David Thommen

Dieses Mal ist es die Eidgenössische Elektrizitätskommission (Elcom), die soeben das Industriegebiet Schweizerhalle bei Muttenz als einen von 17 möglichen Schweizer Standorten für ein neues Gaskraftwerk vorgeschlagen hat. Genauer geht es um ein Reserve-Gaskraftwerk, das nur dann kurzzeitig hochgefahren werden soll, wenn im Netz ein Stromengpass droht. Es war der Bundesrat, der die Elcom beauftragt hatte, ein Konzept für zwei oder drei «Spitzenlast-Gaskraftwerke» – eine Art gross dimensionierte Notstromaggregate – vorzulegen.

Engpässe bei der Schweizer Stromversorgung zeichnen sich vor allem deshalb ab, weil ein mögliches Stromabkommen mit der EU seit 2018 auf Eis liegt und der Strom-Import erschwert werden könnte, weil Deutschland – bei gleichzeitig steigendem Verbrauch in Europa – die Atomkraftwerke abstellt. In der Schweiz erscheint es deshalb als ratsam, einen höheren Selbstversorgungsgrad sicherzustellen. Energieministerin Simonetta Sommaruga (SP) macht seit einiger Zeit mit zunehmender Eindringlichkeit auf die Gefahr von Mangellagen ab 2025 aufmerksam. Versichert wird, dass auf Reserve-Gaskraftwerke jeweils nur für kurze Zeit zurückgegriffen werden solle und der CO2-Ausstoss dadurch eher gering bleibe.

Bis vor Bundesgericht
Auf den Standort Schweizerhalle für ein Gaskraftwerk hatte zuvor schon der Energieversorger Axpo ein Auge geworfen. 2019 musste dieses Projekt aber endgültig fallen gelassen werden, da die Gemeinde Muttenz hohe zonenrechtliche Hürden errichtet hatte, um den Bau eines mit fossilen Brennstoffen betriebenen Kraftwerks stark zu erschweren. Das Bundesgericht hatte das Muttenzer Anliegen letztlich gestützt.

Wenige Jahre zuvor war es die Kraftwerk Birsfelden AG mit weiteren Partnern, die ein ähnliches Projekt für die Standorte Birsfelden (Kraftwerkinsel), Schweizerhalle und Salina Raurica auf Prattler Boden geprüft hatte. Es war die Rede von einem Gaskombikraftwerk mit einer Leistung von 400 Megawatt, was etwas weniger als der Hälfte der Leistung eines Schweizer Atomkraftwerks entspricht. Die Investitionskosten wurden 2007 auf 450 Millionen Franken veranschlagt. Die Planung sah vor, dass der Betrieb im Jahr 2012 aufgenommen werden sollte. Auf diesen Zeitpunkt war eine Stromlücke vorhergesagt worden. Gebaut wurde das Gaskombikraftwerk aber nie – nicht zuletzt, weil strenge CO2-Inland-Kompensationsvorschriften in Aussicht standen.

Zuvor schon hatte sich die weite Rheinebene als Friedhof für Kraftwerkspläne erwiesen; angefangen einige Kilometer rheinaufwärts in Kaiseraugst, wo zuerst der Plan für ein ölthermisches Kraftwerk als nicht mehr zeitgemäss erschien und das daraufhin geplante Atomkraftwerk am heftigen Widerstand der Nordwestschweizer Bevölkerung scheiterte. Definitiv beerdigt wurde das Projekt 1986.

Grosses Kohlekraftwerk
Das gleiche Schicksal wie das AKW ereilte fast zur gleichen Zeit den Plan für ein grosses Kohle-Gas-Kraftwerk auf Prattler Boden. Eine solche Anlage mit einer Leistung von 250 bis 350 Megawatt war 1981 von den Kantonsregierungen beider Basel ins Spiel gebracht worden. Mit der Planung sollte bewiesen werden, dass die beiden Basel trotz ihrer dezidierten Anti-AKW-Haltung ihren Beitrag zur Lösung des Energieproblems leisten wollen. Beide kantonalen Parlamente hatten jeweils 750 000 Franken für eine Machbarkeitsstudie genehmigt. Es war geplant, in Pratteln täglich nicht weniger als 3000 Tonnen Kohle zu verstromen. Die Kohle sollte laufend über den Wasserweg nach Pratteln angeliefert und via Förderband vom Rheinufer zum Kraftwerk transportiert werden. Der Treibhauseffekt durch den CO2-Ausstoss war 1981 erst am Rande ein Thema, wie in einem Bericht der Baselbieter Regierung nachzulesen ist. In der noch auf Schreibmaschine verfassten Vorlage heisst es, dass die CO2-Konzentration in der Atmosphäre in den vergangenen 20 Jahren zwar leicht gestiegen sei, jedoch «geht die Messbarkeit klimatischer Veränderungen in der natürlichen Klimavariation unter».

In der Vernehmlassung fiel das Kraftwerk durch, zumal die Waldsterben-Debatte in Gang gekommen war. Die meisten Parteien äusserten sich dezidiert gegen Kohle. Die FDP beispielsweise hielt die Umweltbelastung und die Kosten für zu hoch, bei der CVP oder der LDP tönte es ähnlich. Die SP hingegen bekundete, weiterhin auf die «Option Kohle» setzen zu wollen, plädierte aber für ein Zuwarten mit dem Prattler Kohlekraftwerk, da sich die Technologie noch verbessern werde und in der Schweiz noch genügend Strom vorhanden sei.

Gestützt auf die Vernehmlassung beschlossen die beiden Regierungen, das Projekt «vorläufig nicht weiterzuverfolgen» – und machten neben Umweltargumenten auch die in der Region Basel verbreitete generelle Skepsis gegenüber technischen Grossanlagen geltend.

Pfand war nicht mehr nötig
Am 12. Mai 1986 stimmte der Baselbieter Landrat dem Verzicht auf das Kraftwerk abschliessend zu, meinte jedoch, «die Technologie des Einsatzes von Kohle zur Produktion von Strom und Wärme» solle weiterhin verfolgt werden. Kohle blieb damit aus der damaligen Sicht des Baselbieter Parlaments eine Möglichkeit. Die Atomkraft hingegen, die in der Nordwestschweiz zuvor schon keine Unterstützung genoss, war zu diesem Zeitpunkt komplett ausser Rang und Traktanden gefallen. Denn wenige Tage vor dem landrätlichen Nein zum Prattler Kohlekraftwerk war am 26. April 1986 das Atomkraftwerk Tschernobyl in die Luft geflogen. Der Bau eines neuen AKW in der Nordwestschweiz war damit vollends undenkbar geworden. Also konnten die beiden Basel das Pfand mit dem Kohlekraftwerk, das letztlich niemand wirklich wollte, bedenkenlos aus der Hand geben.

Und welches Schicksal erwartet den neusten Vorschlag der Elcom für ein Reserve-Gaskraftwerk in Schweizerhalle? Ist mit Widerstand zu rechnen? Die Gemeinde Muttenz, die noch 2019 vor Bundesgericht erfolgreich gegen das Axpo-Gaskraftwerk auf ihrem Gebiet gekämpft hatte, liess eine entsprechende Anfrage der «Volksstimme» bislang unbeantwortet. Die Gemeinde Kaiseraugst, die von der Elcom ebenfalls als einer von 17 möglichen Standorten für ein neues Reserve-Gaskraftwerk genannt wird (ausgerechnet auf dem einstigen AKW-Gelände), geht hingegen bereits auf die Barrikaden, wie in einem Beitrag des «Regionaljournals» von SRF zu hören war. Die Geschichte lehrt, dass die Rheinebene für Kraftwerkspläne, solange es sich nicht um Wasserkraftwerke handelt, ein schwieriger Ort ist. Falls es weiterer Beispiele bedürfte, liesse sich auch noch die 1991 an der Urne gescheiterte Kehrichtverbrennungsanlage in Pratteln anführen, die zusätzlich ebenfalls der Stromgewinnung hätte dienen sollen. Und zuletzt wurde im Vorjahr auch dem geplanten Muttenzer Windkraftwerk der Wind aus den Segeln genommen. Ein Kraftort für Kraftwerke ist die Rheinebene in der Region Basel nicht.

Ein Friedhof für Kraftwerkspläne

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