Das Haar in der Suppe

Mich interessiert Veränderung. Genauer gesagt: Optimierung. Ich will von jedem Ding verstehen, wie es funktioniert – damit ich darüber nachdenken kann, wie es noch besser funktionieren würde.

Das ist vielleicht eine Berufskrankheit. Als Journalist sucht man stets nach dem Haar, das man aus der Suppe fischen kann, um sie besser zu machen. Denn Dinge, die gut funktionieren, interessieren das Publikum nicht.

Bis sie nicht mehr da sind. Wenn das, was immer alltäglich und normal war, von einem effizienteren Nachfolger abgelöst worden ist, mutiert es zur abhanden gekommenen Herzensangelegenheit. Nehmen wir das Bargeld, zum Beispiel. Das Glücksgefühl, das der Fünfliber-Messbatzen der Gotte auslöste – bis mir das Restmünz beim Kopfstand auf der zweiten Bahn aus dem Hosensack rutschte. Was «Twint» und Co heute verhindern. Oder die 10 000er-Karten unserer Landestopografie und die Diskussionen auf der Herbstwanderung, ob wir an der ersten oder zweiten Weggabelung stehen. Mit Wehmut denke ich an das Drehen der Karte, bis Norden «unten» war und alle versuchten, den Sonnenstand zu deuten. Heute erstickt der blaue Pfeil in «Google Maps» jede Diskussion im Keim.

Es sind oft kleine Zeitzeugen, die nostalgische Gefühle wecken – Gerüche, Klänge, Produkte. Emotionen und Erinnerungen an eine Zeit, in der das «Drumherum» mehr Bedeutung hatte als das Ergebnis: Als die Vorfreude auf die Messe wichtiger war als die Fahrt auf den Bahnen, das Wiedersehen mit den Freunden die Wanderung ausmachte und nicht die Kilometerleistung in der Sport-App Strava. Nicht alles muss optimiert sein.

Mein Lieblingsbeispiel für sture Optimierungstrotzer ist der Galakäse. Zum einen, weil sein Geschmack («seit 1936») für mich ein Stück Kindheitserinnerung ist. Zum anderen, weil seine typische «Halbmondschachtel» seit je so sinnlos zweckfremd wie überaus kunstvoll gefalzt bleibt.

Vor allem aber ist es die Verpackung der einzelnen Käslein. Die hauchdünne Alufolie enthält zwei rote Plastikfäden, mit denen man sie theoretisch so öffnen kann, dass man den Käse nicht berührt. Mir ist das in 58½ Jahren noch kein einziges Mal gelungen. Während ich mich als Kind gefragt habe, wann die das endlich merken und die Verpackung verbessern, entlockt mir heute das Fingerlecken beim Gala-Käslein-Essen jedes Mal ein Schmunzeln.

Es gibt Haare, die müssen in der Suppe drin sein. Sonst ist es nicht mehr die echte Suppe.

Peter Sennhauser, Redaktor «Volksstimme»

HERZBLUT

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