Reise zum Platz in der Gesellschaft

  20.02.2025 Bezirk Sissach, Gesellschaft, Gemeinden, Gelterkinden

Neuer Film von Anna Thommen begleitet Frau aus Südamerika in der Schweiz

Im neuen Dokumentarfilm «Naima» begleitet Filmemacherin Anna Thommen eine Migrantin auf ihrem Weg aus dem Billiglohnsektor zur ausgebildeten Pflegefachfrau. Eine eindrückliche Heldinnenreise.

Barbara Saladin

Ihr Name ist Naima. Sie stammt aus Venezuela und kam der Liebe wegen in die Schweiz. Im neuen Dokumentarfilm von Anna Thommen nimmt das Publikum am Leben einer starken Frau teil, die in ihrem Herkunftsland gut situiert und angesehen war, hier aber als Migrantin nochmals bei Null anfangen musste und immer wieder gegen Widerstände anzukämpfen hat. Das Publikum begleitet Naima durch Höhen und Tiefen ihres beruflichen und privaten Alltags, ist bei der Arbeit dabei und bei Besprechungen, bei Auseinandersetzungen mit ihren Teenager-Kindern, bei glücklichen und schwierigen Momenten, bekommt die Zweifel und Rückschläge mit und das Gefühl, ewig fremd zu sein. Am Schluss ist es ein Konzentrat aus vier Lebensjahren Naimas, die den gut anderthalbstündigen Film ergaben – eine Heldinnenreise.

«Als ich Naima kennenlernte, erzählte sie mir ihre Migrationsgeschichte, die mich sehr berührte», erklärt die Filmemacherin Anna Thommen, die in Maisprach aufwuchs. «In Venezuela war sie eine gebildete Frau aus einer gut situierten Mittelschichtfamilie, besass ein Hotel und wurde von allen respektiert. Mit der Ankunft in der Schweiz wurde sie eine Migrantin, bekam nur noch Jobs im Billiglohnsektor und man liess sie täglich spüren, dass sie nicht dazugehörte.»

Thommen entschied, einen Film über Naima zu drehen. Als diese einen Ausbildungsplatz als Pflegefachfrau ergattern konnte, war für die Filmemacherin klar: «Ich begleite Naima bis zu dem Punkt, wo sie das Diplom in den Händen hält und sich mit knapp vor 50 beruflich etablieren kann.» Das Ende der Dreharbeiten war im Jahr 2023, begonnen hatten sie im November 2019. Damals hatte Naima zwar auch viel gearbeitet, sei aber wegen ihres niedrigen Lohns trotzdem kaum über die Runden gekommen.

Thommen zeigt sich beeindruckt von der Frau, die sie am Frauenstreiktag 2019 kennengelernt hatte: «Ich spürte in Naima eine enorme Kraft, sich den Vorurteilen entgegenzustemmen und einen Platz für sich in dieser Gesellschaft zu erschaffen.

Und das interessierte mich speziell an ihr. Sie begnügt sich nicht mit der Nebenrolle im Schatten der Gesellschaft, die für sie zugedacht ist, sondern sie möchte sich einbringen und wächst dabei über sich selber hinaus. Ich wollte einen Film über eine Frau machen, die sich unbeirrt vorwärtsbewegt und für sich einsteht und kämpft.» Thommen betont: «Der Film handelt primär von menschlicher Stärke.»

Viel Filmmaterial
Am Schluss seien rund 150 Stunden Material zustande gekommen. Die Verdichtung fand anhand der Geschichte statt, die Naima in diesen vier Jahren erlebt hatte: «Mein Fokus lag darauf, die Stärke von Naima und auch ihrer Familie herauszuarbeiten und zu verdichten.» Da die Filmemacherin und die Protagonistin während der Dreharbeiten sehr eng miteinander gearbeitet hatten, sei die Filmcrew bei den meisten wichtigen Geschehnissen dabei gewesen. «Naima war es irgendwann gewohnt, auch für den Film zu denken», so Thommen. Sie habe sie getreu informiert, wenn sie dachte, es könne wichtig für den Film sein. Nur bei einigen Ausnahmen habe man mit Naima Reenactments gemacht, also Szenen nachgestellt, «die sie als natürliches Schauspieltalent mit Bravour hingekriegt hat».

«Dazu muss man aber auch sagen, dass sie nie etwas vorgetäuscht hatte», so Thommen. Naima habe die Fähigkeit, in alle Emotionen und Situationen, die sie erlebt habe, wieder einzutauchen. «Deshalb wirken diese Situationen auch nicht gespielt, sondern sie sind authentisch, weil Naima in dem Moment wieder dasselbe erlebt.»

Eigene Batterien aufgeladen
An den diesjährigen Solothurner Filmtagen im Januar war der Film «Naima» für den Publikumspreis Prix du Public nominiert, hat ihn aber schliesslich nicht abgeräumt. Auf die Frage, ob sie darüber enttäuscht sei, räumt Anna Thommen ein: «Natürlich wäre es schön gewesen, den Preis zu gewinnen, aber es gab auch andere ganz tolle Filme im Wettbewerb und jeder hätte es verdient. Ich gönne es dem Team des Siegerfilms ‹Quir von Herzen.» Und sie erzählt: «Der Film Naima kam in Solothurn beim Publikum sehr gut an, sie haben viel gelacht und geweint, und fremde Menschen haben mich nach der Vorstellung umarmt und sich bedankt. Ich hatte das Gefühl, die Leute haben durch den Film ihre eigenen Batterien aufgeladen und gingen inspiriert wieder ins Leben raus. Das war für mich das grösste Geschenk.»

Auch wenn der Preis in Solothurn ausblieb: Mit «Naima» ist Anna Thommen ein berührender Film gelungen, der die Herzen seines Publikums im Sturm erobern dürfte. Gerade durch die Nähe zur Protagonistin lässt er die Zuschauerinnen und Zuschauer nicht kalt. Man spürt mit, lebt mit – und freut sich nach allen schwierigen Situationen und Kämpfen am Schluss mit Naima, wenn sie ihre Ausbildung erfolgreich abschliesst und endlich ihr Diplom als Pflegefachfrau in den Händen hält.

Sehr berührend ist auch das Geschenk, das sie von ihrem Sohn erhält. Auch an ihm kann das Publikum teilhaben, und auch wenn es am Schluss «nur» die Leinwand war, auf der man während gut anderthalb Stunden mit Naima gelebt, geliebt und gelitten hat: Es fühlt sich dennoch so an, als habe man diese starke und beeindruckende Frau, die heute als Pflegefachfrau in einer Psychiatrie arbeitet, irgendwie auch in echt kennengelernt.

Sondervorstellungen «Naima» in der Region, in Anwesenheit der Regisseurin Anna Thommen:
Sonntag, 2. März, 10.30 Uhr, Kino Sputnik, Liestal;
Montag, 17. März, 19.30 Uhr, Marabu, Gelterkinden


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