Der Dudelsackspieler aus New York
24.10.2024 HölsteinUnerwartete Begegnung am Rande des Dorfes
Gerhard Stübi wohnt seit 27 Jahren in New York und hat sich seinem Instrument, dem Dudelsack verschrieben – und spielt sein Instrument auch hin und wieder in seiner Heimat.
Elmar Gächter
Da geht man, von einer Wanderung heimkehrend, gedankenvoll der alten Hauptstrasse entlang, begleitet nur vom Rauschen der Vorderen Frenke. Erst leise, dann immer klarer vernehmen die Ohren etwas Musikalisches, das sich zunächst nicht zuordnen lässt. Je näher der kleine Rastplatz kommt, umso deutlicher offenbaren sich Klänge, die man zwischen Bikepark und Wald nicht erwartet. Spielt hier nicht jemand eine Melodie, die an den letzten Städtetrip und die Royal Mile in Edinburgh erinnert? Und tatsächlich: An den nördlichen Rand von Hölstein hat sich ein Mann «verirrt», der Dudelsack spielt. Man kommt ins Gespräch, will mehr vom Gegenüber wissen. Was bewegt jemanden dazu, etwas abseits des Dorfes das für hiesige Verhältnisse doch recht exotische Instrument zu spielen?
Das Rätsel löst sich nach und nach auf. «Mitten im Dorf möchte ich nicht spielen, es könnte Leute geben, die sich beschweren», sagt der Mann, der sich als Gerhard Stübi vorstellt, mit einem Schmunzeln. Und so habe er sich – nicht zum ersten Mal – diesen kleinen Platz mit Bänkchen und Grillstelle ausgesucht, um seiner Passion nachzugehen.
Hölstein ist ihm vertraut. Hier ist er aufgewachsen und in die Schule gegangen. Nach dem Studium der Betriebswirtschaft in Bern und ersten beruflichen Tätigkeiten ist er mit kleinem Gepäck nach New York ausgewandert, hat sich vor 27 Jahren in der Riesenstadt als Web-Designer und Online-Programmierer selbstständig gemacht. Bis heute lebt er in der Metropole. Hölstein ist jedoch nach wie vor seine Heimat und hier besucht er regelmässig seine Eltern.
Mit der Blockflöte gescheitert
«Ich habe vor rund zehn Jahren mit Dudelsackspielen begonnen, praktisch bei Null», blickt Gerhard Stübi zurück. Weil er in der Primarschule auf der Blockflöte immer einer der Schlechtesten gewesen sei, habe er mit der Musik aufgehört. «Das war ein Nachteil», ist er heute überzeugt: Notenlesen, spielen, dazu marschieren – dies alles habe er sich von Grund auf erarbeiten müssen. Die ersten Wettbewerbe mit dem Dudelsack folgten, als Solist stellte er sich den strengen Richtern. Er startete im untersten der 5 Grades für Amateurspieler und ist inzwischen im Grade 4 angelangt. «Der Weg nach oben ist eher steinig», so sein bisheriges Fazit.
Kürzlich hat er seinen ersten, eigenen Wettbewerb mit rund 40 Solisten und einer Band organisiert. «So viele Dudelsackspieler und Trommler in einem öffentlichen Park hat man in New York schon lange nicht mehr gesehen.»
Gerhard Stübi nahm mehrmals mit einer Band an den grossen Paraden am irischen St. Patrick’s Day und am schottischen Tartan Day teil. «Sie waren für mich stets die Höhepunkte des Jahres. Es ist schon eindrücklich, auf der Fifth Avenue zu marschieren und vor Tausenden von Leuten zu spielen», so der Heimweh-Hölsteiner.
In New York gebe es viele irischstämmige Einwohner, etwas weniger schottische. In diesen Kreisen und Organisationen spiele der Dudelsack eine wichtige Rolle, im täglichen Leben jedoch habe er mit Ausnahme der beiden Paraden keine grosse Bedeutung. «Ich liebe den Ton und es erfüllt mich mit Freude, wenn ich einen Dudelsack höre. Dies war auch der Grund, warum ich angefangen habe, Stunden zu nehmen.» Der Dudelsack sei jedoch kein Instrument, mit dem man in einer Wohnung üben könne. «Früher ging ich meist in einen abgelegenen Park, möglichst weit weg von den Leuten. Heute kann ich zum Glück in meinem Büro üben, nach 17 Uhr bin ich meist der Einzige im Gebäude.» Er übe alles Mögliche, bestimmte Notenfolgen über die ganze Tonleiter und natürlich ganze Stücke. Zum Aufwärmen spiele er meist den «Minstrel Boy Set» oder den «Mairi’s Wedding Set», die auch an Paraden zu hören seien. «Am Anfang gefiel mir ‹Scotland the Brave› am besten; generell sogenannte ‹Pibrochs›, also alte klassische Dudelsackstücke, die über Generationen weitergegeben wurden.»
Keine Stadt für alte Menschen
Die Frage, wo er sich unbedingt noch verbessern möchte, beantwortet er mit einem Witz, der in New York kursiert: Wie komme ich am schnellsten zur Carnegie Hall (dort spielen die besten Musiker und Orchester)? Alle Leute überlegen krampfhaft und geben dann eine komplizierte Wegbeschreibung. Die richtige Antwort lautet: üben, üben, üben!
Der 57-jährige Gerhard Stübi tönt an, in rund zwei Jahren wieder in die Schweiz zurückzukehren. Als er 1997 in die Grossstadt gezogen sei, habe ihn die Energie der Stadt fasziniert. «Ich hatte das Gefühl, dass man hier Ideen umsetzen kann. Der Markt in der 8-Millionen-Stadt ist einfach viel grösser als beispielsweise in Basel.» Heute fühle sich das Leben manchmal wie ein Kampf an. Alle seien gestresst und es sei hektisch, niemand nehme Rücksicht und man komme nirgends wirklich zu Ruhe. Man sei Teil eines Ganzen, auf das man keinen grossen Einfluss habe. Und New York sei definitiv keine Stadt für alte Menschen.
Wie es in der Schweiz mit Dudelsackspielen weitergeht, lässt Stübi offen. «Ich werde sicher weiterhin Stunden via Skype nehmen mit meinem Lehrer in den USA. Und natürlich üben, üben, üben.»