Immer wieder Südsee (IV): Rarotonga, Cookinseln

Rarotonga liegt in einer von Zyklonen heimgesuchten Region des Pazifiks. Der Taifun Meena richtete 2005 Sachschäden in Millionenhöhe an. Er zog mit Windgeschwindigkeiten von 220, in Böen bis zu 270 Stundenkilometern nahe an den Cookinseln vorbei.

Hanspeter Gsell

Es gibt den Orkan, den Hurrikan, den Taifun, Blizzards, Tornados, Wind- und Wasserhosen. Je nach Weltgegend und Ausmass nennt man es anders, wenn einem ein Sturm die Haare zerzaust. Am 26. Dezember 1999 war es Orkan Lothar, der in der Schweiz rund 10 Millionen Bäume umwarf. (Wer zählt eigentlich so etwas?)

Klar haben wir alle schon einmal einen Sturm erlebt. Im Vergleich zu seinen tropischen Vettern war dieser aber wohl eher ein Sturm im Wasserglas. Wenn die äquatorialen Wettergötter nämlich so richtig schlecht gelaunt sind, dann ist die Hölle los! Bei Windstärken von weit über 200 Stundenkilometern und Spitzen von bis zu 300 km/h fliegt buchstäblich alles davon. Im Schweizer Flachland betrugen 1999 die durchschnittlichen Böen-Spitzen 140 Stundenkilometer.

Super-Taifune
Super-Taifune sind keineswegs selten. Eher selten aber brechen sie über bewohnte Gebiete herein. Sollte es trotzdem passieren, sind die Folgen verheerend. Bäume werden entwurzelt, Kokospalmen geköpft. Hütten und Häuser lösen sich in ihre Bestandteile auf und landen nach Hunderten Kilometern irgendwo im Meer. Noch gefährlicher als der Wind an sich sind umherfliegende Kokosnüsse und Wellblechdächer. Die Nüsse werden zu fliegenden Kanonenkugeln, die Dächer zu messerscharfen Wurfmessern, die eine Palme mühelos durchsäbeln können. Die brüllenden Winde überdecken locker den Lärm eines startenden Jumbojets.

Zum Albtraum werden die Taifune auf flachen Inseln. Das Land wird völlig überflutet und alles, was nicht fest verankert ist, verschwindet für immer im Meer. Die ohnehin nicht allzu fruchtbaren Böden werden versalzen und sind auf Jahre hinaus kaum mehr benutzbar.

Auf flachen Inseln hält man sich deshalb immer ein paar dicke Seile in Reserve. Hat Grossvater Hütte und Boote so gut wie möglich gesichert, bindet er zuerst seine Familie und zuletzt sich selbst an einer möglichst dicken Palme fest. Im Anschluss hilft nur noch inniges Beten und die Hoffnung auf himmlischen Beistand. Da sich der dafür zuständige Missionar angesichts der bedrohlichen Wetterprognosen jedoch längst aus dem Staub gemacht hat, wartet Grossvater auch heute noch auf eine göttliche Eingebung.

Möglicherweise wurde Rarotonga bereits 1789 von den Meuterern der «Bounty» gesichtet. Nach der Meuterei, die sich in der Nähe von Tofua ereignet hatte, segelte Fletcher Christian zunächst südwestwärts bis zur Insel Tubuai. Auf dem Weg dorthin sichtete er eine Insel, die eine der einheimischen Frauen der Meuterer als «Nuku Tere» bezeichnete. Ob es sich um Rarotonga handelte oder um eine andere Insel des Cook-Archipels, ist nicht mehr nachzuvollziehen.

Die eigentliche Entdeckung der Insel ist eine wahrhaft spannende und abenteuerliche Geschichte: Unter dem Kommando von Kapitän Goodenough segelte die «Cumberland» am 18. Januar 1814 von Port Jackson, dem heutigen Sidney, ab. Aus Rarotonga wollte man Sandelholz importieren. In jenen Zeiten meinte man mit dem Wort «importieren» natürlich «stehlen».

Noni statt Sandelholz
Zwei Landeversuche auf Rarotonga schlugen fehl, die Einwohner erwiesen sich als zu feindselig. Erst beim dritten Versuch konnte ein friedliches Übereinkommen mit den Insulanern erzielt werden; sie liessen sich als Arbeitskräfte anheuern. Von einem Lohn war natürlich keine Rede.

Goodenough fand nicht einen einzigen Sandelholzbaum. Um nicht leer zurückzukehren, liess er Noni-Bäume fällen, deren Wurzeln einen gelben Farbstoff für Textilien lieferten. Der Noni wächst als immergrüner Strauch 5 bis 10 Meter hoch. Trotz des bitteren Geruchs nach ranzigem Käse werden die Früchte gegessen oder zu einem gezuckerten Getränk verarbeitet.

Seit einigen Jahren behaupten Influencer, Weltverbesserer und Wunderdoktoren, die Früchte des Noni-Baums seien unglaublich gesund, würden allerhand böse Krankheiten heilen und die Menschen rundum glücklich machen. Tun sie nicht. Die folgenden Tätlichkeiten lassen das Gegenteil vermuten: Am 12. August 1814 schlug die Stimmung urplötzlich um. Angeblich hatte die Besatzung der «Cumberland» dem örtlichen Chief Kokosnüsse gestohlen. Die Seeleute wurden angegriffen, ein gewisser Korporal Crocker erhielt einen tödlichen Keulenschlag. Gleichzeitig wurden weitere Crewmitglieder auf gleiche Weise attackiert und umgebracht. Sie sollen noch am selben Abend während eines Rituals verspeist worden sein.

Am 20. Oktober 1814 traf die «Cumberland» wieder in Sidney ein. Das Unternehmen brachte den Beteiligten kein Glück. Da Rarotonga offensichtlich von mörderischen Kannibalen bewohnt und dort kein Sandelholz zu finden war, geriet die Insel vorerst in Vergessenheit.

Mit Bibeln werfen
1821 landete John Williams, ein Missionar der Londoner Missionsgesellschaft, auf der Insel Aitutaki. Er bekehrte mithilfe von Predigern aus Tahiti die Insulaner innerhalb kürzester Zeit. Auch auf der Insel Rarotonga waren die Missionare höchst erfolgreich. Binnen eines Jahres sollen sämtliche Bewohner vom christlichen Glauben überzeugt worden sein.

In der Folge erreichten noch mehr Missionare, Händler und Walfänger die Insel Rarotonga. Sie brachten Feuerwaffen, Alkohol und Bibeln mit. Wie überall im Pazifik verbreiteten die Ausländer Infektionskrankheiten, gegen welche die Insulaner keine Abwehrstoffe entwickelt hatten. Mehrere Epidemien reduzierten die Bevölkerung innerhalb von 20 Jahren um mehr als die Hälfte.

Im 19. Jahrhundert waren es amerikanische Evangelikale, später französische Katholiken, die den Bewohnern den Herrgott eintreiben sollten. Als sie dies mehr oder weniger erfolgreich erledigt und den – nur scheinbar gottlosen – Ureinwohnern den Weg zur Erleuchtung gewiesen hatten, kam es zwischen den rivalisierenden Missionaren zu schweren Ausschreitungen. Sie prügelten sich derart, dass die französische Armee eingreifen musste.

Es braucht einiges an Fantasie, sich die prügelnden Gottesmänner vorzustellen. Wie sich die Mormonen, mit Keulen bewaffnet, hinter Kokospalmen versteckt hielten. Dort warteten sie auf die Zeugen Jehovas, die ihrerseits – Bibel werfend – gegen den Strand vorrückten. Dort aber hatten die französischen Pfarrer bereits die Guillotinen aufgestellt.

Ich wollt’, ich wär (k)ein Huhn
Heute ist Markt in Avarua, dem Hauptort der Insel Rarotonga. Die Hälfte der Bevölkerung kocht, schnitzt und verkauft, die andere Hälfte isst, kauft und hat Spass. Obwohl man angesichts der Besucher der «Aranaui» die Preise hätte erhöhen können, verzichtete man darauf.

Nicht nur auf den Cook Islands, sondern auch auf vielen anderen Inseln im Pazifik sind Hühner vogelfrei – frei wie Vögel – und überall anzutreffen. Es gackert, gluckert und kräht nicht nur auf dem Mist. Die Chefin der Hafenbehörde, Captain Elena, klärt uns auf. Wer immer Hunger verspürt, jedoch noch kein Abendessen eingekauft hat, krallt sich ein (glückliches?) Huhn, rupft und köchelt es, wie es schon Grossmutter getan hat. «Natürlich auch die Hähne, diese jammernden Gockel!», fügt Captain Elena hinzu.

Von Rarotonga geht es noch heute Abend weiter nach Bora Bora. Ob diese Insel ihren Ruf als «Perle des Pazifiks» wirklich verdient hat?

In loser Folge erscheint in der «Volksstimme» die sechsteilige Serie «Immer wieder Südsee» zur Reise des Sissacher Schriftstellers Hanspeter Gsell von Papeete über Raiatea zu den Cookinseln und zurück nach Bora Bora und Huahine.

Noni statt Sandelholz

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