QUERPASS

  05.12.2024 Sport

Bombenalarm in Kiew

Stark und stärker wird das beklemmende Gefühl. Bis ich schliesslich keinen Bissen mehr herunterbringe – der Salat liegt unangetastet vor mir im Teller. Dann endlich nehme ich meinen Mut zusammen, schaue Kateryna in die Augen und frage sie auf Englisch: «Darf ich dir eine persönliche Frage stellen?» – «Ja, klar», erwidert die Journalistenkollegin aus der Ukraine. Ob sie denn so etwas wie Hoffnung habe, dass alles gut komme und der Krieg irgendwann vorbei sein werde? «I don’t think so», das glaube sie nicht, gibt Kateryna zur Antwort und richtet ihre Brille. Die blauen Augen dahinter wirken müde. «Wir müssen uns mit der Situation arrangieren, auch wenn es an der Front gerade sehr schwierig ist …»

Die junge Sportjournalistin traf ich Mitte November an einer Konferenz in Genf, wo sich rund zwei Dutzend Reporterinnen aus ganz Europa zum Austausch trafen. Für Kateryna hatte die Anreise fast zwei Tage gedauert, aber das schien sie nicht zu stören. Im Gegenteil, denn auf diese Weise, so mein Eindruck, konnte sie für einen Moment dem Leid ihres Alltags entfliehen. Obgleich eine wirkliche Flucht aus dem Heimatland, wie sie mir erzählt, für sie nie eine Option war: «Nie hätte ich weggehen können. Auf keinen Fall!» Eindrücklich schildert Kateryna, wie sie sich bei Bombenalarmen jeweils in eine Ecke ihrer Wohnung verziehe. Möglichst weit weg vom Fenster. Bis zum Bunker würde der Fussweg zehn Minuten dauern – viel zu lang, um sich richtig in Sicherheit zu begeben. «Ich hoffe dann einfach, dass es nicht mich trifft …»

Das Gespräch mit Kateryna geht mir noch lange nach. Während ich im Zug zurück nach Basel sitze, fliegt sie ins polnische Warschau, von dort geht es mit dem Zug nach Hause in die Hauptstadt Kiew. Von der heilen Welt am Genfersee zurück ins Kriegsgebiet. Irgendwie unvorstellbar.

Am meisten beeindruckt hat Kateryna mich mit ihrer Art, sich nicht unterkriegen zu lassen und weiterzumachen, trotz des Kriegs: «Wir müssen doch arbeiten», sagt sie und schaut mich fragend an. «Jemand muss es doch tun? Es gibt so viel zu berichten, auch im Sport.»

In meine Beklemmung mischt sich allmählich grosse Dankbarkeit. Wie froh können wir sein, in einem sicheren Land zu leben, auf einem so schönen Flecken Erde wie der Region Basel. Gerade jetzt, im Advent, denke ich oft an Kateryna und daran, wie sie ein Vorbild für uns alle ist. Versuchen wir, heiter und hoffnungsvoll zu bleiben. Auch wenn es in diesen Zeiten nicht einfach ist. Kateryna in Kiew tut es auch.

Seraina Degen (37) ist in Niederdorf aufgewachsen. Als Torhüterin spielte sie lange leidenschaftlich Fussball, heute bleibt sie beruflich am Ball – als Redaktorin bei SRF Sport.


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