Die Kunst der Bürokratie

Post von der Staatsanwaltschaft: Ob ich meine Einsprache gegen die Bussgeldverfügung XY zurückziehen wolle, da ich den vollen Betrag ja bereits bezahlt hätte? Nein, will ich nicht: Bezahlt hatte ich, um allfälligen weiteren Gebühren angesichts der gnadenlosen Fristen vorzubeugen. Also: E-Mail zurück an die Staatsanwaltschaft, wieder 15 Minuten Lebenszeit der Bürokratie geopfert. Aber eigentlich mache ich das hierzulande ganz gern.

Denn nachdem ich fast eine Dekade in den USA gelebt habe, weiss ich: Bürokratie ist nicht gleich Bürokratie. Wohl müssen wir uns hierzulande gefühlt alle zwei Jahre an-, um- oder abmelden, selber deklarieren oder irgend etwas bestätigen. Im Gegenzug bekommen wir im Baselbiet einen Pass quasi im Vorbeigehen, reichen die Steuererklärung online ein und werden viermal jährlich prompt mit den Unterlagen für die briefliche Stimmabgabe bedient.

In den USA ist die gesamte Natur der Bürokratie eine andere. Der Staat weiss dort nämlich wenig bis nichts über seine Bürger. So musste ich der Stadt San Francisco (anhand an mich adressierter Rechnungen …) beweisen, dass ich dort lebte, um den städtischen Golfplatz benutzen zu dürfen. Und das, obwohl ich Steuern bezahlte, eine Sozialversicherungsnummer hatte und einen Führerschein (mit Adresseintrag!) besass.

Letzterer war denn auch der Grund, warum ich einmal zur Erfüllung meiner Bürgerpflicht aufgeboten wurde, bei einem Strafprozess als Geschworener mitzuwirken. Denn die einzige Datenbank, die dem Staat Kalifornien dafür zur Verfügung steht, ist das Führerscheinregister. Aus diesem ist aber weder die Staatsbürgerschaft noch der Leumund zu entnehmen: Also lag es an mir, mich unter Strafandrohung aktiv als Nicht-US-Bürger zu deklarieren.

Aufgrund dieser Erfahrungen habe ich eine gewisse Skepsis gegenüber den Plänen der neuen US-Regierung, die Bürokratie radikal abzubauen. Vor allem die Aufhebung des an den Geburtsort geknüpften US-Bürgerrechts dürfte für Hunderte von Millionen von Amerikanern zum Problem werden. Denn ausser der Geburtsurkunde haben die meisten Menschen in Amerika derzeit nichts, was ihre Bürgerrechte beweist. Der Teufel Bürokratie wird hier wohl mit dem Beelzebub ausgetrieben.

Auch wenn ich es nicht gerade mit Herzblut verteidigen würde, zeigt das, dass unser eidgenössisches Meldewesen auch seine guten Seiten hat. Nach einer Bestellung im Internet erhalte ich für 18 Franken jederzeit binnen zweier Tage den Heimatschein meiner Bürgergemeinde Wolfikon/Kirchberg SG. Per Briefpost.

Apropos Briefpost: Auch von der Gerichtsbarkeit des Staates Kalifornien erhielt ich zwei Jahre nach dem ersten ein weiteres Aufgebot für die «jury-duty». Denn Kalifornien hat auch kein Register, in dem selbst deklarierte Nicht-US-Bürger erfasst würden …

Peter Sennhauser, Redaktor «Volksstimme»

HERZBLUT

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