Hacken, Jäten und Sinnieren

Der Frühling ist da! Er beginnt unten in der Fläche und steigt gemächlich bergan. Die Scheinbuchen haben sich in zarteste Grüntöne gehüllt und mit lachsfarbenen Laternchen geschmückt. Die essbaren Baumpilze wachsen bündelweise in den Ästen. Der wilde Kirschbaum kommt über Nacht als üppiger schneeweisser Brautstrauss daher und im Wald leuchten die Notro-Bäume in flammendem Rot.

Das heisst, es ist Zeit, den Garten zu bestellen. Wer schon einmal versucht hat, eine Wiese in einen Gemüsegarten zu verwandeln, weiss, was zu tun ist: hacken und jäten, einmal, zweimal, 20-mal. Obwohl ich gern jäte, tue ich es nicht ohne leise Gewissensbisse. Wer bin ich denn, die entscheidet, was bleiben darf und was gehen muss? Was gibt mir das Recht, Pflanzen, die seit eh und je auf meinem künftigen «Ärbsliblätz» leben, zu entwurzeln? Gar zum Tod zu verurteilen? Um quasi auf verbrannter Erde mir Genehmes anzusiedeln?

Das Ganze nennt sich Kultivieren. Die Bodenfräse, die wir angeschafft haben, um die Grasnarbe aufzubrechen, heisst auf Spanisch «cultivador». Er dient ja schliesslich auch der Agri-Kultur. Meine Schlussfolgerung: Kultur bedeutet, natürlich Gewachsenes durch eigene Vorstellungen und Ideen zu ersetzen.

Wie für so viele Länder gilt genau das auch für Chile. Als sich die spanischen Conquistadores ab dem 16. Jahrhundert mit klaren Absichten Südamerika vornahmen, setzten sie alles daran, über Jahrtausende Gewachsenes durch ihre Kultur zu ersetzen. Wer sich wehrte, wurde ganz einfach ausgemerzt – genau wie in meinem «Ärbsliblätz». Ausgemerzt, zumindest versuchsweise, wurden auch die Glaubensvorstellungen und Rituale der indigenen Völker. Die Erdenmutter, deren Arme allen belebten und beseelten Wesen offen standen, wurde mit brutalster Gewalt ausgetauscht mit einem Herrn Gott, der nur die in sein Reich lässt, welche die richtigen Papiere besitzen.

Beim Jäten gelangen meine Gedanken regelmässig auf Abwege. Während ich die Erde kultiviere, staune ich über die unfassbare Vielfalt an Gräsern, Kräutern, Käfern, Spinnen und Würmern, die auf und in einer Handvoll Erde ihr Leben leben. Da ist keine Biodiversitätskrise zu entdecken. Denn auf gesundem Boden ist die Vielfalt des Lebens nicht in Gefahr. Die kommt erst mit der Kultur, hauptsächlich mit der Monokultur. Natürlich kann ich nachvollziehen, warum der Mensch den Boden kultiviert. Er ist leider, leider nicht so konstruiert, dass er Gras fressen könnte.

Deshalb rutsche ich auf dem Hosenboden durch die Erbsen-Reihen, jäte, was das Zeug hält, lasse meine Gedanken laufen, während Gräser und Kräuter still und leise ihren Geist aufgeben. Ich tröste mich damit, dass ich nur einen kleinen Teil der Erde nach meinen Wünschen umforme und hoffe inständig auf Vergebung.

Die Journalistin Christa Dettwiler ist 2022 gemeinsam mit ihrem Sohn und dessen Ehefrau von Rünenberg nach Chile ausgewandert. Sie erzählt regelmässig von ihrem Alltag.

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