Wenn Vergleichen zum Verpassen führt

Es gibt Abende, da erwische ich mich selbst dabei, wie ich meine Pläne für einen gemütlichen Abend auf der Couch sausen lasse und mich stattdessen ins Grossstadtgetümmel stürze. Neulich habe ich mich gefragt: «Gebe ich meine Pläne zu Hause auf, weil ich Angst habe, sonst etwas zu verpassen?»

«The fear of missing out» (Fomo) oder «Die Angst, etwas zu verpassen», ist ein Gefühl, das besonders bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen aufkommt. Es ist ein Gefühl der Angst und Sorge, dass man wichtige oder spannende Ereignisse, Erfahrungen oder Chancen verpasst, die andere vielleicht gerade erleben.

«Kennt ihr das?», frage ich meine Freundesgruppe. Die Reaktion: kollektives Nicken. Ein paar Erinnerungen an die Sekundarschulzeit kommen hoch. Damals wollte jeder irgendwie dazugehören, soziale Bestätigung war das grosse Ding – mich eingeschlossen. Das Gefühl, Teil einer Clique zu sein, bedeutete alles. Aber seien wir ehrlich: Hat sich daran wirklich viel geändert? Natürlich, heute streben wir eher nach guten Beziehungen im Job und einem stabilen Freundeskreis, aber letztlich geht es doch immer noch um Zugehörigkeit. Soziale Kontakte sind wie kleine Anker, die uns durch den Alltag tragen.

Ich bin überzeugt, dass die Wurzel von Fomo im Vergleichen liegt. Und vergleichen tut man sich nicht nur als Kind und Teenager, sondern auch als erwachsene Person. Früher waren es die coolen Adidas-Sneaker der Mitschüler oder das Mädchen, das sich schon schminkte und plötzlich so erwachsen wirkte. Heute ist es Markus, der sich mit Fallschirm aus dem Flugzeug stürzt, Susanne, die ein Selfie mit Roger Federer auf Instagram postet, oder eben Fritz, der für seine tolle Arbeitsleistung ausgezeichnet wird. Das alles spielt sich in meinem Kopf ab, während ich mir die Highlights anderer auf meinem Handy anschaue und mein eigenes Leben daneben zu verblassen scheint. Ziemlich anstrengend!

Hört man ab einem bestimmten Alter auf, sich zu vergleichen? Mit 50? Oder doch erst im Rentenalter? Was könnte man meinen, in diesem Alter zu verpassen? Eigentlich egal. Der Gedanke, mich bis ans Lebensende mit anderen zu vergleichen, lässt mich schaudern und den Fokus auf mein eigenes Jetzt zu verlieren.

Ich habe verkrampft versucht, einen Lösungsansatz für dieses Fomo zu finden. Bis mir klar wurde, dass das gar nicht realistisch ist. Ich denke nicht, dass Fomo ein Problem ist, das gelöst werden muss. Vielmehr ist es ein Zustand, den man akzeptieren und vielleicht bewusst hinterfragen kann. Den Fokus auf das Jetzt nicht zu verlieren, verstehe ich für mich persönlich als «Lösung». Vielleicht springt für mich ja irgendwann auch ein Selfie mit dem Maestro raus.

Wenn ich also nachts wieder einmal mit meinem besten Freund durch die Strassen Basels ziehe, möchte ich meinen, dass ich das aus purer Lebensfreude und für mich selbst tue und nicht aus Angst, etwas zu verpassen.

Melanie Frei, Redaktorin «Volksstimme»

HERZBLUT

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