Die (deutsche) Angst

Für viele hat die Welt schon vor drei Jahren Risse bekommen, als der Krieg in Europa wieder real wurde, für andere kommen mit jedem Wetterextrem neue hinzu, viele eint der Frust über das Versagen der Politik, zu leisten, was das Land braucht. Angst regiert die Welt: Auslöser sind steigende Preise, Mieten, marode Infrastruktur, Überwachung, Überfremdung, vor allem aber die fehlende Perspektive des Mittelstands, dass die eigenen Kinder es einmal besser haben werden. Angst treibt seltsame Blüten: Die USA haben nun erstmals einen König, der beansprucht, zu vollziehen, was sich weite Teile der Bevölkerung wünschen. Wie schon beim Brexit «Take back control» gibt eine Mehrheit der wirtschaftlich Entmachteten jenen noch mehr Macht, die bereits mächtig genug sind, Politik aus den Angeln zu heben.

Das Phänomen der deutschen Angst ist sogar im Englischen ein geflügeltes Wort: Die «German Angst» bezeichnet ein kollektives Phänomen, das sich durch eine Mischung aus Zukunftsängsten und einem extremen Sicherheitsbedürfnis kennzeichnet und dessen Wurzeln auf die traumatischen Erfahrungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zurückgehen: Erster Weltkrieg, grosse Inflation, Faschismus, Holocaust, Zweiter Weltkrieg. Die Angstauslöser wandeln sich, heute sind es Terrorattacken, Klimakatastrophen, Krieg oft in Form einer überzeichneten Realität. Schon die Künstliche Intelligenz weiss, die deutsche Angst übersetzt sich in ein übertriebenes Sicherheitsund Kontrollbedürfnis, ausgeprägten Regulierungswahn und Misstrauen gegenüber Veränderungen. Wählen wir deshalb einen 70-jährigen Vertreter der Welt von vorgestern zum Kanzler, der für seine impulsiven Ausfälle bekannt ist? Weil «Wir schaffen das.» nicht geklappt hat? Nicht mit Merkel und auch nicht nach ihr? Weil unsere Autoindustrie gerade kollabiert? Studien zeigen seit etwa 15 Jahren einen kontinuierlichen Anstieg von Angstgefühlen in Deutschland. Sicherheit bedeutet also jetzt, die Union zu wählen, obwohl sie uns seit Jahren auf die Füsse fällt, die Grünen zu wählen, weil sie uns vielleicht vor der Umweltkatastrophe retten können und die SPD abzustrafen, weil sie die Zeitenwende zwar deklariert, aber nicht meistern kann.

Deutsche Angst treibt auch wundersame Blüten. Die Deutschen re-demokratisieren sich gerade: Durch eine Wahlbeteiligung wie vor 40 Jahren, nämlich 82,5 Prozent. Am Wahlwochenende demonstrierten Zehntausende gegen Rechtsextremismus, allein in Hamburg etwa 40 000 Menschen. Natürlich konnte die AfD die Nichtwählenden an die Urne holen, aber eben nicht nur in ihre Richtung.

Ein Viertel der Jungen wählte die Linke, ein Fünftel die AfD. Die Diskussionen, die diese jungen Wählenden darüber führen werden, wie ihre Welt aussehen soll, bis sie in der Mitte ihres Lebens angekommen sein werden und dann erfahrungsgemäss auch in der politischen Mitte – diese Diskussionen sind gelebte Demokratie. Hoffen wir, dass die Vorzeichen dafür sich nicht umkehren und die deutsche Angst abwehren kann, was sie am meisten fürchtet.

Petra Huth ist Politikwissenschaftlerin und Ökonomin. Sie lebt in Anwil und amtet dort als Gemeinderätin.

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