«Es ist richtig, dass Frauen Stellung beziehen»

  13.06.2019 Baselbiet, Gesellschaft

Andrea Mašek

Frau Rufino, es soll viel Lärm gemacht werden am 14. Juni. Auch Sie werden laut, inwiefern?
Ariane Rufino dos Santos:
Wir werden mit dem Chor Widersang am Frauenstreik teilnehmen. Das ist ein Chor, der für Freiheit und Frieden singt. Wir werden linke Frauenlieder zum Besten geben, Lieder aus verschiedenen Zeiten und verschiedenen Orten der Welt. Ab 16 Uhr bewegen wir uns durch Basel.

Sie haben sich intensiv mit Protestmusik auseinandergesetzt. Wieso?
Ich bin Jahrgang 1953 und war in den 1970er-Jahren jung und in der linken Protestbewegung aktiv. Das waren die Zeiten, als wir das Atomkraftwerk in Kaiseraugst verhindern konnten oder ein Haus in Basel besetzten, um die Gründung eines Frauenzentrums durchzusetzen.

Was wollen Sie mit Ihrem Beitrag 2019 erreichen?
Musik überwindet Grenzen. Musik spricht nicht nur den Intellekt, sondern auch das Gemüt an. So gesehen kann Musik eine gewisse Kraft entwickeln, sie kann mobilisieren. Ich denke, Musik ist wirksamer, als den Leuten einen Flyer in die Hand zu drücken. Wir haben eine einfache Botschaft und wir singen einfache Lieder, die zum Teil mitgesungen werden können.

Bekommt der Streik so nicht eine etwas leichte Note, über die gelächelt wird?
Nein. Ich mache das ja schon länger, bei verschiedensten Gelegenheiten: zum Beispiel am 1.-Mai-Umzug oder kürzlich an einer Veranstaltung, an der gegen die Agrogiftproduzenten Monsanto und Chemchina demonstriert wurde. Dabei stelle ich immer wieder fest, dass man über Kunst und Kultur den Menschen Sachverhalte näherbringen kann. Zudem bin ich der Meinung, dass man alle Kanäle nutzen muss, die möglich sind. Singen überwindet kulturelle Grenzen und hat einen friedlichen Effekt. Gewaltlosigkeit ist mir ein grosses Anliegen. In jedem Zusammenhang. Es zeigt ausserdem: Wir sind nicht verbissen. Musik lockert auf.

Sie haben im Vorfeld bereits eine kleine witzige Aktion gemacht. Verraten Sie uns, wo und wieso?
Beim Kantonsspital Baselland in Liestal steht die Skulptur «Volk und Staat», die mit der knienden Frau und dem stehenden Mann geradezu zu einer Aktion eingeladen hat. Vor Jahren hat sie bereits eine grosse Kontroverse ausgelöst und wurde von der Bildungs-, Kultur- und Sportdirektion weggezügelt zum Spital.

Die Skulptur zeigt einen dominanten männlichen Staat, neben dem das Volk – eine Frau – kniet. Gehen Sie also gegen den Staat auf die Strasse?
Ich bin nicht mehr aktiv in der Frauenbewegung, aber ich sehe, wie vieles stagniert oder es sogar Rückschritte gibt. Wir sind immer noch weit von Gleichstellung entfernt. Die Politik in der Schweiz ist bürgerlich-konservativ, nur in den Städten ist sie eher links. Das heisst, es wurde bisher zu wenig erreicht. Alles geht zu langsam.

Können Sie Beispiele nennen?
Es gibt nicht genug Kinderkrippen. Die Familienarbeit geht nach wie vor grösstenteils zulasten der Frauen. Ebenso sind es Frauen, die vornehmlich Care-Arbeit leisten. Da muss man sich nicht wundern, wenn sich diese Frauen vor politischen Mandaten und Führungspositionen scheuen, die 100 Prozent und mehr von einem abverlangen. Die Arbeitsbedingungen sind heute immer noch nicht zufriedenstellend. Wer ein krankes Kind zu Hause hat, ist aufgeschmissen.

Sprechen Sie da aus Erfahrung?
Ich habe wahnsinniges Glück gehabt. Ab dem Eintritt meiner Tochter in die Schule war ich zwar alleinerziehend, meine Tochter konnte jedoch die erste staatliche Tagesschule besuchen und ich konnte arbeiten gehen. Ich musste und wollte das auch. Heute gibt es keine Tagesschulen mehr, «nur» noch Mittagstische. Die Tagesschulen hat man abgeschafft, aus Sparfimmel, zulasten der Frauen.

Alles, wofür beim ersten Frauenstreik 1991 gekämpft wurde, ist 2019 immer noch thematisiert. Wie fühlen Sie sich da?
Als Feministin der 1970er-Jahre bin ich enttäuscht. Nehmen wir als weiteres Beispiel die Gewalt an Frauen. Ich arbeitete im Frauenhaus und war Co-Leiterin der Baselbieter Interventionsstelle gegen häusliche Gewalt. Wir schafften es, bewusst zu machen, dass Gewalt zu Hause nicht tolerierbar ist. Wir arbeiteten eigentlich an der Abschaffung unserer Jobs. Doch das war eine Illusion. Die Gewalt im häuslichen Bereich ist geblieben, das Engagement dagegen stagniert.

Sexuelle Gewalt ist auch ein Thema am Frauenstreik 2019, dazu neu Sexismus und sexuelle Belästigung. Sehen Sie diese Themen ebenso dringlich?
Ja, vordringlich! Gerade kürzlich wurde eine Studie veröffentlicht, dass jede zweite Frau in der Schweiz schon sexuell belästigt wurde und jede fünfte sexuelle Gewalt erlebt hat. Sexismus ist weit verbreitet, sehen Sie sich nur die heutige Mode und Modewerbung an. Frau kann sich dem fast nicht entziehen und sendet so auch falsche Signale aus. Einst überklebten wir alle sexistischen Modeplakate mit Frauenfeindlich-Klebern. Heute wären wir damit überfordert. Übrigens sind auch die Männer betroffen. Sie müssen sich kurzlebigen Modetrends beugen. Der Macker als Kraftprotz ist «in». Das ist ein Rückschritt. Zumindest für Menschen zwischen 60 und 70 wie mich. Mir graut weiter vor der Porno-Industrie. Selbst Primarschüler können sich einschlägige Filme herunterladen. Was für ein Bild von Sexualität erhalten sie so? Man sagt zwar, das Pendel schlage immer hin und her, aber es schlägt heute doch sehr auf die falsche Seite aus. Das hat auch mit der Anwesenheit anderer Kulturen zu tun, wo Frauenemanzipation um Jahrzehnte zurückliegt.

Was ist Ihnen vom ersten Frauenstreik am 14. Juni 1991 noch stark in Erinnerung?
Die Musik natürlich. Und die eindrücklichen Massen. Verkäuferinnen der umliegenden Warenhäuser strömten auf die Strasse. Wer von ihnen nicht konnte, der bummelte im Laden, blieb passiv, trug Abzeichen und Schal. Auf dem Claraplatz haben Männer gekocht, um ihre Solidarität auszudrücken.

Es war damals kein richtiger Streik und heute auch nicht …
Es ist kein arbeitsrechtlicher Streik. Das Ganze ist eher eine politische Aktion. Das ist schon richtig so, es soll niemand den Job verlieren. Jene Frauen, die nicht frei machen können, machen deutlich, dass sie ab 15.30 Uhr gratis arbeiten. Das steht zum Beispiel auf T-Shirts, die sie tragen. Das finde ich eine gute Idee.

Ist der Frauenstreik überhaupt das richtige Mittel, um endlich Gleichberechtigung zu erreichen?
Wenn er flächendeckend wäre, ja. Doch ich würde die Aktivität von morgen eher eine gesellschaftsrelevante Aktion nennen. Ich glaube, massenhafte Boykottaktionen wären effektiver. Boykotts von Dienstleistungen und Waren.

Was wird sich ab dem 15. Juni ändern?
Man hat immer wieder den Tod der Frauenbewegung vorhergesagt. Ich kann mir vorstellen, dass aus dem Frauenstreik eine neue, andere Art der Bewegung entsteht – wie etwa beim Klimaschutz. Meine Generation ist müde. Andere finden, es sei genug erreicht. Andere wiederum könnten sich auf die Hinterbeine stellen. Die Themen werden ändern.

Und die Männer?
Sie müssen sich bewegen. Die Arbeitswelt stagniert, es gibt kaum Teilzeitarbeit für Männer. Sie müssen sich wehren und danach verlangen, um ihren Teil der wertvollen und wichtigen Familienarbeit wahrzunehmen.


Zur Person

vs.
Die Baslerin Ariane Rufino dos Santos ist 1953 geboren und lebte während 12 Jahren, bis 2015, in Sissach. Die Partnerin von SP-Landrat Stefan Zemp arbeitet als Singanimatorin, Chorleiterin und Koordinatorin musikalischer Projekte. Aktuell leitet sie drei Chöre: den «Surprise»- Chor, den Widersang-Chor und den 1.-Mai-Chor. Seit 2015 wohnt sie im Berner Jura.


UMFRAGE: WERDEN SIE AM FRAUENSTREIKTAG TEILNEHMEN ?

«Ich gehe nicht an den Frauenstreik. Ich finde, dass eine Mutter nicht streiken muss. Die Frauen fordern meiner Meinung nach sehr viel.»


«Ich habe Feministische Linguistik studiert und finde, dass es ein sehr komplexes Thema ist. Ich zweifle daran, dass die Frauen durch einen Streiktag ein Resultat erreichen.»


«Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass die Frauen noch zu wenig Rechte haben. Ich selbst nehme nicht am Streik teil, finde es aber gut, wenn sich Frauen damit beschäftigen.»


«Ich finde es eine sehr gute Sache. Es ist auch in der heutigen Zeit sehr wichtig, dass Frauen sich wehren, um die Lohngleichheit in der Schweiz zu erreichen.»


«Ich finde es eine gute Sache, dass sich die Frauen für mehr Rechte einsetzen. Am Freitag habe ich aber frei und gehe deshalb nicht an den Streik.»

 


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