«Wenn die Familie nicht mitzieht, geht es nicht»
23.01.2025 Volleyball, SportDie Sissacher Zwillingsschwestern Sarah und Talia Jordan meistern den Balanceakt Schule und Spitzensport
Bereits im Kindesalter hat sich bei Talia und Sarah Jordan aus Sissach gezeigt, dass sie Talent haben – im Volleyball und im Schwimmen. Beide werden gefördert und kommen so ihrem Traum vom Profi-Sport näher. Für Mutter Barbara Widmer ist es wichtig, keinen Druck zu machen.
Luana Güntert
Frau Widmer, wann haben Sie gemerkt, dass es Ihre Töchter Sarah und Talia in den Spitzensport ziehen könnte?
Barbara Widmer: Das hat sich einfach mit der Zeit ergeben. Meine Töchter besuchten als kleine Kinder beide den Schwimmkurs. Talia hatte Freude daran und wurde daraus selektioniert für die erste Gruppe des Schwimmklubs Liestal. Dort konnte sie sich dann stetig verbessern und so in immer bessere Trainingsgruppen wechseln. So rutschte sie dann irgendwann in den Spitzensport.
Und wie war es bei Sarah?
Barbara Widmer: Sarah entdeckte am Schnuppersporttag des Sportamts das Volleyballspielen für sich. An diesem Tag können Kinder gratis verschiedene Sportarten ausprobieren, um herauszufinden, was ihnen gefällt. Im Volleyball war sie aber auch etwas vorbelastet, da ich früher selber gespielt habe und sie den Sport dadurch gekannt hat. Auch Sarah war talentiert und konnte sich so bei verschiedenen Vereinen hochspielen, sodass sie jetzt beim BTV Aarau in der Nationalliga B spielt.
Sarah Jordan: Genau, ich wollte mich schon jung entwickeln und gefördert werden. Ich war schon als Kind kompetitiv veranlagt und wollte gewinnen. Nachdem ich zuerst beim VBC Gelterkinden gespielt hatte, wechselte ich nach Basel, wo ich immer besser wurde, und von dort nach Aarau. In Aarau besuche ich auch die Sportklasse an der Kantonsschule – also dem Aargauer Gymnasium.
Barbara Widmer: Einen Anteil hatte sicher auch der enorme Bewegungsdrang, den Talia und Sarah hatten. Durch den Sport konnten sie sich austoben.
Ist der Spitzensportalltag in einem anderen Kanton für Sie und Ihre Familie eine Herausforderung?
Sarah Jordan: Nein, eigentlich nicht. Ich habe ein Generalabonnement und bin selbstständig mit dem öV unterwegs. Das geht sehr gut, einige meiner Teamkolleginnen kommen aus der Region Basel oder von noch weiter weg – so können wir immer zusammen nach Aarau fahren. Die Verbindungen von Sissach nach Aarau sind ideal, die Schule liegt zudem direkt neben dem Bahnhof. Was manchmal schwierig sein kann, sind die Phasen mit vielen Spielen und gleichzeitig Prüfungen und Hausaufgaben.
Barbara Widmer: Das ist aber alles auch nur möglich, weil die Systeme aufeinander abgestimmt sind. Wenn Sarah und Talia die «normale» Schule besuchen müssten, wäre das nicht umzusetzen. Meinem Empfinden nach ist neben dem Druck die Erholung das, was bei meinen Töchtern manchmal zu kurz kommt.
Nehmen Sie sich als Familie bewusst Zeit, das Leben ausserhalb des Sports zu geniessen?
Barbara Widmer: Während der Saison kommt es fast nie vor, dass wir alle zu Hause sind. Sarah hat jedes Wochenende ein Spiel und Talia hat häufig Wettkämpfe, die am Freitag schon beginnen und über das ganze Wochenende dauern. Wenn wir dann einmal zusammen essen können, kommt meistens jemand später oder muss während des Essens gehen. Neben Talia und Sarah haben wir noch ein drittes, jüngeres Kind. In den Sommerferien hatten wir als Familie jedoch die Gelegenheit, ein paar Ausflüge zu machen. In die Ferien fahren können wir meist erst im Herbst, da es im Sommer nicht passt.
Was gibt Ihnen der Spitzensport zurück?
Sarah Jordan: Über mein Team und das Volleyball konnte ich viele Freunde finden. Ich mag auch die Stimmung in der Sportklasse – alle haben ein Ziel und sind ambitioniert. Zudem konnte ich durch den Sport schon an viele Orte reisen, an die ich sonst nie hin gekommen wäre. Sei es im Trainingslager oder mit dem U20-Nationalteam. Ich bin auch in der ganzen Schweiz mit Kolleginnen und Kollegen verknüpft, überall kenne ich jemanden.
Barbara Widmer: Meine Mädchen wollten dieses Leben, und wir kennen es nicht anders. Wir als Eltern sind stolz und unterstützen den weiteren Weg, den die beiden gehen möchten. Das heisst aber nicht, dass wir als ganze Familiensippe an jeden einzelnen Wettkampf gehen und nichts anderes mehr tun (lacht). Schwimmen ist für mich als Zuschauerin immer etwas schwierig, weil ein Rennen oft nach 30 Sekunden vorbei ist. Im Volleyball ist das anders und ich kann ein ganzes Spiel verfolgen.
Talia Jordan: Für mich und für uns als Zwillinge ist es auch toll, dass wir durch unsere zwei unterschiedlichen Sportarten viele Leute kennenlernen, die teilweise eine von uns schon kennen. So gehe ich mit Menschen zur Schule, die Sarah vom Sport her kennt. Wir werden auch oft verwechselt, wenn wir zum Beispiel am Bahnhof warten.
Barbara Widmer: Wichtig ist hier auch zu betonen, dass sich bei uns nicht alles nur um den Sport dreht. Wir reden oft über ganz andere Themen und haben normale Alltagsprobleme wie jede andere Familie auch.
Apropos Zwillinge: Wie können Sie als Zwillingsschwestern im Sport voneinander profitieren?
Sarah Jordan: Wohl nicht so stark, wie viele denken. Wir sehen uns fast nie – ich muss meist vor Talia das Haus verlassen. Manchmal komme ich von der Schule nach Hause und frage unsere Mutter, wo Talia ist. Dann erfahre ich, dass Talia seit zwei Tagen im Trainingslager weilt (lacht).
Barbara Widmer: Ich denke aber, dass ihre beiden Leben nicht wirklich vergleichbar sind: Sarah ist in einer Teamsportart aktiv – das ganze Team gewinnt oder verliert. Bei Talia ist es nur sie, ausser natürlich sie schwimmt in der Staffel.
Talia Jordan: Unsere Leben sind sehr unterschiedlich. So war Sarah zum Beispiel schon ab der 2. Sekundarschulklasse in einer Sportklasse – ich erst ab dem Gymnasium. Auch jetzt unterscheidet sich unser Schulstoff, da wir in anderen Kantonen die Matur machen und somit nicht immer dieselben Themen behandeln.
Wie gross ist in Ihrem Fall der Anteil der Familie am Erfolg der Töchter?
Sarah Jordan: Sehr, sehr gross, würde ich sagen. Ohne Familie geht es nicht.
Barbara Wider: In der Bekanntschaft haben wir auch Kinder, die Talente waren, aber irgendwann aus dem Leistungssport «ausgestiegen» sind, weil die Eltern keine Zeit oder Lust mehr hatten, ihre Kinder mehrmals wöchentlich ins Training oder an Wettkämpfe zu fahren. Wir holen Talia jeden Abend in Liestal ab, weil es sonst einfach zu spät würde. Das gehört dazu. Wir unternehmen an den Wochenenden selten etwas, da unsere Töchter Wettkämpfe haben. Andere Familien gehen regelmässig Skifahren oder in den Europapark. Ich sage das nicht, um zu zeigen, wie viel wir für unsere Kinder machen, sondern um die Realität darzustellen. Wenn die Familie nicht mitzieht, geht es nicht.
Sarah Jordan: Die Familien meiner Teamkolleginnen sind so wie wir. Sonst hätten sie es gar nicht bis dahin geschafft.
Und wie gross ist der Anteil der Sportförderung an Ihren Erfolgen?
Talia Jordan: Ich denke, dass der ganze Trainingsumfang so nicht möglich wäre, wenn ich ihn neben einem «normalen» Gymnasium-Stundenplan bewältigen müsste.
Barbara Widmer: Genau, sonst müsstest du ja um 4 Uhr morgens bereits am Schwimmen sein ...
Sarah Jordan: Im Aargau ist es so, dass es nur die Sport-Kanti sowie die Sport-Lehre gibt und somit weniger Möglichkeiten als im Baselbiet. Bei mir im Volleyball gibt der Verband vor, dass wir an die Kanti gehen müssen, um beim Bürgerturnverein Aarau zu spielen und so schulisch und sportlich gefördert werden zu können. Das ist mir aber recht so, denn ich habe schon von einigen mitbekommen, dass eine Sport-Lehre sehr anstrengend sein kann, weil die Lehrbetriebe teilweise wenig Rücksicht auf die Lernenden nehmen – obwohl sie eine Sportlehre machen. Ich bin dankbar, dass ich in der Sportklasse sein und davon profitieren kann. Am Nachmittag habe ich keine Schule mehr, da es dann bei uns die sogenannte individuelle Lernzeit gibt und ich mir in dieser Zeit den Schulstoff so flexibel einteilen kann.
Welchen Tipp würden Sie Familien mit kleineren Kindern geben, die im Sport Talent haben und möglicherweise Profi werden wollen?
Barbara Widmer: Die Kinder und Jugendlichen sollen den ganzen Weg zum Profi Schritt für Schritt nehmen. Sich kleine konkrete Ziele setzen oder einfach für sich sagen, dass man besser werden will. Zudem sollten sich die Kinder nicht unter Druck setzen. Wir haben von unseren Töchtern nie irgendeine sportliche Leistung gefordert oder ihnen Ziele vorgegeben. So etwas nimmt Kindern die Freude an der Bewegung.
Sarah Jordan: Natürlich haben die Kinder die grossen Ziele im Hinterkopf, sie wollen es in die Nati A oder sogar ins Ausland schaffen. Sie sollen sich aber auf kurzfristige Ziele fokussieren, zum Beispiel auf das, was sie in der laufenden Saison erreichen wollen. Bei mir ist es aktuell so, dass ich mir vorgenommen habe, es wieder in das Kader der U20-«Nati» zu schaffen.
Zu den Personen
lug. Die Sissacherin Talia Jordan ist 17 Jahre alt. Vor 11 Jahren fand sie durch einen Kurs ihre Liebe zum Schwimmen. Sie ist Mitglied des Schwimmklubs Liestal und besucht die Sportklasse am Gymnasium Liestal. Seit 2020 gehört sie zum Nordwestschweizer Regionalkader. 2022 wurde sie Jugend-Schweizermeisterin über 50 Meter Freistil und Vizemeisterin über 100 Meter Freistil, 2023 und 2024 gewann sie Silber in der Elitekategorie über 50 Meter Freistil. Talia Jordan konnte zudem schon an Jugend-Europameisterschaften teilnehmen.
Talias Zwillingsschwester Sarah Jordan Spielt Volleyball. Aktuell ist sie beim BTV Aarau in der Nationalliga B engagiert. Zuvor spielte sie in ihrer Kindheit beim VBC Gelterkinden und danach in Basel beim SC Gym Leonhard. Sarah Jordan wurde schon für das U20-Nationalteam aufgeboten. Zum Volleyball kam sie durch den Schnuppersporttag und ihre Mutter Barbara Widmer.