EINFACH LEBEN

Der Sommer ist gross zurzeit. Heisse Tage, kühle Nächte, ideales Heuwetter. So sind wir denn mit Sense und Gabeln unterwegs, um Kuhfutter für den Winter einzubringen. Das Gras steht fast so hoch wie ich. Alles blüht und produziert Abermilliarden Samen – die Gräser und Blumen vom nächsten Jahr.

Vergangene Woche haben wir «ghärdöpflet», haben Knolle um Knolle aus dem Boden gegraben und uns gefreut wie die Schneekönige. Ein rundes Dutzend Säcke haben wir gefüllt. Was für ein Unterschied zum letzten Jahr, als wir auf 50 m2 gerade mal eine halbe Kiste füllen konnten. Auf dem mageren, vulkanischen Boden mochten die Pflanzen nicht recht wachsen. Die Pilme-Käfer – klein, schwarz und ungeheuer gefrässig – grasten die Stauden ab, den Rest hat die Krautfäule erledigt.

Heuer haben wir unsere Geheimwaffe eingesetzt: Hühnermist. Gegen die Pilme nützt der allerdings gar nichts. Zu Beginn haben wir die Mistkerle von Hand abgelesen. Mühsam und eklig. Das organische Mittel, das uns ein befreundeter Jungbauer besorgte, hat zwar für Besserung gesorgt, dennoch holten wir die Knollen früher als geplant aus der Erde. Seither gibt's jeden Tag Kartoffeln zum Znacht, denn sie schmecken so, wie Kartoffeln eben schmecken sollen. Wir sind nicht allein beim Ernten. Die meisten Menschen hier im Süden haben eigene Kartoffeläcker. Am Strassenrand verkaufen sie ihre Ernte – für rund 10 Franken für einen 25-Kilo-Sack – und erwirtschaften so mit wenig monetärem Einsatz etwas Einkommen.

Zwei Tage lang haben wir wieder einmal das Wunder des Werdens bestaunen und sogar anfassen dürfen: Man steckt eine verschrumpelte kleine Knolle in die Erde, überlässt sie vertrauensvoll der Dunkelheit und wird drei Monate später mit einer wunderbaren Vermehrung belohnt. Die Schrumpelteile haben bis zu 20 stattliche Nachkommen hervorgebracht.

Wie grossartig ist diese Welt doch eingerichtet. Alles spannt zusammen, damit Fruchtbarkeit überhaupt möglich ist. Samen, Kerne oder Knollen haben alles dabei, um sich entwickeln zu können. Man steckt ein Maiskorn in den Boden und erntet Tausende. Im Samen eines Baumes ist die ganze Information gespeichert, damit daraus ein Riese werden kann, der Hunderte von Jahren überdauert. Gräser produzieren unzählige Samen und sorgen so dafür, dass sich die Wiese ständig selbst erneuert, selbst wenn sie abgemäht wird.

Das Wunder des Werdens ist rund um uns herum. Klar ist es für uns näher, da wir es jeden Tag sehen, berühren, riechen und schmecken. Doch lohnt es sich allemal, im eigenen Garten, auf Spaziergängen oder im Stadtpark daran teilzunehmen, darüber nachzudenken, wie es gekommen ist, dass wir auf einem Planeten leben, der dieses Wunder wie selbstverständlich hervorbringt. Wie viele Bedingungen zusammenkommen müssen, dass es sich tagtäglich reproduziert.

Die Journalistin Christa Dettwiler ist 2022 gemeinsam mit ihrem Sohn und dessen Ehefrau von Rünenberg nach Chile ausgewandert. Sie erzählt regelmässig von ihrem Alltag.

Samen, Kerne und Knollen

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