Treibhausgasemissionen auf netto null gesenkt werden – auch im Gebäudebereich. Diesem demokratischen Entscheid muss der Kanton Baselland Folge leisten. Wir müssen also Rahmenbedingungen schaffen für die Umstellung auf erneuerbare Systeme. Mit dem neuen Energiegesetz und dem dazugehörigen Dekret machen wir das. Wichtig in diesem Zusammenhang ist auch die Vorgabe im Energiegesetz, dass Gemeinden mit Gasnetz eine Energieplanung erstellen müssen.
Wie meinen Sie das?
Ballmer: Von Itingen abwärts gibt es im Baselbiet noch immer einige Gemeinden, in denen mehr als 60 Prozent der Gebäude mit Gas beheizt werden. Dies, obwohl die IWB (die Industriellen Werke Basel, Anm. d. Red.) gemäss Entscheid der Basler Stimmbevölkerung ihr Gasnetz stilllegen müssen. Die IWB werden in ein paar Jahren also kein Gas mehr ins Baselbiet liefern können. Mit dem neuen Energiegesetz animieren wir die betroffenen Gemeinden, auf alternative Systeme wie Wärmeverbünde zu setzen.
Riebli: Die Energiestrategie 2050, auf der das Klima- und Innovationsgesetz basiert, ist brutal gescheitert. Der Ausschluss von gewissen Technologien wie Kernkraftwerken oder fossilen Energieträgern ist gefährlich. Zumal die wenigen Systeme, auf die wir uns begrenzen wollen, viel Strom verbrauchen und es unklar ist, ob wir davon in den nächsten Jahren genug haben werden. Bereits im Winter 2022 drohte in der Schweiz eine Strommangellage. Zudem: Die Hauseigentümer sind genug intelligent, um bei unsicherer Versorgung nicht mehr auf Gas zu setzen. Die Politik muss die Bürger nicht erziehen, das Gasheizungsverbot ist deshalb überflüssig.
Herr Riebli, Hand aufs Herz: Will die SVP überhaupt etwas gegen den Klimawandel unternehmen?
Riebli: Selbstverständlich! Wir sind nicht dagegen, wenn immer möglich und sinnvoll, auf erneuerbare Energien umzustellen. Allerdings muss der Zeitplan realistisch sein – sprich, das Gewerbe muss mit der Umstellung Schritt halten können. Zudem dürfen die Bürger und die Wirtschaft durch Klimaschutzmassnahmen nicht übermässig belastet werden; Kosten und Nutzen müssen in einem sinnvollen Verhältnis stehen. Wie gesagt, gehört das Baselbiet zu den führenden Kantonen bei der CO2- Reduktion. Unser bisheriger, anreizbasierter Kurs funktioniert also. Es ist unverständlich, weshalb mit dem neuen Energiegesetz jetzt ein Verbots-Gesetz eingeführt werden soll.
Ballmer: Das Energiegesetz ist kein Verbots-Gesetz. Es sind darin lediglich drei Gebote enthalten. Eines davon betrifft, wie zuvor erwähnt, die Gemeinden. Und zwei richten sich in Form von Gebäudeautomationen und Betriebsoptimierungen an Eigentümer von grossen Nichtwohnbauten.
Riebli: Abgeleitet aus dem Gesetz, werden im Dekret einschneidende Verbote und teure Pflichten für die Hauseigentümer eingeführt.
Ballmer: Diese Aussage von Peter Riebli zeigt, dass es dem Nein-Lager im laufenden Abstimmungskampf doch um das Dekret geht, und nicht um das Gesetz.
Riebli: Das Dekret stört uns mehr als das Gesetz. Aber auch die Zielsetzungen im Gesetz sind unrealistisch und somit unnötig.
Ballmer: Zur Klarstellung: Gebt ihr euren Widerstand gegen das Dekret auf, wenn das Volk Ja sagt zum neuen Energiegesetz?
Riebli: Nein! Das Stimmvolk muss zu Massnahmen wie einem Verbot von Öl- und Gasheizungen oder einer Solarpflicht das letzte Wort haben. (Anm. d. Red.: Gestern lancierte das Nein-Komitee eine entsprechende Initiative, siehe Kasten auf dieser Seite.)
Herr Ballmer, das Schlusswort gehört Ihnen: Weshalb soll man dem neuen Energiegesetz zustimmen?
Ballmer: Für mich zeigt die Tatsache, dass Peter Riebli seine Liegenschaft ohne Gesetzesvorgabe energetisch saniert hat, zu 100 Prozent erneuerbar heizt und die 40 Kilowattstunden bereits heute erreicht, dass der Heizwärmebedarf-Zielwert bis 2050 erreichbar und realistisch ist. Die wesentlichste Anpassung im Energiegesetz ist jedoch eine andere: Jene, dass die Gemeinden mit Gasnetz verpflichtet werden, eine Energieplanung zu erstellen. Die Einwohner dieser Gemeinden benötigen Planungs-, Informations- und Versorgungssicherheit. Mit der Anpassung zwingen wir die Gemeinden, die Planung vorzunehmen und offenzulegen. Bezüglich notwendiger Gebäudesanierungen macht das neue Gesetz keine Vorschriften.
Initiative gegen Heizungsverbot und Solarpflicht lanciert
je. Das «Überparteiliche Komitee ‹Nein zum Energiegesetz›», das sich aus der SVP, FDP-Landratsmitgliedern und dem Hauseigentümerverband zusammensetzt, hat gestern eine Volksinitiative lanciert. Die formulierte Initiative «Energiepolitik nur mit der Bevölkerung» zielt laut einer Medienmitteilung darauf ab, «die Gesetzgebung so anzupassen, dass wichtige energiepolitische Entscheide in einem Gesetz geregelt werden müssen». Die Festlegung in einem Dekret oder einer Verordnung soll ausgeschlossen werden. Dies hätte zur Folge, dass die Bevölkerung über «wichtige energiepolitische Entscheide» jeweils abstimmen könnte.
Auslöser für die Lancierung der Initiative war ein Entscheid des Landrats. Im vergangenen Oktober beschloss das Baselbieter Parlament auf Dekretsstufe, ab 2026 neue Öl- und Gasheizungen zu verbieten und eine Solarpflicht für Neubauten einzuführen. Diesen Entscheid will das Komitee mit seiner Initiative rückgängig machen.