«Der Grundsatz war: Ich traue mich, alles zu fragen»

  30.04.2020 Region, Sport

Sebastian Wirz

Frau Degen, die Finanzierung des nun vorliegenden Buchs haben Sie und die vier Co-Autorinnen per Crowdfunding zusammengekratzt. Wenige Tage nach der Veröffentlichung waren aber bereits so viele Exemplare verkauft, dass eine zweite Auflage in Auftrag gegeben wurde. Haben Sie Ihr Projekt unterschätzt?
Seraina Degen:
Unterschätzt haben wir es nicht, aber die Nachfrage hat uns positiv überrascht. Auch der Verlag ist sehr erstaunt, zumal alle Bücherläden geschlossen sind und unsere Vernissage abgesagt wurde. In die Karten hat uns wohl gespielt, dass Corona den Menschen mehr Zeit zum Lesen gibt und dass die Sportredaktionen deswegen vielleicht solchen Geschichten mehr Platz geben können. Die vielen verkauften Exemplare zeigen aber ganz einfach auch, dass das Bedürfnis nach diesem Buch gross war. Das Buch ist in der ersten Auflage so gut wie ausverkauft. Das ist unglaublich.

Einige Sportlerinnen, deren Geschichte Sie für «Vorbild und Vorurteil» aufgeschrieben haben, kannten Sie nicht persönlich und es gab nur die Vermutung, dass diese Frauen lieben. Wie muss ich mir die Kontaktaufnahme vorstellen?
Das waren teilweise schon schwierige Anfragen. Mein erstes Telefonat mit Barbara Ganz bleibt unvergessen: Sie fragte sofort nach: «Warum braucht es so ein Buch? Das ist doch alles kein Thema mehr. Das ist lange her.» Aber so unbequem es teilweise auch war, Kontakt aufzunehmen, so schön war danach die positive Resonanz und vor allem die Offenheit der Gesprächspartnerinnen. Ich ging mit dem Grundsatz in die Gespräche, dass ich alles fragen darf. Und es kam bei den nun gedruckten Texten tatsächlich nie vor, dass jemand sagte: «Das darfst du nicht schreiben.» Vielmehr haben sich einige Sportlerinnen gewisse Gedanken überhaupt erst in diesen Gesprächen gemacht.Teilweise fiel der Satz: «Das erzähle ich hier zum ersten Mal.» Das war für mich sehr berührend. Es fühlte sich nicht an wie ein Gespräch zwischen Journalistin und Sportlerin, es war stets eine offene und wohlwollende Stimmung.

Sie haben aber auch Frauen angefragt, die nicht mitmachen wollten.
Ja, da gab es einige. Teilweise zogen sie ihre Zusage auch zurück. Es gibt Sportlerinnen, die weiterhin nicht offen leben und in der Öffentlichkeit nicht zu ihrer Homosexualität stehen. Teilweise hat das wohl damit zu tun, dass sie ihre Sportart für konservativ halten, Angst haben, Sponsoren zu verlieren, oder ganz allgemein ihre Karriere bei einem Outing gefährdet sähen.

Die Beiträge sind in der Ich-Form verfasst. Wie war es, aus Sicht einer anderen Person zu schreiben?
Für mich als Sportjournalistin war dieser Prozess ungewohnt und zugleich sehr spannend. Die Form hat sich in Diskussionen unter uns Autorinnen herauskristallisiert: Hätten wir alle klassische Porträts geschrieben, hätte es ein Durcheinander von unterschiedlichen Schreibstilen gegeben. Zudem wirkt die Erzählung persönlicher, wenn die Sportlerin direkt redet. Es ist die richtige Form.

Wie waren die ersten Reaktionen?
Gleich mehrmals haben sich Leserinnen dafür bedankt, dass wir dieses Buch realisiert haben. Es ist ganz einfach das Erste seiner Art. Von Sportlerinnen höre ich, dass es verbindend sei, die Texte der anderen zu lesen. Und meine Mutter erzählte mir, dass sie beim Porträt über Sabina Hafner gar zu Tränen gerührt war.

 


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