Die Welt von morgen ist multipolar

Zu Beginn des Ukraine-Krieges verkündeten westliche Politiker unisono, Russland müsse isoliert und wirtschaftlich sowie militärisch in die Knie gezwungen werden. Sanktionen wurden erlassen, Gelder eingefroren, die moralisch überlegene Rhetorik suggerierte klar, dass die ganze Welt auf dieses Ziel hinarbeitet.

Urteile über diesen Krieg wurden zur Genüge gefällt, ich werde kein weiteres hinzufügen. Viel interessanter scheint mir, wo wir jetzt, fast drei Jahre später stehen. Tatsächlich ist nämlich das Gegenteil eingetroffen. Ende Oktober fand der BRICS Summit 2024 im russischen Kazan statt. Das in den hiesigen Medien wenig beachtete Treffen kann an Relevanz im Bereich der internationalen Beziehungen nicht überbetont werden. Der Paradigmenwechsel, der sich in den vergangenen Monaten angebahnt hatte, wurde hier formalisiert, und zwar unter Anwesenheit des UN-Generalsekretärs Guterres: Die Zeit der unipolaren Weltordnung mit den USA an der Spitze ist offiziell vorbei. An ihre Stelle tritt eine multipolare Ordnung, in der die BRICS-Staaten eine gewichtige Rolle spielen, und zwar in allen Bereichen der internationalen Zusammenarbeit. Die BRICS, das sind Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika. Dieses Jahr kamen Saudi-Arabien, Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate, Iran und Äthiopien dazu. Etwa 20 Staaten stehen Schlange, um den BRICS beizutreten. Diese vereinen bereits jetzt 40 Prozent der Weltbevölkerung und 30 Prozent des globalen BIP. Aber sie sind vor allem daran, diese neue, multipolare Ordnung tatsächlich zu gestalten. Von der Förderung lokaler Währungen über die verstärkte wirtschaftliche Zusammenarbeit mittels Initiativen wie einer BRICS-Getreideund -Edelmetallbörse bis zur Etablierung eines eigenen, grenzüberschreitenden Zahlungssystems wurden in Kazan Anliegen diskutiert, welche alle ein Ziel haben: Die Unabhängigkeit vom US-Dollar und allgemein vom Westen, welcher seine wirtschaftspolitische Vormachtstellung oft und lange ausgenutzt hat. Ausserdem haben sich in Kazan der indische und der chinesische Präsident im Rahmen eines bilateralen Treffens für einen konstruktiven Dialog und zunehmende Kooperation ausgesprochen. Auch dieses Ereignis ist historisch, denn es untermauert das Zusammenstehen der BRICS-Staaten, das den Niedergang der westlichen Dominanz zementiert.

Apropos Russland, von dessen Isolation in Kazan keine Spur zu sehen war: Das Land hat laut dem neusten IWF-Bericht Japan als viertstärkste Volkswirtschaft der Welt abgelöst. Während Russlands BIP-Wachstum in diesem Jahr voraussichtlich 3,6 Prozent beträgt, wird für Europas Wirtschaftslokomotive Deutschland mit einem Null-Wachstum gerechnet. Wir mögen es aktuell noch nicht spüren, weil wir zu sehr mit uns selbst beschäftigt sind, aber die Welt ist im Begriff, sich fundamental zu wandeln. Die Frage ist: Was machen wir mit diesem Wandel? Ein erster Schritt wäre, ihn anzuerkennen.

Laura Grazioli, geboren 1985, ist Landwirtin und ehemalige Landrätin. Sie lebt mit ihrer Familie in Sissach.

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