Harry Schnitzel trifft Wang Jian-Jun

Nehmen wir mal an, Harry Schnitzel junior habe in Peking Chinakunde studiert und sich dabei in eine Chinesin verliebt. Er will sie seiner Familie in der Schweiz vorstellen. Man hat sich zu Hause angemeldet und gedenkt, im grösseren Familienverband anzureisen. Es ist deshalb für Harry Schnitzel senior Zeit, sich mit den Gepflogenheiten der chinesischen Kultur auseinanderzusetzen.

So bestehen chinesische Namen grösstenteils aus einsilbigen Familiennamen, gefolgt von einem ein- oder zweisilbigen Vornamen. Die Anrede erfolgt entweder mit dem vollen Namen oder mit dem Familiennamen und dem Titel. Wenn ein Gast aus Peking sich als «Wang Jian-Jun» vorstellt, dann würden wir ihn nach unserm Sprachgefühl mit einem herzhaften «Grüezi, Herr Jian-Jun» begrüssen. Vollkommen falsch! Das wäre so, wie wenn man Moser Sepp mit «Grüezi, Herr Sepp» ansprechen würde. Richtig ist: «Grüezi, Herr Wang Jian-Jun» (Grüezi, Herr Moser Sepp). Wenn immer möglich, werden Titel wie Doktor, Lehrer oder General beigefügt. In unserem Beispiel würde dies so tönen: «Grüezi, Herr Lehrer Wang Jian-Jun» (Hallo, Herr Lehrer Moser Sepp). Sollte man sich jedoch mit Herrn Wang Jian-Jun anlässlich eines kleinen Umtrunks verbrüdern, darf man ihm auch ein lockeres «Lao» (Alter) oder «Xiao» (Junger) zurufen und den Titel weglassen. «Na, du alter Moser!» wäre somit «Na, Lao Wang!»

Die Mär, dass Chinesen das «R» nicht aussprechen können, muss man vergessen. Nur gerade in dem im Süden gesprochenen Kantonesisch kennt man keinen R-Laut. Sätze wie «wollen Losen kaufen» oder «liebel Balolo als Balbalesco» blaucht man deshalb nicht zu lernen. Auch seine Stimme sollte man mässigen: Lautes Schreien ist unbedingt zu unterlassen. Denn wegen eines solchen Fehlers kann man schlagartig sein Gesicht verlieren. Und wie will man dieses je wieder finden, so ganz ohne Kenntnisse der chinesischen Gepflogenheiten! Eben.

Es waren unheilschwangere Zeiten, als man China noch über Pekingenten, grosse Mauern und kleine Strohhüte definierte. Die Kinder sangen das Lied von den «drei Chinesen mit dem Kontrabass» und im Lageplan von Hauptmann Hugentobler anlässlich des grossen Manövers 1973 in Wigoltingen kam die «Gelbe Gefahr» in Form von Millionen von Chinesen aus dem Osten.

Doch erst jetzt kommen sie. Wir schreiben das Jahr der Schlange und es sind nicht drei, sondern Hunderttausende von Touristen aus China. Allerdings ohne Kontrabass. Und die wollen die Schweiz aus ihrer Lethargie wachküssen. Leider ist die Sache nicht so einfach. Die Prinzen kennen weder Schneewittchen noch sprechen sie Deutsch. Trotzdem: Die Sieben Zwerge würden unseren Rettern gefallen. Denn in China steht die Zahl Sieben für Glückseligkeit.

Gefährlich wird’s bei der Zahl Vier. Sie klingt in der chinesischen Sprache wie «Tod» und muss deshalb vermieden werden. Sollte das Haus von Harry Schnitzel Senior an der Hauptstrasse 4 in 4444 Rümlingen stehen, wird er die zukünftige Schwiegertochter somit nie kennenlernen.

Der Autor, Kolumnist Hanspeter Gsell, lebt seit mehr als 40 Jahren in Sissach.

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