21 Tage

Es ist eine kleine Schwäche, die sich Monat für Monat auf der Kreditkartenabrechnung manifestiert und zusammenläppert – und sich Ende Jahr kumuliert als nicht gerade geringe Belastung des Haushaltsbudgets herausstellt: Abonnemente von Streamingdiensten wie Netflix oder Sky oder Disney+. Ich habe sie anfangs alle abonniert, einfach aus dem Grund, da man es konnte – und weil mein Hunger nach Serien nicht eben klein war. Allerdings kündige ich diese Abos immer wieder regelmässig, um zu überprüfen, ob ich ohne sie auskomme, was durchaus der Fall ist, wenn auch bloss für eine gewisse Zeit.

Nachdem ich unlängst wieder einmal Netflix auf Monatsende gekündigt hatte, verblieben noch 21 Tage, bis diese Kündigung in Kraft treten würde. Also sah ich mich gezwungen, in diesen 21 Tagen noch alles aus Netflix herauszuholen, was möglich war und, tief in die Nächte Serien zu schauen. Ich sah so manchen Schrott, dachte aber: «Bezahlt ist bezahlt!» Und am letzten Tag vor Ablauf des Abos stiess ich auf eine Serie mit dem Titel «Wild, Wild Country», in der es aber weder um Cowboys noch um eine bestimmte Musikrichtung geht, wie der Titel glauben machen könnte, sondern um den indischen Guru Bhagwan, genauer um ein Siedlungsprojekt im US-Bundesstaat Oregon namens Rajneeshpuram. Nach etwa zehn Minuten der ersten Folge dieser Dokumentarserie sieht man einen Wald, der sich als weit, weit weg von Oregon herausstellen sollte. Eine Frau spaziert durch diesen Wald und im Hintergrund ist ein Dorf zu erahnen, dann wird eingeblendet: «Maisprach, Switzerland». Mir fiel der Himbeerjoghurtbecher aus der Hand, als ich dies las. Von der Geschichte hatte ich schon gehört: Dass eine gewisse Sheela Birnstiel in Maisprach ein Alten- und Behindertenheim leitet, dort, wo früher ein beliebtes Restaurant gewesen war, das Bad (mein Konfirmationsessen fand im Bad statt, es gab Kalbsrahmschnitzel mit Nüdeli). Dass sie in den 1980er-Jahren unter dem Namen Ma Anand Sheela die rechte Hand des Gurus Bhagwan war – und als solche auch verantwortlich gemacht wurde für einen Salmonellen-Anschlag auf Salatbars in diversen Restaurants in den USA. Dieser Vorfall forderte zwar keine Toten, aber 751 Erkrankte (und gilt als der erste Bioterroranschlag des 20. Jahrhunderts).

Der Titel der Serie verspricht nicht zu viel. Die Geschichte, die in «Wild, Wild Country» erzählt wird, ist wirklich sehr, sehr wild! Und spannend. Dass ich auf Netflix in einer Doku über einen Guru auf das Dorf stosse, in dem ich aufgewachsen bin und auch noch an mein Konfirmationsessen denken muss, das in etwa zur selben Zeit stattfand wie die Salmonellenanschläge, hätte ich eher nicht erwartet. Auch für solche Überraschungen ist Netflix gut. Und ich verlängerte gleich das Abo um nochmals einen Monat.

Max Küng wurde 1969 geboren und ist auf einem Bauernhof in Maisprach aufgewachsen. Heute lebt er mit seiner Familie in Zürich und ist ein landesweit bekannter Kolumnenschreiber.

MEINE WELT

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