Tradition und Wandel qualitativ dargestellt

  24.10.2024 Oltingen

Ausstellung im «Ochsen» dokumentiert die Geschichte des Traditionshauses

Mirjam Hildbrand und Carla Gysin vom Verein Kulturgut Dorfbeiz in Oltingen präsentieren die Ausstellung «Tradition & Wandel im Gasthaus Ochsen». Die Ausstellung vermittelt einen Blick auf die Vergangenheit des Hauses, das 1589 erbaut wurde. Die Ausstellung dauert bis Mitte Mai 2025.

Willi Wenger

Die Ausstellungsmacherinnen Carla Gysin und Mirjam Hildbrand inszenieren im Säli des «Ochsen» in Oltingen eine berührende Ausstellung, die dem Traditionshaus gerecht wird. Sie wirft einen Blick in die Vergangenheit des vor 435 Jahren erbauten Gasthauses. «Das dokumentiert eine steinerne Schrifttafel über dem Hauseingang», sagt die promovierte Kulturwissenschaftlerin Hildbrand, die den «Ochsen» gemeinsam mit Markus Stocker führt. Als Gastgeber verwöhnen sie Gäste aus der Umgebung von Oltingen, aber auch aus der Agglomeration mit kulinarischen Köstlichkeiten.

Der Verein Kulturgut Dorfbeiz machte anlässlich der Vernissage deutlich, dass er den Betrieb nicht «nur» traditionell führen will. «Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, über mögliche zeitgemässe Funktionen von Dorfbeizen und letztlich über entsprechende Betriebsmodelle nachzudenken», blickt Hildbrand in die Zukunft des «Ochsen».

Dass der «Ochsen» zweifellos auch ein kulturelles Highlight ist, wurde am vergangenen Sonntag deutlich. Die Ausstellung zeigt, was sich im Lauf der Jahrhunderte auf dem Gelände getan hat. Allerdings: Die im Säli im ersten Stock präsentierten Objekte erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Im Gegenteil: Die beiden Macherinnen Gysin und Hildbrand betonten, dass sie sich freuen würden, wenn die Ausstellung in den kommenden Wochen und Monaten weiter wachsen würde. «Wir verstehen das Ganze als Einladung, vielleicht Vergessenes zu sammeln, Erinnerungen, Anekdoten und Geschichten, aber auch materielle Spuren wie Fotografien, Postkarten, Zeitungsartikel oder Ähnliches», sagte Hildbrand in ihrer Begrüssungsrede vor dem interessierten Publikum.

Unterkunft für Kinder und Armee
Der «Ochsen», der seit seinem Bestehen immer wieder wechselnde Pächter und Pächterinnen hatte, die oft nebenbei noch eine Landwirtschaft betrieben, wurde als Gasthaus immer wieder renoviert und umgebaut. So diente er früher auch als Unterkunft für Kinderferienlager oder im Zweiten Weltkrieg für die Armee. Grundsätzlich ist es bis heute eine Erfolgsgeschichte, die fast ununterbrochen von Wirten, Köchen, Musikern und vielen anderen sowie den zahlreichen Gästen aus nah und fern mit Leben erfüllt wurde.

Dokumentiert wird dies, quasi als Highlight der Ausstellung, durch die Kassen- und Nachtbücher, die 1958 von den damaligen Wirtsleuten Willi und Josi Gysin-Melotti im Keller gefunden wurden. «Diese sind für uns ein wichtiger Aufhänger der Ausstellung», freut sich Hildbrand. Die historischen Bücher enthalten Einträge aus 60 Jahren, von 1898 bis 1958.

Was ist eine Dorfbeiz?
Auch diese Frage wurde an der Vernissage diskutiert. Für den «Ochsen» gilt, dass er ohne seine kulinarischen Highlights und sein viel beachtetes Kultur- und Veranstaltungsprogramm nicht überleben könnte. Stocker erwähnte, dass viele Gäste aus der Stadt Basel und ihren Agglomerationsgemeinden, aber auch aus Aarau und Olten immer wieder gerne nach Oltingen kämen. Diese seien für den «Ochsen» überlebenswichtig, so Stocker weiter. Hildbrand ergänzte im Gespräch mit der «Volksstimme», dass das Gasthaus damit auch als Brückenbauer zwischen Stadt und Land diene.

Lange vor dem «Ochsen» soll nach den von Hildbrand gesammelten Quellen bereits 1276 eine Taverne in Oltingen bestanden haben. Für die Zeit um 1500 ist von einer Maienwirtschaft und einer Wechselwirtschaft die Rede, das heisst von einem saisonalen Betrieb, respektive einem Wechsel des Wirtes im Zweijahres-Rhythmus. In dieser Zeit und noch bis ins 19. Jahrhundert hinein wurde das Gastrecht, das sogenannte Privileg, von Vögten, Grafen oder Grundherren kontrolliert und vergeben.

Neben dem 1589 erbauten Gasthaus Ochsen, etablierte sich um 1700 der «Hirschen» in der heutigen Bauerngasse 60/60a. Im 18. Jahrhundert konkurrierten der «Hirschen» und der «Ochsen» miteinander. Aufgrund der Konkurrenzsituation, so Hildbrand in ihrem Ausstellungstext, hätten sich die damaligen Betreiber regelmässig bei der Obrigkeit beschwert. Ende des 19. Jahrhunderts kam schliesslich das Gasthaus Traube im unteren Dorfteil an der Hauptstrasse 25 hinzu. Den «Hirschen» gibt es schon lange nicht mehr, die «Traube» wurde noch bis 2016 betrieben, zuletzt als Bar.

www.ochsenoltingen.ch


Ein Bild, woher die Gäste kamen
en. Im sogenannten Nachtbuch wurden die Namen, der Beruf, Heimat- und Wohnort sowie Abreise und Zielort der übernachtenden Gäste eingetragen. Die meisten kamen aus der Region: Trimbach, Sissach, Olten, Basel oder Solothurn. Manche von weiter weg, wie Zürich, Teufen oder Arbon und einige wenige von weit her. Die Angaben zu den Heimatorten belegen, dass im Lauf der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auch Gäste aus Shanghai im «Ochsen» nächtigten.
Die Spalte mit den Berufsangaben gibt darüber Auskunft, dass viele Gäste aus beruflichen Gründen nach Oltingen kamen, darunter etwa Hilfsarbeiter, Monteure oder Hausiererinnen. Die fliegenden Händlerinnen und Händler versorgten die Bewohner im abgelegenen Oltingen beispielsweise mit Stoffen und Kleidern, mit Eisen-, Holz-, Keramik- oder Glaswaren sowie mit Büchern, Heften und Schreibwaren. Und: Man kannte sich bestimmt. Viele der Händlerinnen und Händler übernachteten offenbar regelmässig vor Ort.


Das Kulturprogramm im «Ochsen»
en. Der «Ochsen» ist auch weitherum bekannt für sein Kulturprogramm. So liest etwa am kommenden Sonntag die im Baselbiet aufgewachsene Autorin Rebekka Salm aus ihrem Werk «Die Dinge beim Namen».
Im November steigen schliesslich ein Jassturnier und ein Gespräch um das Kulturgut Dorfbeiz mit dem Soziologen Ueli Mäder.
Auf der Speisekarte steht zurzeit unter anderem Wild, im November Metzgete sowie regelmässig «Ochsen Spezial», wo heute Abend die hausgemachten Ravioli von Gastgeberin Mirjam Hildbrand gereicht werden.


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