Sander van Riemsdijk

Frau Stöcker, wie haben Sie in Ihrer Funktion den Lockdown erlebt?
Annette Stöcker: Da sich die Situation mit dem Coronavirus vor dem offiziellen Lockdown langsam zuzuspitzen begann, hatten wir bereits eine Woche vorher entschieden, unsere Kurs- und Veranstaltungsangebote herunterzufahren. Es war eine sehr schwierige Entscheidung, weil dies grosse Auswirkungen auf den Alltag der Menschen hatte. Wir wollten jedoch unsere Risikogruppen schützen.

Welche Auswirkungen waren dies?
Der Wegfall der Kurse war für viele Betroffene sehr schwierig, weil sie dadurch ihren sozialen Austausch, der in ihrem täglichen Leben einen wichtigen Platz einnimmt, nicht mehr pflegen konnten. Unseren Entscheid hat nicht jeder verstanden. Es war auch nicht einfach. Indem wir die Kursangebote aussetzten, nahmen wir ihnen selbstverständlich etwas weg, was im Alltag wichtig ist. Dies hatte ja auch Auswirkungen auf ihre körperliche und geistige Verfassung.

Wie gestaltete sich der Kontakt mit den Seniorinnen und Senioren nach dem Wegfall der Kurse und Angebote?
Wir haben die Kommunikation über die Kursleitungen weitergeführt. Diese haben die Kurse, je nach Gruppe und eigenen Kompetenzen, digital geführt oder Fotokopien und andere Materialien in den Briefkasten gelegt. Andere haben via Whatsapp den Kontakt gepflegt. Die Kursleitenden, die bei uns tätig sind, haben sich regelmässig mit den Menschen in Verbindung gesetzt, um sich nach ihrem Wohlbefinden zu erkundigen. Beratungen haben wir nur noch telefonisch angeboten. Für viele, die auf unsere Hilfe angewiesen waren, war der Verzicht auf ein direktes persönliches Gespräch sehr schwierig zu akzeptieren.

Relativ schnell nach dem Lockdown haben Sie einen Einkaufsservice eingerichtet. Wurde dieses Angebot genutzt?
Das Angebot wurde rege in Anspruch genommen. Wir haben als Erste in der Region nicht nur den Einkaufsservice angeboten, sondern auch Medikamente in der Apotheke besorgt oder sind auch mit dem Hund Gassi gegangen. Wir haben uns mit der Zeit mit vielen anderen Angeboten im Baselbiet vernetzt. Wir bekamen viel Unterstützung von Vereinen und erfreulicherweise in der ersten Woche nach dem Lockdown auch von vielen Jugendlichen, die sich spontan für einen Einsatz meldeten.

Wie sind Sie den Ängsten, Unsicherheiten und dem Gefühl der Einsamkeit bei den älteren Menschen begegnet?
Als wir festgestellt hatten, dass im Lauf der Zeit das Einkaufen nicht mehr so wichtig war, sich dafür aber unter anderem die Isolation und damit grössere Angstgefühle bemerkbar machten, haben wir reagiert. Dies auch, weil die älteren Menschen gelegentlich auf der Strasse mit der Aufforderung «zu Hause zu bleiben» massiv angepöbelt wurden. Da sich ihre Gesundheit verschlechterte und ihre Alltagsstruktur weggebrochen war, haben wir im Mai und im Juni die Einkaufs-Hotline in eine Sorgentelefon-Hotline umgewandelt. Mittels eines Pikettdiensts standen unsere Sozialarbeiterinnen und-arbeiter für telefonische Kontaktaufnahmen zu Bürozeiten zur Verfügung. Unterdessen ist diese Hotline in Kooperation mit dem Gesundheitsdepartement in eine Hitze-Hotline umfunktioniert worden. Wir versuchen generell, sehr schnell auf aktuelle Herausforderungen zu reagieren.

Was ist aus der Pandemiekrise positiv zu werten?
Die Solidarität zwischen den Generationen hat mich sehr berührt. Auch unter uns Mitarbeitenden. Positiv ist in solch einer Krise zu sehen, wer dasteht, um den Mitmenschen beim Meistern der Krise zu helfen. Ältere Menschen haben, auch gezwungenermassen, im Umgang mit der digitalen Welt grosse Fortschritte erzielen können, indem sie durch die Kursleitungen telefonisch angeleitet wurden.

In der Coronakrise sind viele Angebote stillgestanden. Werden alle wieder hochgefahren?
Vergangenen Monat haben wir langsam angefangen, einen Teil der Kurse und die Beratungen wieder vor Ort anzubieten. Dies im Rahmen unseres Schutzkonzepts. Ab August möchten wir unser Angebot wieder weiter ausbauen. Mit der Unsicherheit, dass man nicht weiss, wie sich die Pandemie entwickelt.

Wenn die Senioren und Seniorinnen von einer Zeit nach Corona erzählen, was hören Sie dann?
Die Menschen sind diesbezüglich eher zurückhaltend und tendenziell sehr vorsichtig. Die Pandemie hat klar eine stark nachhaltige Wirkung auf ihre Pläne.

Wie gross waren die finanziellen Verluste durch die Pandemie für die Stiftung?
Von März bis Juni haben wir etwa 1 Million Franken Verlust verzeichnet. Viele Einnahmen sind weggefallen. Unsere Ausgaben, insbesondere die personellen, blieben dafür mehr oder weniger konstant.

Zur Person

svr. Annette Stöcker ist seit zehn Jahren Mitglied der Geschäftsführung der gemeinnützigen Stiftung Pro Senectute beider Basel. Mit einem 100-prozentigen Arbeitspensum ist sie seit drei Jahren Co-Leiterin Marketing und Kommunikation und zuständig für die Bereiche Bildung und Sport mit 320 Kursleitenden. Sie ist Gestalterin und Erwachsenenbildnerin und hat Ausbildungsmanagement und Digital Marketing studiert. Sie lebt in Basel.

«Die Solidarität hat mich sehr berührt»

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