Alphorn-Hippie mit grossem Herz

  19.12.2024 Bezirk Sissach, Kultur, Itingen

Seit Werner Erb 1986 in Kanada das Alphorn entdeckt hat, ist er diesem Instrument mit Haut und Haaren verfallen. Und seit er in den 1980er-Jahren zum ersten Mal einen Sommer lang auf einer Bündner Alp gewirkt und gelebt hat, ist der gebürtige Baselbieter im Bündnerland heimisch. Porträt eines freiheitsliebenden Mannes.

Robert Bösiger

Wir sollen einfach zum Stadtpark kommen, hatte uns Werner Erb geschrieben. Da würden wir ihn antreffen. Auf dem Weg durch die Churer Altstadt vernehmen wir Alphornklänge. Wir sind also auf dem richtigen Weg. Tatsächlich finden wir den «Stadtgarten». Dort stehen gut zehn Alphornbläserinnen und -bläser, schön aufgereiht. Sie spielen «Uf de Bänklialp», eines der bekanntesten Schweizer Alphornlieder. Beobachtet werden sie von Menschen, die augenscheinlich mehrheitlich der örtlichen Drogen- und Obdachlosenszene zugeordnet werden können.

Inmitten der Alphornbläserinnen und -bläser machen wir einen grossen Mann aus, der einen markanten Schnauz und Bart trägt. Unter dem Strickkäppi lugt ein langer schlohweisser Rossschwanz hervor. Das ist Werner Erb, der von lokalen Medien schon mal als «Alpöhi vom Stadtpark» oder als «Alphorn-Indianer» bezeichnet wird. Immer mittwochnachmittags trifft sich Erb mit einer wechselnden Anzahl an Alphornistinnen und Alphornisten zur freiwilligen Probe unter freiem Himmel im Stadtpark.

Älpler statt Polizist
Werner Erb kommt am 14. Juli 1950 in Itingen zur Welt. Seine Jugendjahre verbringt er mit einem Bruder und zwei Schwestern. Als Realschüler möchte er dereinst Polizist werden, «weil mein Onkel in Luzern dies war», erklärt er uns. Stattdessen besucht er von 1966 bis 1970 die Handelsschule, heuert bei einer Basler Firma an und wird nach New York geschickt, um das kaufmännische Business kennenzulernen.

Erb erzählt: «Nach dem ersten Tag in Manhattan warf ich das Handtuch, weil die wollten, dass ich meine Haare abschneide und Krawatte trage.» Tags darauf kauft er sich ein Motorrad und bricht auf, um in «Easy Rider»-Manier die Vereinigten Staaten von Amerika zu bereisen.

Er besucht die Reservate der «Natives of America». Um sich durchzubringen, arbeitet er zwischendurch schwarz auf Farmen.

Auf dieser Reise wird ihm klar, dass er etwas Soziales machen möchte. Zurück in der Schweiz, muss er zunächst in die Armee. Auch da wird er wegen zu langer Haare mit hartem Arrest bestraft. Dazu sagt er: «Ich bin halt freiheitsliebend und zuweilen chaotisch – und ich habe Mühe, mich unterzuordnen.» Dann beginnt er in Basel eine Ausbildung zum Sozialpädagogen und beginnt in Jugendheimen und Arbeitserziehungsanstalten wie dem Arxhof zu arbeiten, dem Massnahmenzentrum für junge Erwachsene in Niederdorf.

Anno 1981 verschwindet er für ein Time-Out auf eine Alp in Rona (GR). Einen Sommer lang habe er Älpler sein wollen, sagt er. Aber: «Weil ich so viel Freude an diesem Job hatte», wurden es letztlich deren 18. In den Wintermonaten betätigt er sich als Hilfs-Skilehrer, Hüttenwart und «Liftler» in Savognin.

Im Bündnerland heimisch
So kommt es, dass der Baselbieter Werner Erb dauerhaft im Bündnerland hängenbleibt und in der Kleinstgemeinde Tinizong-Rona Wohnsitz nimmt; heute gehört Rona (auf gut 1200 Meter gelegen) zur politischen Gemeinde Surses, zu der sich die früheren Gemeinden Salouf, Riom-Parsonz, Cunter, Savognin, Tinizong-Rona, Mulegns, Sur, Marmorera und Bivio zusammengeschlossen haben.

Werner, steckt in dir eine Art Cowboy? «Eher eine Art Hippie. Ich bin freiheitsliebend, reiselustig und kontaktfreudig.» Wie sieht ein durchschnittlicher Tag im Leben von Werner Erb aus? «Nach dem Aufstehen besuche ich mit meinem Töff oft alle umliegenden Alpen, das Carbon-Alphorn auf meinem Rücken. Und zweimal wöchentlich gehe ich joggen.»

Doch das Programm, das Werner Erb absolviert, ist viel umfangreicher: Jeden Montag übt er mit einer Alphorngruppe in Savognin, jeweils dienstags betreut er drei Alphorngruppen in Trin und Flims. Und jeden Mittwoch, seit zwölf Jahren, übt er mit seiner Churer Gruppe im Stadtpark. Seit einiger Zeit ist er «Botschafter» der Stadt Chur, unter anderem, weil er jeden Samstag an den Märkten Alphorn spielt und weil Chur Tourismus ihm dieses Prädikat verliehen hat. Die Einheimischen in Chur kennen den Alphorn-Werni, «Die meisten schätzen mich, einige störe ich halt».

Der Churer Stadtpark ist seit Jahren Aufenthaltsort für Leute, mit denen viele Einheimische nichts zu tun haben wollen. So gesehen ist dieser Flecken Erde im Herz von Chur für die einen ein «Schandfleck», für die anderen ein wichtiger Treffpunkt. Für Werner Erb ist es «ein Ort, wo ich Menschen mit Respekt begegne, mit denen ich diskutiere, musiziere, Frisbee und Federball spiele.» Während die «Hörnler» mal Pause machen, dürfen die Randständigen die Instrumente ausprobieren. Erb: «Das ist ein echter und interessanter Austausch für alle.»

Schlüsselerlebnis in Kanada
Seit 38 Jahren spielt Werner Erb Alphorn, gibt auch Kurse. Aufs Alphorn sei er lustigerweise auf einer Reise in Kanada gekommen, berichtet er uns: «Dort, in Williams Lake, hatte ein gebürtiger Schweizer Bauer in der Stube ein solches Horn stehen. Da konnte ich zum ersten Mal im Leben darauf spielen …» Seither hat er fast 50 Alphörner erworben, die er grösstenteils auch seinen Schülerinnen und Schülern vermietet.

Tatsächlich lebt Werner Erb vom Alphornspielen und -unterrichten. Nebenher leistet er im Churer Obdachlosenheim Nachtdienst in der Sonntagnacht. Diese (bezahlte) Arbeit macht ihm noch immer Spass, obwohl er mittlerweile auch schon 74 Jahre alt ist. Das Alter, sagt er, mache ihm überhaupt nicht zu schaffen, nicht einmal der Umstand, dass «meine Haare und der Bart mittlerweile weiss geworden sind.» Werner Erb sagt: «Ich lebe im Hier und Jetzt.»

Er war einige Jahre mit einer Frau aus einem indigenen Stamm verheiratet. Heute hat Erb eine Partnerin, die in Basel als Sozialarbeiterin arbeitet und lebt. So pendelt er häufig zwischen Basel und dem Bündnerland. Seine alte Heimat, Itingen und das Baselbiet, besucht er nur noch selten.


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