Jugendlicher Blödsinn

Immer, wenn ich irgendwo eine Lesung habe, schaue ich zuvor im Archiv nach, ob ich schon einmal über diesen Ort geschrieben habe. Denn es könnte ja sein, dass ich einst einen jugendlichen Blödsinn über den Ort geschrieben hatte, so wie in Sissach, wo DJ Antoine lebte, als ich dort eine Lesung hatte. Ich nannte DJ Antoine in einer Kolumne einmal den «Obelix der Schweizer House-Szene», einerseits weil Obelix und Antoine beide gerne und reichlich geniessen – der eine gebratenes Wildschwein, der andere Rindsfilet «à la Antoine» mit Risotto und Rosenkohl. Andererseits haben beide einen Hang zu extravaganter Kleidung. Schön blöd, wäre Antoine dort im Publikum gehockt.

Und nun also Gelterkinden, wo ich am 6. November im altehrwürdigen Marabu aus meinen Büchern vorlesen darf. Im Fall von Gelterkinden fand ich vier Texte, in denen der Ort vorkommt. In einem geht es um eine heute im Kanton Zürich agierende SVP-Politikerin, die in Ormalingen aufwuchs, und die Eventualität, dass ich sie vielleicht einmal in Gelterkinden bei einer Blauringparty beim Spaghetti-Tanz getroffen haben könnte. Die Politikerin ist zwar einen Schluck älter, doch ich stand schon immer auf reifere Frauen. Vor allem aber weiss ich noch, dass ich einst etwas mit einer aus Ormalingen hatte, ein romantisches Techtelmechtel bloss, und ich mag mich nicht mehr an Details oder den Namen erinnern, bloss noch daran, dass ihr Zimmer komplett im Coca-Cola-Look gehalten war: Coca-Cola-Bettwäsche, Coca-Cola-Dosen-Hocker, Poster, Tapete, Vorhänge: Alles rot und weiss und Coca-Cola. Vielleicht war es die heutige SVP-Politikerin gewesen? Gut, da wäre noch die andere Sache, die mit dem Klauen. Ich ging ja in Gelterkinden zur Schule, und es war ein blöder Sport damals, im Laden der Landi Vorhangschlösser aus Messing zu klauen. Nicht, dass es mir Spass gemacht hätte, das Klauen. Ganz im Gegenteil. Ich mochte diesen Stress und Adrenalinkick nicht. Doch es musste sein. Gruppendruck und so. Ich glaube, einmal habe ich sogar eines gekauft, den Freunden aber gesagt, ich hätte es gestohlen. Sie waren ja auch verdammt praktisch, die «Schmaleschlössli».

Aber eben: Das weiss niemand. Und ich wurde nie erwischt (wenigstens nicht in Gelterkinden). Ausserdem lange her, also verjährt. Und ich wurde ja auch nicht kriminell, sondern bin heute eine ehrliche Haut, die den Besitz anderer vollumfänglich respektiert. Ich werde also ganz und gar unbelastet und ohne schlechtes Gewissen nach Gelterkinden kommen können, am 6. November, in den Marabu, wo ich sicher auch den einen Text vorlese, in dem ein echter Marabu vorkommt. Vielleicht wird ja auch die Coca-Cola-Freundin von damals dort sein, falls sie nicht nach Zürich verzogen ist, um Politik zu machen. Ich freue mich jedenfalls auf den Besuch in der alten Schulheimat.

Max Küng wurde 1969 geboren und ist auf einem Bauernhof in Maisprach aufgewachsen. Heute lebt er mit seiner Familie in Zürich und ist ein landesweit bekannter Kolumnenschreiber.

MEINE WELT

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