Luana Güntert

Herr Borer, Sie sind in Breitenbach aufgewachsen und wohnen jetzt seit mehr als 13 Jahren in Zürich. Wie gefällt es Ihnen in der Limmatstadt?
Olivier Borer: Zürich ist sehr weltoffen, für Schweizer Verhältnisse sehr gross und bietet kulinarisch und kulturell viel. Mir gefällt es hier sehr gut. Aber am meisten schätze ich den See. Ich bin oft auf, im und am See, das fühlt sich an wie in den Ferien.

Haben Sie einen Geheimtipp am See für Nichtzürcher?
Die Schiffanlegestelle Bendlikon bei mir in der Nähe. Dort kann man tatsächlich noch ganz relaxt im Gras liegen, sei es mit Hund oder Familie. Auch zum Grillieren und Baden ist sie gut geeignet. Aber am liebsten bin ich sowieso auf dem See, vor zwei Jahren habe ich meine grosse Leidenschaft, das Wakesurfen, entdeckt.

Sie sind Mitarbeiter bei SRF Sport. Wie sind Sie zu diesem Job gekommen? War der Job beim Fernsehen von Anfang an Ihr Plan?
Ich habe keinen wirklich geradlinigen Lebenslauf. Nach dem Gymnasium fing ich an der ETH ein Architektur-Studium an, das mir nicht gefiel und ich nach einem Jahr abbrach. Ich bin eher der Sprachenmensch und nicht der Zahlenmensch. Also entschied ich mich für ein Studium der Medien- und Kommunikationswissenschaften. Da ich die Anmeldefrist im ersten Anlauf knapp verpasste, überbrückte ich die Zeit bis zum Start des Studiums mit Praktika im Journalismus. Schon damals war es mein Traum, irgendwann fürs Fernsehen zu arbeiten. Die Sportbranche war dann eher ein glücklicher Zufall.

Eines Ihrer Praktika haben Sie bei uns in der «Volksstimme»-Redaktion gemacht. Welche Erinnerungen haben Sie an dieses Praktikum?
Ich denke gerne an diese Zeit zurück. Mein allererstes Praktikum habe ich in Basel gemacht beim Pressebüro Kohlenberg und danach kam ich nach Sissach. Ich erinnere mich noch gut, wie ich mich oft mit dem Geschäftsauto im Oberbaselbiet verfahren habe und Dörfer wie Ormalingen entdeckte, da ich mich als Laufentaler überhaupt nicht auskannte. Damals hatte ich kein Navi und so war jede Reportage ein kleines Abenteuer.

Wenn man regelmässig SRF Sport schaut, fällt auf, dass Sie der einzige Moderator mit Laufentaler-Dialekt sind. Bekommen Sie da manchmal Sprüche zu hören?
Oh ja, sehr oft. Unter den Reportern gibt es noch Jeff Baltermia mit Basler-Dialekt, aber so richtig wie ein Landei aus dem Schwarzbubenland rede nur ich. Ich muss sagen, dass ich auch ein bisschen stolz auf meinen Dialekt bin. Aber es ist auch etwas kompliziert: Ich bin im Solothurnischen aufgewachsen und in Laufen ans «Gymi». Ich weiss manchmal nicht, wie ich meine Herkunft bezeichnen soll. Laufentaler? Solothurner? Ich bin zwar Solothurner, aber kein richtiger Solothurner. Hier in Zürich ist es auch nochmals anders: Für Zürcher rede ich einfach Baseldeutsch. Aber die haben keine Ahnung (lacht).

Bei SRF Sport moderieren Sie diverse Sendungen und Live-Sportveranstaltungen. Wie sieht ein normaler Arbeitstag bei Ihnen aus?
Bei mir ist jeder Tag anders, auch die Zeiten variieren täglich. Entweder arbeite ich als Journalist oder als Moderator. Wenn ich Sendung habe, gehe ich immer mit dem ganzen Team in der Kantine Nachtessen, das ist unser heiliger Brauch. Als Moderator muss ich auch immer in die Maske vor der Sendung.

Was gefällt Ihnen am meisten an Ihrem Beruf?
Am meisten schätze ich, dass kein Alltagstrott aufkommt und ich mit so vielen verschiedenen Leuten und Sportarten zu tun habe. Auch das Reisen gefällt mir sehr und dass ich an Orte gelange, an die ich ohne diesen Job niemals kommen würde.

Was sind die Schattenseiten Ihres Berufs?
Die unregelmässigen Arbeitszeiten machen mir auch nach Jahren in diesem Beruf immer noch sehr zu schaffen. Auch dass ich an meinem sozialen Umfeld vorbei arbeite. Ich mache mir zudem Gedanken über die Entwicklung des Journalismus. News und Schnelligkeit gewinnen generell an Bedeutung. Social Media verstärken diese Tendenz, das finde ich schade. Dabei interessieren mich fundiert recherchierte Hintergründe am meisten – als Journalist wie auch als Medienkonsument.

Gibt es einen Interviewpartner, der Sie bis heute geprägt hat?
Ich könnte jetzt die grossen Stars wie Roger Federer nennen, aber wirklich eingefahren ist mir das Gespräch mit Kira Grünberg, einem ehemaligen österreichischen Stabhochsprungtalent, das auf dem Weg an die Olympischen Spiele war und bei einem Unfall querschnittsgelähmt wurde. Ich durfte sie nach ihrem Unfall an einem Charity-Event treffen. Es hat mich beeindruckt, dass sie trotz ihrer Umstände ihren Humor, ihre Lebenslust und ihren Optimismus nie verloren hat. Von ihr konnte ich viel lernen.

Über welche Sportart berichten Sie am liebsten?
Da ich in einer tennisbegeisterten Familie aufgewachsen bin und auch selber spiele, definitiv Tennis.

Sie waren vor Ort an den Olympischen Spielen in Tokio. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
Ich reiste mit einem mulmigen Gefühl an, da die Corona-Zahlen vor Ort am Steigen waren und wir nicht genau wussten, was uns erwartet. Transporte von A nach B waren von den Organisatoren klar definiert und genau geplant, sich frei zu bewegen war nicht möglich. Unser Essen mussten wir per Lieferdienst bestellen. Die Wettkämpfe habe ich sehr emotional erlebt. Da Zuschauer und Familienangehörige nicht zugelassen waren, waren wir als Interviewer für die Athleten die einzige Verbindung in die Heimat. Sie konnten mit uns als Erste in ihrer Muttersprache sprechen und somit waren die Gespräche immer sehr affektiv. Das fand ich sehr eindrücklich.

Haben Sie etwas von Tokio gesehen?
Da ich viele verschiedene Sportarten vor Ort moderierte, besuchte ich viele Stadien, die in ganz Tokio und der näheren Umgebung verteilt sind. Da wir überallhin mit dem Bus gefahren sind, konnte ich quasi vom Bus aus Sightseeing machen.

Werden Sie bei den Winterspielen in Peking auch vor Ort sein?
Nein, obwohl es eigentlich geplant war. Ich beginne im Januar eine Quereinsteiger-Ausbildung als Primarlehrer an der Pädagogischen Hochschule Zürich. Diesen Wunsch hege ich schon ein paar Jahre und jetzt packe ich diese Chance. Auf Januar habe ich mein Pensum beim SRF reduziert. Deshalb werde ich an den Olympischen Spielen nicht vor Ort sein, sondern das «Abendmagazin» vom Studio Leutschenbach aus moderieren. Es ist mein Wunsch, dass ich in Zukunft in beiden Berufen gleichzeitig arbeiten kann.

Wie haben Sie die Pandemie bis jetzt erlebt?
Im Verlauf der vergangenen zwei Jahre wurde sowohl der Berufsalltag als auch das Privatleben immer weniger planbar. Ich merke, dass ich langsam coronamüde bin. Der erste Lockdown war aber nicht nur schlecht für mich. Klar war es schwierig, weil der Sport zum Stillstand kam und man keine Leute treffen durfte, aber ich habe es genossen, mehr zu Hause zu sein und die Natur auf dem Bike geniessen zu können. Auch die gemeinsamen Abende mit meinem Mann, die sonst sehr rar sind, waren toll. Und es blieb zwischendurch auch Zeit, einem meiner Lieblingshobbys, dem Backen, zu frönen. Wir hatten familienintern richtige Brotback-Challenges.

Welcher war Ihr Lieblingsmoment 2021?
Beruflich gesehen der Schweizer Dreifachsieg im Mountainbiken an den Olympischen Spielen. Das war sogar mein bisheriges Karriere-Highlight. Ich musste nach dem Rennen mitheulen mit den Athletinnen und bekomme noch heute Gänsehaut, es war so emotional. Aber auch die Paralympics in Tokyo haben mich sehr berührt. Für mich sind das die richtigen Sporthelden, da sie trotz Beeinträchtigung noch solche Leistungen bringen können. Mein privates Highlight war mein 40. Geburtstag im September, es war das erste grosse Fest für mich seit Langem. Diesen Tag habe ich mit meinen Liebsten sehr genossen.

Sie sind in einer eingetragenen Partnerschaft mit einem Mann. Wie haben Sie den Abstimmungskampf der «Ehe für alle» erlebt?
Als Mitarbeiter der SRG durfte ich nicht dafür werben, das steht so in unseren publizistischen Leitlinien. Aber alle, die mich kennen, wussten, wie ich dazu stehe und dass es für mich nur eine Antwort gab. Nach der Abstimmung habe ich mich bei allen Ja-Stimmenden, die ich kenne, bedankt. Ich habe sehr viel Unterstützung gespürt, man muss aber auch sagen, dass ich in einem Umfeld unterwegs bin, in dem alle sehr offen sind.

Welche Erinnerungen haben Sie an Ihr öffentliches Coming-out?
Als ich das erste Mal im Fernsehen davon gesprochen habe, bekam ich einige Rückmeldungen, die definitiv unter der Gürtellinie und völlig deplatziert waren. Mir wurde auch vorgeworfen, dass ich mich damit in die Öffentlichkeit dränge. Mir geht es aber darum, dass ich für junge Homosexuelle ein Vorbild sein möchte, da mir vor 20 Jahren solche Vorbilder gefehlt haben.

Sie sind verheiratet, aber nicht «richtig» verheiratet. Wollen Sie das ändern?
Wir haben erst vor fünf Jahren geheiratet. Ich habe das mit meinem Mann besprochen und wir wollen unsere eingetragene Partnerschaft definitiv umschreiben lassen in eine Ehe. Aber wahrscheinlich ohne Fest, da ich dieses Jahr mit dem Geburtstag schon ein grosses Fest hatte. Ich nehme an, dass wir nach dem Termin auf dem Standesamt gemeinsam ein Abendessen in einem Restaurant geniessen.

Haben Sie ein berufliches Vorbild?
Ich hatte immer den Traum, eine eigene Talkshow zu haben. Ein Vorbild, das mich bis heute fasziniert, ist Kurt Aeschbacher. Er hat so eine authentische Art und schafft es immer, seinen Gästen gewisse Sachen zu entlocken. Er hat einen speziellen Kniff drauf. International gefällt mir Ellen DeGeneres, da sie für die LGBTQIA+- Community damals schon eine Lanze gebrochen hat und alles, was Rang und Namen hat, schon auf ihrem Sofa Platz genommen hat.

Was wünschen Sie sich für das Jahr 2022?
Jetzt wirds philosophisch. Ich wünsche mir für die gesamte Gesellschaft, dass wir diese vermeintliche Spaltung schliessen können und wieder näher zusammenfinden. Dass wir mehr über Gemeinsamkeiten sprechen, als über das, was uns trennt. Dass man es gut haben kann zusammen, ohne das Gleiche zu denken und zu fühlen, und dass wir wieder lernen, respektvoll miteinander umzugehen, was leider etwas verloren gegangen ist in der Pandemie. Ich bin aber überzeugt, dass wir als Gesellschaft gestärkt aus dieser Krise kommen.

Zur Person

lug. Olivier Borer ist in Breitenbach (SO) aufgewachsen und hat das Gymnasium Laufen besucht. Seit mehr als 10 Jahren lebt der 40-Jährige mit seinem Mann in Kilchberg bei Zürich. Bekannt wurde er bei SRF Sport. Er moderiert diverse Sportsendungen und Live-Veranstaltungen. Borer hat Medien- und Kommunikationswissenschaft an der Universität Freiburg studiert.

«Ich bin stolz auf meinen Landei-Dialekt»

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