Chicago Dave – über einen Musiker, bei dem HD-Soldat Läppli kurz nach Albert Collins kommt

David Rutschmann, alias Chicago Dave, ist seit einer gefühlten Ewigkeit mit seiner Gitarre unterwegs. Bald spielt er am Open Air «Jurtensommer» in Liestal. Ein Besuch beim Musiker, der früh die kulturelle Aneignung betrieben hat.

Pek Krattiger

Als 1978 David Rutschmann, alias Chicago Dave, während seiner Buchhändlerlehre bei einer Arbeitskollegin den Song «Cold, Cold Feeling» vom Album «Ice Pickin’» von Albert Collins hörte, hatten ihn dessen Stimme und Gitarrenspiel buchstäblich umgehauen. Er wusste sofort: Das ist es! Ob er bereits ahnte, dass dieser Musiker ein Leben lang die Quelle seiner Inspiration bleiben wird?

Mit 14 Jahren hatte der 1961 geborene und in Liestal und Waldenburg aufgewachsene Rutschmann seine ersten autodidaktischen Gehversuche auf der Klassik-Gitarre unternommen. Nicht etwa, weil er der HD-Läppli-Platten überdrüssig geworden wäre, die ihm während seiner ganzen Kindheit so viel Vergnügen bereitet hatten. Der Blues hatte nun sein Interesse geweckt, und nachdem Albert Collins (übrigens Texas-Blues …) Chicago Dave mitten ins Herz getroffen hatte, war Albert fortan der Gitarrenlehrer seiner Wahl (ohne Youtube!) und Alfred (Rasser) wurde zwar in die hintere Reihe des Plattenregals verwiesen, wird aber bis heute gerne zur Herbeiführung des einen oder anderen lauthalsen Lachers imitiert. Nach der erleuchtenden Erfahrung mit Albert Collins dauerte es nur ein Jahr, bis 1979 die «Chicago Dave Blues Band» zusammen mit seinen Freunden gegründet war.

«Sweet Home Chicago» (R. Johnson)
Mit seinem Jugendfreund und Saxofonisten Simon Spinnler, der aufgrund ihrer zukünftigen Reisetätigkeit und dem unhandlichen und zu Hause gelassenen Saxofons während ihrer Reise zum begnadeten Bluesharpisten (Bluesharp = kleine Mundharmonika) mutierte, hatte Dave 1983 das Geld für den Flug nach Chicago zusammen und folgte nun dem Ruf des Blues nach Amerika, um sich den Chicago-City-Blues kulturell anzueignen.

Dort angekommen, waren sie erstaunt, dass es den Taxifahrern nicht erlaubt war, sie als weisse Personen an die von ihnen gewünschten Orte zu fahren. Mit ihrem Wissen und dem Respekt gegenüber der Musik der Volksgruppe, der in Chicago auch die meisten Taxifahrer angehören, gelangten sie dann trotzdem irgendwie in den Klub «Blues» in Halstead. Die einzigen zwei weissen Köpfe in der Menge erregten dann mehr Neugier als Misstrauen. Nachdem die Gäste aber herausgefunden hatten, dass die zwei aus Europa extra hierhergekommen seien, um sich die hier gespielte Musik anzuhören, war ein etwaiges Misstrauen der Klarheit gewichen, dass man es hier lediglich mit zwei harmlosen Geisteskranken zu tun hatte. Als sich dann der Leader der Hausband, Lefty Dizz, der beiden annahm und diese plötzlich zusammen mit den einheimischen Musikern auf der Bühne mit Gitarre und Bluesharp die Abende verbrachten, verbesserte sich dennoch das Verhältnis zwischen den Verrückten aus Europa und den Stammgästen noch einmal zusehends.

Der Kauf einer Fender Stratocaster (einer E-Gitarre) anhand eines Inserats ein paar Jahre später, als Dave alleine in Chicago unterwegs war, erwies sich als ähnlich schwierig, wie das Erreichen der Musikklubs in den Schwarzenvierteln Jahre zuvor, da die dem Taxifahrer vorgehaltene Adresse wiederum für Weisse verboten war. Dank Daves Überredungskunst landete er trotzdem vor dem Musikgeschäft, allerdings beschloss der Taxifahrer, dort auf ihn zu warten, da er überzeugt war, dass kein anderer Taxifahrer Dave in dieser Gegend mitgenommen hätte. Die plötzliche Totenstille, die den Eintretenden in dem gut besuchten Haus begrüsste, war ganz und gar nicht typisch für diesen Ort. Nachdem aber der Besitzer eher unwillig eine der im Inserat angepriesenen 300-Dollar-Gitarren auf Daves Knie knallte (Verkaufspreis Europa damals etwa 2500 Franken), wurde nach ein paar Tönen die Atmosphäre rasch entspannter, und beim eifrigen Anschleppen weiterer Gitarrenmodelle durch den Besitzer, um diese gefälligst alle auszuprobieren, erholte sich der Geräusch- und Schwatzpegel des Raums und der Gäste bald wieder auf Vor-Dave-Niveau, wenn nicht sogar darüber. Natürlich verlangte danach auch der geduldige Taxifahrer eine Kostprobe von Daves Kunst, was gerne mit unverstärkt zirpender E-Gitarre auf dem Rücksitz dargeboten wurde. Der Besucher aus Europa erfuhr in der Folge, dass sich die Tochter seines Chauffeurs dem Studium der klassischen Musik auf der Querflöte widme.

Eines Abends, in einem der schwarzen Blues-Klubs, näherte sich ein Gast und fragte schüchtern, ob er die Haut Daves berühren dürfe, um sodann nach erhaltener Erlaubnis vorsichtig mit einem Finger dessen Arm anzutippen. Gemischtrassige Händedrücke waren offensichtlich nicht an der Tagesordnung zu dieser Zeit.

Übrigens durfte der Anruf nach Hause, dass man noch lebe, der immensen Kosten wegen höchstens eine Minute dauern. Eine geschriebene Nachricht, die damals «Brief» hiess, benötigte eher Wochen als Tage, bis sie in der Heimat ankam.

Zur Vertiefung der musikalischen Kenntnisse besuchte Dave in den Jahren 1988/89 die Jazzschule Basel. Häufig ergab es sich, dass am Ende einer Lektion Jazz samt entsprechender Musiktheorie mit seinem Lehrer Bernhard Ley gejammt wurde. Regelmässig hiess es dann von Ley: «Stopp! Was hast du da gerade gemacht?» Ebenso regelmässig war Daves Antwort: «Keine Ahnung.» Ein Hinweis darauf, dass trotz der musikalisch verwandten Ergebnisse wohl grundsätzliche Unterschiede zwischen Blues und Jazz und der Herangehensweise der ausübenden Musiker bestehen.

«All the Way to Chicago» (D. Rutschmann)
Während und nach mehreren Reisen nach Chicago gedieh auch der Blues der «Chicago Dave Blues Band» im heimischen Baselbiet. Eine wichtige Freundschaft entstand mit Luther Allison, der sich in Paris niedergelassen hatte, dessen Bekanntschaft Dave am «Openair Nunningen» gemacht hatte. Diese Freundschaft fürs Leben, auch mit Luthers Sohn Bernard, führte zu gemeinsamen Konzerten in der ganzen Schweiz und in Paris (Le Petit Journal, Montparnasse).

1991 spielten Bernard Allison sowie auch Cla «Lazy Poker» Nett auf der ersten CD der «Chicago Dave Blues Band» «Nothin’ But the Blues» als Gäste.

Die Kontakte, die sein Manager Louis van der Haegen als umtriebiger Organisator unzähliger Blues-Events in der Region, so auch des Blues Festivals Basel, zu vielen Grössen des Blues pflegte, führten auch zu weiteren interessanten Zusammenarbeiten der Band mit international bekannten Musikern.

Auf Chicago Daves Suche nach neuen musikalischen Werkzeugen und Stilmitteln entstand der Song «Crossroad» (D. Rutschmann), ein Duett mit Nubya, welcher zum Titelsong der 1999 produzierten CD wurde. Auf Chicago Daves erklärter Lieblings-CD gab unter anderen auch der Keyboarder «Hene» Wirz dem sich erneuernden Sound der Blues Band frische Impulse. Auf diesem Album erschien der von Dave geschriebene musikalische Nachruf zu seinem kurz zuvor verstorbenen Freund Luther Allison, der wunderschöne Song «Tribute to the King» (D. Rutschmann) mit einer extrem gefühlvollen Sologitarre und einem beeindruckenden Posaunensolo. Verantwortlich für die Produktion zeichnete Giovanni Dolci, assistiert von Henry Jörin an der Tontechnik.

Ein weiterer Höhepunkt in der Geschichte der Band entwickelte sich aus der Zusammenarbeit mit Jimmy Johnson, der die «Chicago Dave Blues Band» als Begleitband für seine Konzerte in der Schweiz buchte.

«Chicken Head» (Carter, Rush) ist ein markanter Blues-Titel aus dem Konzertprogramm, mit dem Jimmy Johnson und die «Chicago Dave Blues Band» Anfang der Nullerjahre durch die Schweiz tourte. Jimmy Johnson hatte für das Konzertprojekt den vor Jahrzehnten aus Basel emigrierten Saxofonisten Sam Burckhardt aus Chicago mitgebracht, dessen Spiel den Sound der Band zusätzlich veredelte. Am Basler Bluesfestival 2002 wurde in dieser Besetzung das Live-Album «Brothers» aufgenommen.

«Breaking Up Somebody’s Home» (A. King)
2003 löst sich die «Chicago Dave Blues Band» auf, und Dave vertieft sich beim Homerecording in neue Ideen und verliebt sich dabei in den Bass, den er beim Selberspielen aller Instrumente zwangsläufig näher kennenlernte. Die Verzückung ging so weit, dass er 2010, zum Leidwesen einiger Chicago-Dave-Fans, bei seiner Formation «Plu(e)s Funk» als Bassist amtete. Die Bühne bleiben lassen konnte er schon früher nicht mehr und spielte eine Zeit lang bei «Hammonds Hammer Band» und bei «Arjey & The Doubleviews». Auf dem Compilation-Album «The Waldenburg 1» wurde 2014 sein süffiger Reggae-Lovesong «Angel-Faced Woman» veröffentlicht.

«Ice pickin’» (A. Collins)
Nun hatte sich Dave an der Bassgitarre genügend ausgetobt, sich genügend erfreut am entspannten Grooven mit dem Drummer im Hintergrund, ohne irgendwelchen Chefaufgaben oder Bühnenfrontpflichten nachkommen zu müssen. Die Folge: Seit 2018 spielt «Mo’Blues» wieder «mehr Blues» mit Chicago Dave, Gesang/ Gitarre; Nadia Diriwächter, Gesang; Simon Spinnler, Sax/Bluesharp; Tomi Schwarzenbach, Keyboards; Christian Amiet, Gitarre; Bärni Spoendlin, Bass; Christoph Bürki, Drums, und das zum Beispiel am Freitag, 28. Juli, um 20 Uhr am Open Air «Jurtensommer» bei der katholischen Kirche Liestal.

Ein Ende der Geschichte ist nicht abzusehen.

Unser Autor Peter «Pek» Krattiger (Langenbruck) ist Gitarrist, Komponist, Produzent, Arrangeur, Grafiker und Kunstmaler (www.musictown.ch). Er war von 1975 bis 1992 Gitarrist der Schweizer Rockband Irrwisch.

Diskografie

«… Nothin’ But the Blues», 1991
Chicago Dave Blues Band mit Bernard Allison, Felix Hohl, Cla Nett, Liliane Michel.

«On Stage! In Honor of 15th Anniversary of the Band», 1996
Chicago Dave Blues Band

«Crossroad», 1999
Chicago Dave Blues Band mit Nubya, «Hene» Wirz, Giovanni Dolci, Roland Köppel, Urs Rudin, Werner Thommen, Jeanne-Pascale Künzli, Manu Hartmann.

«Brothers Live», 2002
Jimmy Johnson und Chicago Dave Blues Band mit Sam Burckhardt.

2008 «Hammond Hammer Band», Baselbiet
2009 «Arjey & The Doubleviews» «Hard Working»
2014 «The Waldenburg 1»

Ein Reisender, der den Blues sucht

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