Familienwechsel

Was würden Sie wohl sagen, wenn Sie ab sofort einen neuen Familiennamen tragen müssten? Eine genaue Analyse Ihres Erbguts macht das nötig. Das ist vielen Pflanzenarten so passiert. Zum Glück sind Pflanzen weniger empfindlich als wir Menschen, obwohl sie ja nach neusten Erkenntnissen auch kommunizieren können.

Also, das «Guufechüssi» gehört jetzt zu der Familie der Geissblattgewächse und nicht mehr zu den Kardengewächsen. Die Genetiker haben herausgefunden, dass vor 50 Millionen Jahren die gemeinsamen Ureltern von Geissblatt, «Guufechüssi», Teufelsabbiss, «Moosglöggli» und Nüsslisalat gelebt haben. Alle diese Gattungen haben noch heute ein sehr ähnliches Erbgut, obwohl sie ganz anders aussehen. Sie alle haben das Erbgut der Familie Geissblattgewächse in jeder Zelle.

Der Name «Guufechüssi», was auf Standard-Deutsch Nadelkissen heisst, wird bei uns für zwei verschiedene hellblaue Wiesenpflanzen verwendet, für die Feld-Witwenblume und die Tauben-Skabiose. Die Erstere ist sehr stark behaart, wirkt eher etwas grob, hat derbe Blätter, während die zweite Art im Erscheinen sehr fein wirkt, feingliedrige Blätter hat und wenig behaart ist. Beide bilden einen kissenförmigen Blütenkopf mit vielen Blüten, ähnlich den Körbchenblütlern. Die einzelnen Blüten der Witwenblume haben vier, die der Skabiose fünf Zipfel. Daher soll angeblich auch der Name kommen – weil der Witwenblume ein Blütenzipfel fehle, sei sie verwitwet. Ob das noch gendergerecht ist? Die Feld-Witwenblume blüht eher in nährstoffreicheren Wiesen, während die Skabiose nur in nährstoffarmen, trockenen Magerwiesen und -weiden zu finden ist. Sie ist bei uns wegen den Einfamilienhäuschen an den Südhängen und den ausgebrachten mineralischen Düngern stark zurückgedrängt worden.

Ebenso stark dezimiert wurde der Teufelsabbiss, der in den Flachmooren lebt, die zu den gefährdetsten Lebensräumen gehören, die wir in der Schweiz haben. Der Name komme davon, dass die Pflanzenwurzel immer von unten her absterbe und daher ist es ja klar, dass das nur der Teufel sein kann, der sie von unten her anknabbert. Die himmelblauen Blüten bilden auch ein Köpfchen, das aber fast rund und nicht kissenförmig ist.

Für uns Botaniker ist natürlich interessant, dass das Moosglöckchen auch zu den Geissblattgewächsen gehört, denn es ist die einzige Pflanze, die den Namen des grössten Botanikers aller Zeiten (Linné) trägt (Linnaea borealis). Dieser schwedische Wissenschaftler hat unter anderem das heute noch gültige Klassierungssystem entwickelt und mehr als 7000 europäische Pflanzen als Erster beschrieben. Das zierliche Moosglöckchen hat zwei weisse glockenförmige Blüten und wächst in den subalpinen Nadelwäldern.

Das «Steiwydli» oder Geissblatt, der Nüssli- oder Feldsalat und die Karde gehören auch in diese Familie. Wenn man ehrlich ist, muss man zugeben, da gibt es keine Ähnlichkeiten, weder auf den ersten noch auf jeden weiteren Blick. Da hilft nur eine Genomanalyse, um die Verwandtschaft zu bestimmen. Es ist ja auch bei uns so, wir gleichen unseren Cousinen und Cousins auch nicht unbedingt und sind trotzdem verwandt.

Andres Klein ist Biologe. Er lebt in Gelterkinden.

AHNIG VO BOTANIK

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