Ein bisschen Nächstenliebe

Am Samstag habe ich am Pride-Walk durch Basel teilgenommen. Rund 2000 Menschen hatten sich auf dem Theaterplatz versammelt und warteten darauf, über die Wettsteinbrücke Richtung Kleinbasel loszuziehen. Die Teilnehmenden hatten sich mächtig ins Zeug gelegt: Hippe Outfits, aufwendige Make-ups und überall erspähte man die Farben des Regenbogens. In der Menschenmenge entdeckte ich einige junge Gesichter, was mich einerseits mit Freude erfüllte, andererseits auch nachdenklich stimmte: Homophobie oder Rassismus sind Überzeugungen, die gelehrt werden. Junge Menschen können immer noch stark von solchen Meinungen beeinflusst werden.

Mein bester Freund ist homosexuell. Oft drehten sich unsere Gespräche um seine Vergangenheit und den Umgang mit seiner sexuellen Orientierung. Die grösste Hürde für ihn war das «Coming-out», wie er mir erzählte. «Mama, Papa: Ich fühle mich zum gleichen Geschlecht hingezogen.» Warum musste ich mich nie outen? Weil es wohl «normal» ist, das andere Geschlecht gernzuhaben. Andersherum ist also «abnormal»?

In der Schule gemobbt, heftig beleidigt und von der Mutter anfangs nicht akzeptiert: Das ist eine Vergangenheit, die mein bester Freund mit vielen anderen teilt. Ich frage gerne: «Was isches denn eigentlich, wo dich an dr Homosexualität stört?» «Es stört mi eigentlich nit, aber …», ist die Antwort, die ich am häufigsten bekomme. Aber.

Dieses «aber» konnte ich noch nie nachvollziehen. Geht es nicht grundsätzlich einfach um Akzeptanz und Liebe? Platonische Liebe, romantische Liebe – Nächstenliebe? Woher kommt dieses Aber? Was macht einen Menschen akzeptabel oder eben inakzeptabel? Sein Aussehen? Wie viel Geld er besitzt? Oder eben, wen er liebt?

Als ich mich in Basel unter den vielen Menschen befand, die zu Musik tanzten und lachten, verspürte ich ganz viel Liebe. Für meine Mitmenschen, für die Fremden um mich herum, aber auch mich selbst. Gross, klein, dick, dünn, alt oder jung: Kategorisierungen, die absolut belanglos sind, wenn es darum geht, seine Mitmenschen wahrzunehmen, mit ihnen zu interagieren und zu akzeptieren.

Ich denke, dass wir Menschen in Sachen Akzeptanz und Respekt untereinander noch einen langen, steinigen Weg vor uns haben – vielleicht wird dieser Weg auch nie enden. An einem solchen Anlass aus Solidarität mitzulaufen und Mitmenschen, Freunde und auch Fremde zu unterstützen, ist für mich persönlich ein kleiner Stein auf diesem Weg, den ich entfernen kann. Und an diesem Samstag viele junge Gesichter zu sehen, erfüllte mich mit Hoffnung.

Melanie Frei, Redaktorin «Volksstimme»

HERZBLUT

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