Aus Riedgras wurde Papier

Andres Klein

Es gibt Pflanzengruppen, die etwas weniger beliebt sind als Orchideen, Rosen oder Schwertlilien. Zu diesen gehören vor allem die Grasartigen wie die Süssgräser, die Binsen und die Riedgräser. Viele Laien- und Berufsbotaniker machen einen grossen Bogen um diese Gruppe, wenn es ums Bestimmen oder Erkennen von typischen Merkmalen geht. Dabei gehören Vertreterinnen dieser Pflanzengruppen zu den wichtigsten Kulturpflanzen. Vermutlich wären wir ohne Getreide (Süssgräser) verhungert, würden noch im Freien schlafen (Binsen als Baustoff) oder würden noch auf Steintafeln unsere Whatsapp meisseln (Zypergräser).

Jeder Exkursionsleitende erklärt immer wieder die wichtigsten Unterschiede zwischen Süss- und Riedgräsern. Süssgräser wie Zittergras oder Weizen haben runde Stängel mit Knoten, Riedgräser haben dreieckige Stängel und keine Knoten.

Schauen wir uns heute die Riedgräser etwas genauer an. Da gibt es Gattungen wie die Seggen, die ein- oder zweihäusig sind, und es gibt Gattungen wie die Wollgräser oder Zypergräser, die zwittrige Blüten haben.

Riedgräser, insbesondere die Seggen, finden sich bei uns im Jura häufig in Wäldern, auf Felsköpfen oder im weiteren Uferbereich von Weihern und Seen. Im Mittelland, den Voralpen und Alpen sind Seggen bestandsbildende Pflanzen in den Verlandungszonen und in Gebieten mit hohem Grundwasserstand. In den Alpen sind sie zum Teil in der alpinen Stufe rasenbildend und dominieren gewisse Pflanzengesellschaften. Die Zypergräser und Wollgräser finden sich ausschliesslich an nassen Standorten und sind deutlich weniger verbreitet als die Seggen.

Ein Zypergras, das in Mitteleuropa fehlt, das aber von grosser kultureller Bedeutung ist, heisst Papyrus (Cyperus papyrus). Diese Pflanzen werden bis fünf Meter hoch und gedeihen in warmen Gegenden, zum Beispiel entlang des Nils, wo es hohe Durchschnittstemperaturen gibt und keine Fröste. Wie bei allen Riedgräsern sind die Stängel dreikantig. Am Stängelende wachsen unzählige Hochblätter und die Blütenstände bilden eine Doppeldolde. Die Pflanze ist mehrjährig und bildet lange Rhizome im Boden.

Die Leute im Mittelmeerraum benutzten lange Zeit Ton- oder Steintafeln, um Schriftliches festzuhalten. Erst als jemand in Ägypten etwa vor 5000 Jahren begann, das Mark in den Stängeln der Papyruspflanzen in Streifen zu schneiden, kreuzweise aufeinanderzulegen und zu pressen, war ein Ersatz für die Steintafeln gefunden. Der klebrige Saft des Marks verband die verschiedenen Schichten beim Trocknen. Somit war ein einfach herzustellendes und leichtes Material gefunden worden, das die Steinplatten ersetzte und das Festhalten von Information erleichterte. Die Ägypter beschrieben die Papyrusbogen mit schwarzen und roten Tinten, die aus Russ, Gummi oder gemahlenen Ockersanden bestanden. Obwohl in den kommenden Jahrtausenden weitere Schreibunterlagen wie das Pergament erfunden wurden, schrieb man in Europa bis ins 11. Jahrhundert auch noch auf Papyrus.

Andres Klein ist Botaniker. Er lebt in Gelterkinden.

AHNIG VO BOTANIK

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