Neu im Landrat: Ernst Schürch, SP, Rünenberg

Mit Ernst Schürch zieht geballte Bildungskompetenz in den Landrat ein. Porträt eines spät eingestiegenen Neupolitikers.

David Thommen

Faustball spielt er – mit einiger Leidenschaft, wie er sagt.

Ernst Schürch, der neue SP-Landrat aus Rünenberg, ist also einer, der draufhauen kann. Er ist von kräftiger Statur, einer, der auch als Schwinger eine gute Figur machen würde. Den starken Mann, der auch in der Politik jederzeit zum Hosenlupf bereit ist, gibt er beim Treffen mit der «Volksstimme» aber nicht. Ernst Schürch formuliert präzise und zurückhaltend. «Populismus ist mir fremd», sagt er einmal im Verlauf des Gesprächs.Vor allem jede Stimmungsmache rund um die Schule werde er im Parlament vermeiden.

Schule ist bei Schürch das Stichwort schlechthin. Seit 31 Jahren steht der 55-Jährige in Sek-Klassenzimmern; anfangs 15 Jahre in Gelterkinden, nun hat er soeben sein 17. Jahr in Sissach in Angriff genommen: Mathe, Deutsch, Geschichte, Geographie und Berufliche Orientierung sind seine Fächer. Seit Jahren ist Schürch zudem Präsident der Amtlichen Kantonalkonferenz der Lehrerinnen und Lehrer (AKK), die alle rund 5500 Lehrerinnen und Lehrer des Baselbiets in pädagogischen und bildungspolitischen Fragen gegenüber dem Kanton vertritt.

Schürch räumt routiniert das Missverständnis aus, das ausserhalb des Bildungsmilieus vermutlich immer aufkommt, wenn es um die AKK geht: «Nein, das ist keine Lehrer-Gewerkschaft.» Die AKK wurde einst kurz nach der Kantonsgründung ins Leben gerufen, um den Lehrern bei der Erarbeitung des Lehrplans eine Mitbestimmung zu ermöglichen – und damit den zuvor starken Einfluss der Kirche eindämmen zu können. Die AKK ist seither ein beratendes Gremium für die kantonale Bildungsdirektion, die bei der Ausarbeitung fast aller bildungspolitischen Vorlagen von Anfang an dabei ist. Finanziert wird die Arbeit der Konferenz aus dem Kantonsbudget. Präsident Schürch, der das Präsidium mit einem 30-Prozent-Pensum bestreitet, ist also tatsächlich kein Gewerkschafter, sondern als «höchster Lehrer» – im Auftrag aller Lehrer – ein Berater der derzeitigen Bildungsdirektorin Monica Gschwind.

Im Unterschied zu den Gewerkschaften tritt die AKK daher auch weniger laut auf, um Anliegen der Schulen durchzusetzen. Was nicht heisst, dass die Lehrerkonferenz in der Öffentlichkeit immer nur schweigt: Sichtbaren Protest der AKK gab es beispielsweise gegen die Sparübungen des Kantons. Die AKK erlaube sich stets eine eigene Meinung, sagt Schürch. Inakzeptabel sei alles, was der Qualität des Unterrichts schade. Man sei nicht zum Konsens mit der Regierung verpflichtet. Indessen: «Gschwind macht in meinen Augen einen guten Job.»

Schule, Schule, Schule
Dass seine Aufgabe als Bindeglied zwischen Lehrern und Regierung nicht immer ganz einfach ist, glaubt man ihm aufs Wort: «Wir vertreten 5500 Lehrpersonen aller Stufen und damit 5500 ausgewiesene Bildungsexpertinnen und -experten. Dass da nicht immer alle der gleichen Meinung sind, liegt auf der Hand.»

Ernst Schürch hat im Wahlkreis Gelterkinden seinen Parteikollegen Martin Rüegg abgelöst, ebenfalls ein Lehrer. Dass der Rünenberger von seiner SP-Fraktion sofort in die landrätliche Bildungs- und Kulturkommission delegiert wurde, versteht sich fast von selbst. Dennoch: Ist das Risiko von Interessenskonflikten nicht zu gross, wenn man einerseits beratend für die Regierung tätig ist und andererseits etwas später die gleichen Vorlagen im Landrat erneut behandelt – und überdies als Lehrer auch noch persönlich von Vorlagen betroffen sein kann? Schürch winkt ab: Bildung sei zum äusserst komplexen Thema geworden. Es «vertrage» dort gut jemanden, der sich von Grund auf auskenne: «Es wird im Zusammenhang mit Bildung immer wieder viel Quatsch erzählt. Es braucht jemanden, der kompetent widersprechen kann.»

Der Bruder des Schahs
Schürch ist verheiratet, Vater dreier erwachsener Kinder und zweifacher Grossvater. Er wuchs in bescheidenen Verhältnissen auf, wie er sagt – zumindest zu Beginn. Seine Familie wohnte während seiner ersten sieben Lebensjahre in Rümlingen. Der Vater war Mechaniker und häufig in der ganzen Schweiz auf Montage unterwegs. Am Genferseee kam es zu einem verhängnisvollen Verkehrsunfall: Ein grosser Mercedes kollidierte mit dem Auto, in dem der Vater sass. Dieser war fortan invalide und starb später, als Ernst Schürch elf war – möglicherweise noch an den Unfallfolgen. «So genau untersucht wurde das aber nie», sagt Schürch heute. Denn im unfallverursachenden Mercedes sass der Bruder des Schahs von Persien. Es sei kurz nach dem Unfall «ordentlich Geld geflossen», um diplomatische Schwierigkeiten zwischen der Schweiz und dem Iran zu vermeiden. Schürch zuckt heute mit den Schultern: «Jedenfalls konnten sich meine Eltern quasi aus dem Nichts ein Einfamilienhaus leisten.»

Die Familie zog nach dem Unfall in den Berner Aargau. Schürch kehrte erst als junger Mann ins Baselbiet zurück, als er das Lehrerpatent in der Tasche und in Gelterkinden eine Stelle gefunden hatte. Als Arbeitersohn habe er stets etwas gewerkschaftlich gedacht, sagt er. Der SP beigetreten ist er aber erst vor rund drei Jahren. Anlass seien die oben schon erwähnten Sparübungen des Kantons gewesen: «Da wollte ich Farbe bekennen.» Kam hinzu, dass sich abzeichnete, dass die SP im Wahlkreis Gelterkinden weniger gut aufgestellt ist als auch schon und er sich Chancen auf einen Landratssitz ausrechnen durfte. Rechnen kann Schürch als Mathelehrer – er machte Ende Februar auf seiner Liste das klar beste Resultat.

Sinnvolle Neuerungen
Was wird sein erster Vorstoss sein, wenn der Landratsbetrieb wieder richtig läuft? «Ich habe mir noch nichts vorgenommen», sagt er. Gelegentlich werde er aber wohl die Frage aufwerfen, ob das 2002 in Kraft getretene kantonale Bildungsgesetz einer Teil-, wenn nicht sogar einer Totalrevision unterzogen werden müsste. Die Realitäten in der Schule hätten sich zum Teil stark geändert. Ein anderes Anliegen: «Es braucht wieder mehr Zeit, um unterrichten zu können.» Im Baselbiet müsse zu viel Schulstoff in zu kurzer Zeit vermittelt werden. Auf unsere Nachfrage, ob es etwa zu viele Schulferien gibt, schweigt Schürch lange. Und sagt dann: «Fakt ist, dass in den vergangenen 15 Jahren sechs Schultage zugunsten von mehr Ferien verloren gegangen sind.» Mehr wolle er dazu im Moment nicht sagen.

Keine Verstärkung wird Schürch für die Baselbieter Organisation «Starke Schule» sein, die Initiative um Initiative zu Schulthemen an die Urne bringt. Er teile die Meinung zwar, dass im Schulwesen zu viele Reformen gleichzeitig angestossen worden seien, sagt er. Das Ziel der «Starken Schule», die bei der Lehrerschaft recht grosse Zustimmung geniesst, sei jedoch allzu häufig, dass sich gar nichts verändere. Viele Lehrer seien tendenziell zwar «etwas links», gleichzeitig aber auch «recht konservativ», was die Umsetzung selbst sinnvoller Neuerungen manchmal erschwere.

Nein, draufgehauen hat Ernst Schürch bis zum Ende unseres Gesprächs nicht. Draufgehauen wird bei der Männerriege Lausen und bei der EBL im Firmensport. Er spielt in beiden Faustballmannschaften mit. Leidenschaftlich, doch das haben wir eingangs schon erwähnt.

Der Bildungspolitiker

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