1918 fordert die Spanische Grippe 418 Tote

vs. Vor 100 Jahren erreicht die Spanische Grippe auch im Oberbaselbiet ihren Höhepunkt. Tausende erkranken an der Grippe, die auf der ganzen Welt wütet. 418 Tote fordert sie im Oberbaselbiet. Die Behörden sind hilflos. «Es fehlt eben überall an Ärzten und Pflegepersonal», schreibt der Baselbieter Polizeidirektor Adolf Brodbeck 1918 in einem Brief an den damaligen Sissacher Gemeindepräsidenten Hans Hodel-Fricker.

Trotzdem versucht die Bevölkerung, sich so gut es geht um die Kranken zu kümmern. So entsteht in den Räumen der Primarschule Sissach ein Notspital.

Als das Schulhaus zum Spital wurde

Vor 100 Jahren erreichte die Spanische Grippe ihren Höhepunkt

Im Jahr 1918 hat die Spanische Grippe im Baselbiet 418 Personen dahingerafft. Bevölkerung und Behörden waren extrem gefordert. In Sissach entstand im Herbst 1918 ein Hilfsspital.

Robert Bösiger

«Gestützt auf meine telefonische Mitteilung bitte ich Sie dringend, das Notwendige zu besorgen, dass Sissach und Umgebung ärztliche Hilfe zuteil wird. Die beiden Ärzte von Sissach sind grippekrank. Herr Dr. Rippmann, der trotz seines hohen Alters in anerkennenswerter Weise einspringt, kann die Arbeit für mehrere Ärzte nicht allein besorgen. Wir haben eine grosse Anzahl schwerer Grippefälle und täglich 1-2 Todesfälle.»

Wer dies mit Brief vom 19. Oktober 1918 an den Baselbieter Polizeidirektor Adolf Brodbeck schreibt, ist Sissachs Gemeindepräsident Hans Hodel-Fricker. Er schliesst seinen Brief mit dem eindringlichen Satz: «Wenn meinem Gesuche nicht entsprochen wird, könnte die Sache zur Katastrophe auswachsen und müsste ich jede Verantwortlichkeit ablehnen.»

Eine Woche später kommt die schriftliche Antwort von Regierungsrat Brodbeck, der sich selber auch kaum zu helfen weiss. Er entsendet einen Arzt aus dem Kantonsspital nach Sissach und schreibt: «Es fehlt eben überall an Ärzten und Pflegepersonal.»

Im Herbst 1918 – also vor 100 Jahren – erreicht die «Spanische Grippe» in unserer Region ihren Höhepunkt. Zu Tausenden siechen die Menschen an der Grippe, täglich kommt es zu Todesfällen. So auch in Sissach. Aus Liestal ergehen alle paar Tage Weisungen, die im Nachhinein ahnen lassen, wie ratlos die Kantonsbehörden der um sich greifenden Epidemie gegenüberstehen. Erst im September des Jahres 1918 erlässt die Regierung, gestützt auf einen Bundesratsbeschluss, einen Beschluss zur Bekämpfung der Influenza.

So werden eine Reihe von Verboten erlassen: Alle Fest- und Vergnügungsveranstaltungen, die zu grösseren Menschenansammlungen führen – Volksfeste, Theateraufführungen, Konzerte, kinematographische Vorstellungen,Tanzanlässe jeglicher Art – werden bis auf Weiteres untersagt. Ebenfalls müssen alle Volksversammlungen und Märkte abgesagt werden.

Hilfsspital im Schulhaus
Mit Brief von 23. Oktober 1918 weist der Baselbieter Regierungsrat die Gemeinden an, selbst Notunterkunftsräume für Grippekranke, die zu Hause nicht gepflegt werden können, zu beschaffen und einzurichten. Wörtlich heisst es: «Wir empfehlen Ihnen, in geeigneten Liegenschaften zum Beispiel Schulhäusern oder in leerstehenden Privathäusern nach Weisung der Ärzte und unter Mitwirkung von Samariterorganisationen … ein oder mehrere Notkrankenzimmer, in grösseren Gemeinden eigentliche Notspitäler einzurichten und das nötige Pflegepersonal zu bestimmen.»

Der Gemeinderat von Sissach handelt und richtet ein Hilfsspital in den Räumlichkeiten des Primarschulhauses ein. Die Betten werden von der Zunzger Firma Eisenmöbelfabrik Theodor Breunlin & Co. zur Verfügung gestellt. Und ein vom Gemeinderat in der «Volksstimme» annoncierter Spendeaufruf zeigt Wirkung: Nützliche Gerätschaften, Bettwaren, Kleider und Lebensmittel werden gespendet. Gemeindepräsident Hodel schreibt in einem «Eingesandt»: «Der Opfersinn der Einwohnerschaft hat sich bei dieser Gelegenheit wieder einmal glänzend bewährt.»

Doch die Suche nach Pflegepersonal gestaltet sich schwierig. Auch, weil viele Sissacherinnen und Sissacher mit Grippe zu Hause liegen und die Angehörigen alle Hände voll zu tun haben, nach den eigenen Leuten zu schauen. So sieht sich Gemeindepräsident Hans Hodel einmal mehr genötigt, auswärts um Hilfe zu ersuchen. Er schreibt Ende Oktober 1918 an die Rotkreuz-Pflegerinnenschule in Bern: «Wir gestatten uns, mit dem Gesuche um Zuweisung einer Rotkreuzschwester an Sie zu gelangen. Die Grippe hat in unserer Ortschaft derartige Dimensionen angenommen, dass die Errichtung eines Hilfsspitals im Schulhaus notwendig wurde, welches heute schon über 20 Personen beherbergt. Unsere Gemeindekrankenschwester hat vollauf Arbeit mit den Schwerkranken, die zu Hause verpflegt werden. Für das Hilfsspital fehlt uns eine fachmännisch gebildete Krankenschwester, die die Leitung des durch den hiesigen Samariterverein gestellten Hilfspersonals übernehmen könnte.»

Singen untersagt
Weil Anfang November 1918 die Influenza-Epidemie einen neuen Höhepunkt erreicht und allein in der ersten Novemberwoche 49 Todesfälle fordert und bis 1800 Neuerkrankungen gemeldet werden, ergreift die Polizeidirektion am 4. November nochmals drastische Massnahmen. Neben den bereits erlassenen Verboten werden nun auch noch die Gottesdienste insofern beschränkt, als dass zumindest das Singen untersagt ist. Zudem wird das Gottesdienstpublikum angehalten, nicht gedrängt zu sitzen. Verboten werden Märkte – so auch der Sissacher Vieh- und Herbstmarkt 1918 –, Gesangsstunden, «unnötige Wirtshausbesuche», Vereinssitzungen und jegliche Art von Vergnügungsanlässen. Und die Beerdigungen sollen ohne «Leichengeleite» stattfinden.

Immerhin, die Massnahmen tragen Früchte und die Grippewelle flaut langsam ab. Mitte November 1918 kann man in Sissach das Notspital wieder schliessen.

Spanische Grippe

rob. Die Spanische Grippe war eine Pandemie, die durch einen ungewöhnlich virenten Abkömmling des Influenzavirus verursacht wurde und zwischen 1918 und 1920 mindestens 25 Millionen, anderen Quellen gemäss sogar 50 Millionen Todesopfer oder mehr weltweit forderte. Die bisher schlimmste Influenza-Pandemie der Geschichte forderte mehr Todesopfer als der von 1914 bis 1918 dauernde Erste Weltkrieg.
Eine Besonderheit der Spanischen Grippe war, dass ihr vor allem 20- bis 40-jährige Menschen erlagen, während Influenzaviren sonst besonders Kleinkinder und alte Menschen gefährden. Der Name entstand, nachdem die ersten Nachrichten über diese Seuche aus Spanien kamen.
Der Krankheitsverlauf war heftig und kurz und ging mit starkem Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen einher. Zum Tod führte häufig eine Lungenentzündung.

Als die Primarschule ein Spital war

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