Christian Horisberger

Herr Suhner, gestern erfolgte für Ihre Branche ein grosser Schritt zurück in Richtung Normalität. Wie fühlen Sie sich?
Felix Suhner: Wir sind froh, nach so langer Zeit Berufsverbot mit der Gastronomie wieder richtig starten zu dürfen. Wer hätte vor anderthalb Jahren gedacht, dass uns die Behörden jemals verbieten könnten, unsere Betriebe offen zu halten.

Sind Sie wütend auf den Bundesrat?
Nein. Aber damit, dass die Gastronomie derart lange geschlossen gehalten worden ist, bin ich nicht einverstanden. Doch in einer Pandemie ist es schwierig, die richtigen Entscheide zu treffen, und 26 Kantone, die ihre eigenen Regeln aufstellen, erleichtern die Situation nicht gerade. Die getroffenen Massnahmen waren insgesamt nachvollziehbar, in den Details wurde es für uns aber sehr schwierig: Einmal galt dies, dann das, ein nächstes Mal noch einmal etwas anderes. Das war zum Teil auch für die Gäste schwer verständlich.

Sprechen Sie etwas Bestimmtes an?
Zuletzt galt beispielsweise für Hotelrestaurants Vierertische drinnen und Sechsertische draussen. Das hiess für uns, dass wir bei einer Reservation für sechs Personen erklären mussten, dass die Gruppe bei schönem Wetter draussen zu sechst an einem Tisch sitzen darf und sich bei schlechtem Wetter drinnen auf zwei Tische verteilen muss.

War das praktikabel?
Wir waren dazu verpflichtet. Manche Gäste hielten das für verrückt. Manche verzichteten deshalb auf eine Reservation. Beispielsweise, wenn es um Geburtstage ging und sich die Gäste auf mehrere Tische hätten verteilen müssen.

Die Balance-Gruppe umfasst fünf Hotel/Restaurantbetriebe und ein reines Restaurant. Wie wirkt sich der grosse Öffnungsschritt auf Ihre Betriebe aus?
Das ist uneinheitlich: Der Hotelleriebereich unserer Häuser läuft zum Teil bereits sehr gut. In der Gastronomie, die wir nur eingeschränkt betreiben durften, holen wir nun alle Mitarbeitenden aus der Kurzarbeit. Dasselbe gilt fürs Restaurant Mürset in Aarau, das einzige reine Restaurant unserer Gruppe. Dieses hatten wir bis auf ein Take-Away-Angebot heruntergefahren.

Sind Sie bereit für den Öffnungsschritt?
Das sind wir. Er war ja relativ gut planbar: Der Bundesrat hat ihn voravisiert, die Infektionszahlen gingen zurück. So konnten wir damit rechnen.

Arbeiten Sie sofort wieder mit voller Kraft oder fahren Sie die Schritt für Schritt hoch?
Mit voller Kraft. Denn wir gehen davon aus, dass die Gastronomie sofort stark nachgefragt wird. Wir haben bereits im März/April von unseren Gästen vermehrt den Drang gespürt, wieder unter Leute zu gehen und sich endlich wieder mit einem Essen auswärts verwöhnen zu lassen. So sassen die Leute kürzlich, als es noch sehr kalt war, in dicker Kleidung auf den Terrassen, um etwas zu essen. Das war bis dahin unvorstellbar. Viele Gäste hatten auch eine Hotelübernachtung gebucht, um sich in unseren Restaurants verwöhnen lassen zu dürfen. In der «Seerose» wurde uns das sogar zu viel: Wir konnten bei dem ständigen Kommen und Gehen unserem eigenen Anspruch, den Gästen ein Wohlfühlambiente zu bieten, nicht mehr gerecht werden und legten eine Mindestaufenthaltsdauer von zwei Nächten fest.

Fürs Bad Bubendorf und das Bad Ramsach galt dies nicht?
Nein. Im «Bad Ramsach» bleiben die Gäste sogar oft länger, zwei, drei Nächte, wir haben auch gut nachgefragte Wochenaufenthalte mit den Themen Vitalität und Gesundheit.

Wie stark beeinträchtigen die noch bleibenden Auflagen Ihre Betriebe?
Sie betreffen insbesondere den Anlassbereich wie Seminare und Bankette. Es ist keine grössere Tischeinheit als vier, erlaubt, das ist eine starke Einschränkung. Ferner gilt bei Hochzeiten ein Tanzverbot.

Wie waren Ihre Hotels während des zweiten Lockdowns ausgelastet?
Unterschiedlich. Insbesondere die Betriebe im Grünen mit Wellnessbereich wie das «Bad Ramsach» oder die «Seerose» am Hallwilersee, wo man sich weg von Corona fühlen und entspannen konnte, hatten eine gute Auslastung. Andererseits fielen Seminare, Bankette und Anlässe aus, und in den Restaurants fehlten die Nicht-Hotelgäste.

Wann, denken Sie, wird wieder so etwas wie Normalbetrieb herrschen?
Wir erlebten nach dem ersten Lockdown eine sehr starke Nachfrage, und ich denke, das wird auch in diesem Sommer so sein. Anschliessend erwarte ich eine Normalisierung auf gutem, hohem Niveau. Dann entscheidet das weitere Umfeld um Corona, wie es weitergehen wird. Wir haben zwar eine gewisse Stabilisierung dank der Impfungen, aber noch ist alles sehr labil: Es steht im Raum, dass die Wirkung der Impfung nur ein halbes Jahr anhält, und kürzlich habe ich gelesen, dass Menschen trotz Impfung angesteckt wurden ... Für unsere Branche ist die Situation sehr fragil – im Gegensatz zur Bauwirtschaft, die durchgehend arbeiten konnte.

Ziehen Sie einen weiteren Lockdown für Ihre Branche in Betracht?
Ich schliesse nichts mehr aus. Wir können das nicht beeinflussen und müssen uns damit abfinden, wenn es dazu kommt. Wir müssen uns immer bestmöglich den Rahmenbedingungen anpassen und uns auf alle Eventualitäten einstellen. Nach mehr als einem Jahr haben wir eine gewisse Routine darin entwickelt, mit allem zu rechnen.

Hat diese geforderte Flexibilität Sie und Ihr Unternehmen auch weitergebracht?
Unser ganzes Team befindet sich in einer absolut ausserordentlichen Situation. Wir mussten lernen, das auszuhalten, Optimismus war und ist gefragt. Das versuchen wir in der Führung den Mitarbeitenden vorzuleben. An dieser Stelle ist es mir ein wichtiges Anliegen, meiner Frau, den Hoteliers und Gastgebern, dem gesamten Führungsteam und allen Mitarbeitenden der Balance-Familie für ihr grosses Engagement zu danken.

Wie haben Ihre Mitarbeitenden diese Situation verkraftet?
Sie war für jene, die immer arbeiten konnten, leichter zu ertragen als für die in Kurzarbeit. Der Mensch definiert sich ja auch übers Arbeiten. Wenn man das nicht darf und zu Hause hocken muss, ist das nicht leicht. Wir haben versucht, das Personal in Kurzarbeit einzubeziehen. So gingen zum Beispiel unsere Mitarbeitenden vom geschlossenen «Mürset» freiwillig aufs «Bad Ramsach», um dort auszuhelfen. Das ist etwas Wertvolles, das aus der Corona-Geschichte hervorgegangen ist.

Im Frühling letzten Jahres hatten Sie erklärt, in Ihrer bisherigen Karriere als Unternehmer noch nie Mitarbeitende in Kurzarbeit geschickt zu haben. Dazu waren Sie nun gezwungen. Haben Sie weitere staatliche Hilfe in Anspruch genommen?
Ja. Bund und Kantone haben hier gute Arbeit geleistet.

Was für Leistungen beanspruchten Sie? In welchem Umfang?
Wir haben Betriebe in unterschiedlichen Kantonen, diese sind nicht alle gleich weit, daher kann ich es noch nicht abschliessend sagen.

Wie weit ist der Kanton Baselland?
Hier haben wir ein klares Bild. Im ersten Lockdown gab es rückzahlbare Covid-Kredite. Diese haben wir im Rahmen des Möglichen fürs «Bad Ramsach» und fürs «Bad Bubendorf» beantragt und erhalten. Diese Mittel stellten unsere Liquidität für die ersten beiden Monate, während denen wir die Betriebe vollständig schliessen mussten, sicher. Für die Zeit während des zweiten Lockdowns vom 22. Dezember bis zum 19. April konnten Härtefallhilfen beantragt werden. Das haben wir für die Gastronomiesparte beider Hotels getan. Fürs «Bad Ramsach» haben wir diese bereits erhalten und fürs «Bad Bubendorf» einen ersten Teil.

Können Sie einen Betrag nennen?
Sagen wir es so: Es sind Beträge, die uns geholfen haben, gut über die Runden zu kommen und welche die behördliche Schliessung der Gastronomie abdecken. Für die Berechnung wird der Gastronomieumsatz der Vorjahre als Basis genommen und ein Fixkostensatz von 25 bis 30 Prozent subtrahiert. Dieser Betrag, bezogen auf die Anzahl Schliessungstage, ergibt die Härtefallzahlung.

Hätten Sie ohne die staatlichen Mittel überleben können?
Als gesamte Balance-Familie verfügen wir über genügend Reserven, sodass wir überlebt hätten. Darauf zurückgreifen zu müssen, wäre aber nicht korrekt gewesen, weil uns die Behörden ja ein Berufsverbot auferlegt haben. Aus unternehmerischer Sicht werden wir das Jahr 2020 abbuchen unter: mit zwei blauen Augen davon gekommen …

Das grenzüberschreitende Reisen bleibt erschwert. Wie stark sind Sie von Gästen aus dem Ausland abhängig?
Wir haben glücklicherweise einen hohen Anteil Schweizer Gäste: rund 90 Prozent. Und mit unseren Betrieben im Grünen geht es uns besser als jenen in der Stadt – vielleicht mit Ausnahme des «Bad Bubendorf» im Einzugsgebiet von Basel. Die städtischen Betriebe haben es zur Zeit schwerer, weil es einerseits weniger Besucher aus dem Ausland gibt, andererseits zieht es die Einhemischen eher ins Grüne, weg vom ganzen Corona-Zeug.

Ist diese Entwicklung «ins Grüne» nachhaltig?
Nach Corona kann nicht mehr vor Corona sein. Es wird Veränderungen geben. Das Pendel wird ein Stück zurückschwingen, aber die Wertschätzung der Natur wird bleiben.

Was wird darüber hinaus nach der Pandemie längerfristig anders sein?
Dass nicht alleine das Geld zählt, sondern auch, wie wir miteinander umgehen und wie wichtig gelebte Werte sind. Das wird verstärkt im Bewusstsein bleiben.

Haben Sie die teilweise Zwangspause Ihrer Betriebe genutzt für Konzepte, Weiterentwicklungen, allenfalls auch Renovationen oder Ausbauten?
Das Verrückte ist: Trotz zurückgefahrenen Betrieben waren wir in der Führung stärker gefordert als üblich. Wir haben selten so viel gearbeitet wie im vergangenen Jahr. Aber tatsächlich haben wir die DNA unserer Betriebe analysiert und definiert, wo wir uns weiterentwickeln wollen. Im vergangenen Sommer trieben wir in zwei Betrieben bereits wieder Renovationen und Ausbauten voran. Und fürs «Bad Ramsach» sind wir guter Dinge, dass wir mit der Planung für die Erneuerung des Wellnesbereichs einen Schritt machen können.

Mit der Lockerung jetzt ist längst nicht alles beim Alten. Es gibt weiterhin Einschränkungen. Welche Erwartungen oder Forderungen haben Sie für den nächsten Schritt an den Bundesrat?
Wir passen uns an die Rahmenbedingungen an. Die Regierung hat ihre Aufgabe und versucht, diese bestmöglich zu erfüllen, und wir machen das Bestmögliche im Rahmen dieser Vorgaben. Wenn ich einen Wunsch frei hätte, würde ich mir Achtertische in den Restaurants wünschen und bis 50 Personen in einem Saal. Dann könnten die Gäste wieder Hochzeiten feiern, die ihnen richtig Freude bereiten. Dass man noch nicht tanzen darf, begreife ich, aber zu acht an einem runden Tisch sitzen, das wäre schon chic!

Sie fordern nicht, sondern wünschen. Obwohl Corona bedrohlich für Ihr Unternehmen ist und Sie Grund hätten, sich aufzuregen, scheinen Sie nicht zu hadern. Wie schaffen Sie das?
Es bringt nichts, sich über etwas aufzuregen, das man nicht ändern kann. Wir müssen an dem arbeiten, das wir verändern können und wo wir etwas bewirken können. Alles andere ist verpuffte Energie.

Zur Person

vs. Felix Suhner hat nach einer Kochlehre und der Hotelfachschule 1994 von seinem Vater das Hotel Seerose in Meisterschwanden am Hallwilersee übernommen. Seither sind vier weitere Hotels – Bad Ramsach, Bad Bubendorf, Seehotel Sonne am Sempachersee, Seeblick Höhenhotel über dem Vierwaldstättersee und die Mürset Restaurants in Aarau dazugekommen. Die Betriebe sind zusammengefasst zur «Balance Familie».

«Wir kommen mit zwei blauen Augen davon»

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