Beständigkeit

Vierzig Jahre war ich den Weg vom Bahnhof Gelterkinden runter ins Dorf nicht mehr gegangen, doch in der Erinnerung war alles noch da. Als ich zum Nachtigallenwäldeli kam, wusste ich, dass dort eine Wetterstation stehen muss. Und da stand sie auch, gab Auskunft über Temperatur und Luftdruck, der Zeiger stand auf «beständig». Und beständig ist sie selbst, wurde im Jahr 1904 vom Architekten und Bildhauer Isidor Pellegrini aus einem Findling gehauen.

Ebenfalls von Pellegrini stammt das Haus, welches unweit der Wetterstation zu finden ist: Das auch «Laubsägeli-Villa» genannte Haus, in dem einst der Kunstmaler Fritz Pümpin lebte. Leider sieht man das Haus vom Verkehrskreisel her nicht mehr, ein sicherlich zweckdienlicher, aber auch trostloser Neubau wurde ihm vor die Nase gepflanzt. Eine brutale architektonische Faust aufs Auge (auf Google Street View sieht man übrigens je nach Standort vorher und nachher). Aber gebaut ist gebaut, was für den mit ortsspezifischen Überlegungen unvertrauten Besucher bleibt, ist Schulterzucken.

Auch an die Villa Pümpin hatte ich nicht mehr gedacht. Dabei hatte ich sie damals immer gesehen, wenn wir aus dem Postauto stiegen, Haltestelle Rickenbacherstrasse. Es war eine Villa, wie ich sie zuvor noch nie gesehen hatte, ausser in der Fernsehserie Pippi Langstrumpf die Villa Kunterbunt. Sie beflügelte unsere Fantasie. Was mochte dort drin wohl vor sich gehen? In meiner Erinnerung hatte ich als Kind Fritz Pümpin einmal beim Malen gesehen, auf dem Feld, vor einer Staffelei hockend, Strohhut auf dem Kopf, Pfeife im Maul. Aber das konnte nicht passiert sein, denn als Pümpin starb, war ich gerade mal drei Jahre alt. Es muss die Erinnerung eines anderen gewesen sein, vielleicht die Erzählung von Vater oder Mutter.

Nach meinem Besuch in Gelterkinden durchstöberte ich wie immer im Herbst die Auktionskataloge auf der Suche nach Kunstwerken, die ich ersteigern könnte. Und wie der Zufall es wollte: Das Auktionshaus Zofingen bot drei Werke von Fritz Pümpin an. Und alle waren wunderbar. Vor allem tat es mir das Bild «Waldszene» an, es zeigt den Blick in einen lichten Tann, darin Holzfäller am Werk, ein kleines Feuer brennt, bleicher Rauch im satten Grün. Es war, als blickte ich bei diesem Gemälde direkt in meine Kindheit, als könnte ich das frisch geschlagene Holz riechen und den Reisig im Feuer prasseln hören.

Ich gab ein Gebot ab, 20 Prozent über dem Schätzpreis liegend. Doch ich bekam den Zuschlag nicht. Ich war zu knauserig gewesen. Oder der Preis einfach zu hoch. Jedenfalls: Fritz Pümpin scheint auf dem Kunstmarkt wieder im Kommen zu sein. Was mich ganz und gar nicht wundert.

Max Küng wurde 1969 geboren und ist auf einem Bauernhof in Maisprach aufgewachsen. Heute lebt er mit seiner Familie in Zürich und ist ein landesweit bekannter Kolumnenschreiber.

MEINE WELT

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