Eine neue Perspektive

«Papalippa! Papalippa!», dröhnte es auf der Heimfahrt vom Rücksitz, und in mir wurden böse Erinnerungen wach. Es ist noch nicht lange her, dass ich davon berichtet habe, dass meine Tochter ununterbrochen lautstark die unsäglichen Kinderlieder des ähnlich klingenden «Blippi» gefordert hat. Sie putzt wegen ihm zwar gerne fünfmal am Tag die Zähne, aber die Musik …

Nach der ersten Assoziation beruhigte ich mich schnell. Es handelte sich ja dieses Mal nicht um eine schlechte Kinderlied-Figur und die Situation war auch nicht das Resultat eines verzweifelten Versuchs, das Zähneputzen attraktiver zu gestalten. Der Ursprung war etwas Positiveres: Langsam aber sicher schliessen sich Kinderbetreuung und Sport Schauen nicht mehr aus.

Dabei lerne ich durch meine Tochter neue Perspektiven kennen. Wenn die Schweizer Fussballer gegen Serbien spielen, interessiert es sie nicht, ob die jetzt im 4-4-2 oder 4-2-3-1 auflaufen, sondern stellt ganz andere Fragen. Ich erwähnte, dass Noah Okafor ganz in der Nähe aufgewachsen ist, und erklärte, dass er da aber nicht mehr wohnt. Seither will meine Tochter bei jedem Spieler wissen, wo der lebt und ob er schon alleine wohnt. Mein Hinweis, dass alle Profis schon ausgezogen sind, hilft nicht. «Wo wohnt der Rote?», «Wohnen die Weissen mit Papi und Mami?» – non stop.

Bei der Übertragung eines Bobrennens stellten wir als erstes in der Stube den Start nach, inklusive Abklatschen und Helm schliessen. Sobald das nicht mehr lustig war, folgte prompt die Frage: «Wohnen die vier zusammen?» Bei den Skifahrern wird jeweils gefragt, ob die denn schon einfach so alleine fahren dürfen. Dazwischen schleichen sich einige für eine Dreijährige doch recht erstaunliche Beobachtungen: Am Samstag hat sie bei einem Skicrosser, der nach einem Sturz mit einigem Abstand hinter den drei Konkurrenten entspannt-aufrecht ins Ziel fuhr, erklärt: «Der geniesst es jetzt noch ein bisschen.» Tadellos analysiert, der Kommentatorinnen-Nachwuchs scheint gesichert, liebes SRF.

Unsere Kinder lernen nach und nach auch die regionalen Sportplätze und -hallen kennen. Auch da interessiert selbstredend nicht der Sport. Dafür wissen sie, auf welcher Anlage es einen Spielplatz hat und wie wir aus «Bänkli» und Sprossenwand eine Rutschbahn bauen. Und dass es im «Kunsti»- Restaurant Rivella hat. Blau!

Am Samstagabend waren wir beim Playoff-Start von Sm’Aesch-Pfeffingen. Und da stand sie. Papalippa. Sobald sie das Maskottchen der NLA-Volleyballerinnen gesehen hatte, gab es in der Halle nichts mehr anderes für meine Tochter. Zigmal zerrte sie mich mit, weil sie sich doch nicht selbst traute, den überlebensgrossen Plüsch-Papagei anzusprechen. Geduldig nahm sich die Person im Kostüm Zeit, abzuklatschen oder mit den Flügeln die Augen zu bedecken. Wir genossen fast schon Einzelbetreuung. Vielen Dank an dieser Stelle, lieber lustiger Vogel. Wenn meine Tochter nur Augen für dich hat, bekomme ich sogar ein Auge voll vom Spiel mit. Und ich musste kein einziges Mal erklären, welche Spielerin wo wohnt.

Sebastian Wirz, Sportredaktor «Volksstimme»

HERZBLUT

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