Ein Chaos mit Charme

In seinen Zwanzigern ist man jung und voller Tatendrang. Für eine Wohngemeinschaft keine schlechte Voraussetzung. Und doch ist natürlich nicht immer alles heile Welt. So mussten wir zum Beispiel feststellen, dass sich unsere Wäschekarte am Waschmontag auf mysteriöse Weise in Luft auflösen kann oder aus der Geschirrspülmaschine hin und wieder fragwürdige Düfte aufsteigen. Zum Glück habe ich einen Mitbewohner, der Putzen als eine Art Hobby betrachtet. Ich störe ihn also nicht, wenn er mit Hygienemaske und WC-Bürste durch das Badezimmer wirbelt – auch wenn ich mich keuchend vor den chemischen Duftwolken in mein Zimmer retten muss. Nicht, dass ich nicht putzen würde, aber ich bin mehr für die Organisation zuständig. Die ist bitter nötig, denn in einem Haushalt mit zwei Menschen mit Aufmerksamkeitsdefizit bleibt so manches liegen.

Den Müll bringe meistens ich runter – wenn ich rechtzeitig daran denke. Eine App erinnert mich einen Tag vorher daran, was schon oft hilfreich war. Dennoch bleibt das eine oder andere Müllsäckchen etwas länger auf dem Balkon stehen. Genauso wie das Altpapier. Zu unserer Verteidigung: Die Kartonabholung gibt es nur einmal im Monat. Und halb so wild, denn das gesammelte Papier landet bis zur Abholung kurzerhand im Kellerabteil. «Out of sight, out of mind», oder?

Einkaufen ist eine gemeinsame Mission – zumindest theoretisch. Nach jedem Grosseinkauf sieht der Kühlschrank trotzdem erstaunlich leer aus. Einziger Hinweis darauf, dass wir tatsächlich Geld ausgegeben haben, sind die sinkenden Zahlen auf unserem Bankkonto. Geldmanagement ist ohnehin ein Punkt, an dem wir beide noch arbeiten. Das «Man gönnt sich ja sonst nichts»- Mantra rutscht öfter heraus, als mir lieb ist. Auch das berühmte «Das brauchen wir jetzt aber wirklich» ist ein Klassiker – wobei wir genau wissen, dass es nicht stimmt.

Investieren sollten wir stattdessen lieber in ein neues Sofa. Bei unserem Einzug haben wir für einen verdächtig niedrigen Preis eine Couch erstanden, die mittlerweile mehr eine Schlafstätte für unseren schokobraunen Labrador als ein Möbelstück für uns ist.

Und dann sind da noch unsere Pflanzen. Sie hätten ein besseres Zuhause verdient. Wahrscheinlich schauen sie an regnerischen Tagen eifersüchtig nach draussen und beneiden ihre Artgenossen um die natürliche Bewässerung. Statt sattem Grün dominieren bei uns alle möglichen Brauntöne. Aber wir hängen an ihnen, also bleiben sie.

Trotz all dieser Eigenheiten unseres Zusammenlebens: Es sind genau diese chaotischen, improvisierten und oft skurrilen Momente, die das WG-Leben so besonders machen – und die Zwanziger ausmachen, oder? «Go with the flow», pflege ich gerne zu sagen. Wenn wir dann irgendwann ausziehen, werden wir uns wahrscheinlich mit einem Lächeln an die seltsamen Waschmaschinen-Gerüche und unser fragwürdiges Sofa erinnern. Denn am Ende bleibt nicht das Chaos – sondern die Geschichten, die wir daraus gemacht haben.

Melanie Frei, Redaktorin «Volksstimme»

HERZBLUT

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