Immer wieder Südsee (III): Aitutaki, Cook Islands

Gekocht wird auf den Cookinseln schon, aber der Name rührt nicht daher. Und wer auf Inseltour im Pazifik ist, muss sich nach dem Wetter richten.

Hanspeter Gsell

Mehr als 1000 Menschen erwarten unseren Besuch. Das erste Mal in der Geschichte der Insel legt ein Schiff aus Französisch-Polynesien hier an. Zumindest beinahe. Da keine Passage zum Hafen führt, werden die Passagiere mit Bargen an Land gebracht. Das Schiff wird unterdessen vor der Insel warten.

Versuchsweise lässt man eine Barge, ein Beiboot, ins Wasser. Es soll die Passage durch das Riff erkunden. So war zumindest der Plan. Eine Windböe macht ihn zunichte. Die Barge hing noch an Tauen und Ketten knapp über der Wasseroberfläche und knallte mit grosser Wucht an die Bordwand der MS Aranui. Vier Seemänner versuchen, sich an den Seilen und Tauen festzuhalten. Trotzdem werden sie tüchtig durchgeschüttelt. Einer der beiden Motoren wird abgerissen und versinkt im Meer.

Das Ballett der Seemänner
Nachdem der Wind etwas abgeflaut ist, wird die Barge wieder hochgezogen, der Schaden begutachtet. Kein Problem, zwei Beiboote werden auf der Weiterfahrt genügen müssen. Am nächsten Tag gelingt die Wasserung einer neuen Barge. Die Seemänner bereiten sie auf die Zuladung vor. Mit grosser Eleganz, absoluter Präzision und Sicherheit hangeln sie sich durch das Gewirr von Tauen und schweren Ketten, werfen anschliessend die Motoren an und manövrieren die Barge zur «Aranui». Was wie ein Ballett erscheint, ist in Wahrheit ein tausendmal geübter Vorgang.

Die gleichen Seemänner werden am Abend in einer Ecke der Bar stehen. Mit Ukulelen und mehrstimmigen Gesängen werden sie die Passagiere unterhalten. Noten kennt man keine, die Texte werden von einer Generation zur nächsten übermittelt.

Es scheint, als ob alle Polynesier mit einer Zweitstimme auf die Welt kommen würden. Jemand stimmt ein Lied an. Als Nächstes sucht sich eine Ukulele die Akkorde. Eine Zweitstimme setzt ein, manchmal auch eine dritte oder vierte Stimme.

Josiane meint, das sei schon in alten Zeiten so gewesen. Persönlich habe ich eine etwas andere Meinung. Die Lieder tönen nämlich verdächtig wie die Choräle der christlichen Missionare. Leider haben diese jedoch nicht nur die schönen Gesänge gebracht, sondern die Menschen gleichzeitig auch ihrer Kultur beraubt.

In jenen Zeiten lebte man weit verstreut auf der Insel, die Missionare hatten ihre Schafe nicht unter Kontrolle. Man baute deshalb kurzerhand neue Dörfer, quartierte die Menschen um und brachte sie so unter die eigene Fuchtel.
«Die Eingeborenen wurden zu Zugpferden zivilisiert und zu Lasttieren christianisiert. Man hat sie buchstäblich wie Tiere vor die Karren ihrer geistlichen Lehrer angeschirrt.»

(Melville, Taipi, 1844)

Auf den Marae, den Kultstätten der Polynesier, baute man christliche Kirchen und verscherbelte die Götterstatuen, die Tikis, an die Meistbietenden. Den Glauben an ihre alten Götter trieb man ihnen aus, brachte ihnen Choräle und das Vaterunser bei und verpasste ihnen «schickliche» Kleider. Man verbot ihnen den Palmwein («Pfui»), das Rauchen («Pfuipfui») und die alten Götter («Pfuipfui-pfui»). Fortan war nur noch ein einziger Gott für das Seelenwohl der Polynesier zuständig. Der aber wusste nichts davon.

Begrüssung mit Premierminister
Irgendwann haben wir es geschafft. Glücklich, aber klatschnass erreichen wir den kleinen Hafen von Aitutaki. Bei der Ankunft werden wir mit farbigen Blumen bekränzt. Der Ministerpräsident der Republik wurde von der Hauptinsel Rarotonga eingeflogen. Er soll eine Begrüssungsrede halten. Leider regnet es genau in diesem Moment wie aus Kübeln, das notdürftig hingestellte Zelt kann die Ankommenden nicht aufnehmen. Ein Reporter der «Cook Island News» hat sich am Rand der Veranstaltung auf einen Plastikstuhl gesetzt. Er wird für sein Blatt hautnah berichten.

Das schlechte Wetter hält den Premierminister nicht von seiner Rede ab. Seine Assistentin hält einen Regenschirm schützend über ihn. Trotzdem ist das Papierbündel in seinen Händen nass geworden. Ich weiss jedoch, dass Premierminister Mark Brown mit uns auf der «Aranui» nach Rarotonga, auf die Hauptinsel der Cook Islands, reisen wird.

Plötzlich weicht das Schwarz des Himmels einem blassen Hellblau. Wo nur Grau zu sehen war, wachsen, wie aus dem Nichts, grüne Inseln aus dem Ozean, sie werden sofort umrundet und eingerahmt von azurblauen Streifen. Wellen werfen sich mit ungestümer Wucht gegen unterseeische Korallenriffe, steigen in die Höhe, überschlagen sich und verschwinden so schnell wieder, wie sie erschienen sind.

Die Insel der Köche
Der Mann, der die Inseln 1789 als Erster beschrieb, war William Bligh. William Bligh? Natürlich kennen wir den! Er war der Kapitän der HMVA Bounty. Er war es, der den Brotfruchtbaum («Uru») auch auf die Cookinseln brachte. Dieser ursprünglich in Südostasien beheimatete Baum spielte und spielt eine gewichtige Rolle in der Entwicklung der pazifischen Kulturen.

Der Name «Cookinseln» für den ganzen Archipel erscheint erst viele Jahre nach dem Besuch von Captain Bligh auf den Seekarten jener Zeit. Johann von Krusenstern soll es gewesen sein, der die Inseln zu Ehren des Seefahrers James Cook auf dessen Namen «taufte». Die «Cooks» haben also nichts mit Köchen zu tun, wie dies von einer deutschen Illustrierten vermutet wurde. («Waren Sie schon einmal auf den Koch-Inseln?»)

Das kleinste Postamt der Welt
Die erste «Landebahn» auf Aitutaki wurde durch das US-Militär während des Zweiten Weltkriegs erbaut. Der Unterbau bestand aus Korallengestein. Von 1951 bis 1960 wurde die Lagune als Zwischenstopp auf der Korallen-Route zwischen Auckland (Neuseeland) und den pazifischen Inseln genutzt. Diese wurde von Teal, der «Tasman Empire Airways Limited» angeboten. Die Lagune diente dabei als Tankstopp für die Flugboote. Flugboote und Airline gibt es leider nicht mehr.

Fragt man die Insulaner, so ist die Lagune von Aitutaki natürlich die schönste der Welt. Es gibt keinen Massentourismus, die wenigen Hotels und Pensionen sind klein. Insofern ist die Insel ein idealer Ort der Ruhe und Entspannung. Strandläufer und Sonnenanbeter müssen unbedingt die «One Foot Island» besuchen. Nicht weil sie dort auf den Ballermann treffen werden, sondern weil auf dieser Sandinsel nichts los ist. An einzelnen sonnigen Tagen im Jahr öffnet dort manchmal das kleinste Postamt der Welt seinen Schalter. Von hier kann man Briefe oder Ansichtskarten in alle Welt versenden.

König Charles III.
Um auf den Cookinseln klarzukommen, sind nur zwei Dinge erforderlich – «Take it easy» und Englisch. Die Aussprache ist neuseeländisch geprägt. Dies ist nicht wirklich verwunderlich. Denn der kleine Staat ist mit Neuseeland assoziiert. Das Staatsoberhaupt ist somit König Charles III.

Die Cookinseln regieren sich jedoch selbst. Die gesetzgebende und ausführende Gewalt unterliegt keinen Beschränkungen durch Neuseeland. Eine eigene Staatsangehörigkeit der Cookinseln besteht allerdings nicht; alle Einwohner des Landes sind automatisch Bürger Neuseelands. Dank dieser Regelung leben in New Zealand mehr als 120 000 Cook-Insulaner, nur gerade 12 000 Menschen leben noch auf den Inseln. Ich habe es versäumt nachzufragen, ob man diese Menschen «Cookies» oder «Cookers» nennt. Wohl beides nicht. Erstere wären Guetzli, das andere Kochtöpfe.

Auf Aitutaki geht es ausgesprochen lässig zu. Dies bezieht sich auch auf die Bekleidung. Ein Paar Flip-Flops und leichte Kleidung reichen auch für die seltenen Abendveranstaltungen.

Insel Atiu
Es war geplant, die Insel Atiu anzufahren. Sie sollte, neben Aitutaki und Rarotonga, die dritte «neue» Insel auf den Seewegen der «Aranui» werden. Leider wurde nichts aus unserem Besuch; Wind und Wellen liessen eine Landung nicht dazu. Auf der Insel selbst hatten Erdrutsche die wenigen Strassen unpassierbar gemacht. Ausser für einzelne (deutsche) Passagiere bedeutete dies kein Problem. Ich will Holger aus Frankfurt an der Oder nicht zitieren. Denn «manchmal ist es leichter zu reisen, als darüber zu schreiben» (David Livingston, 1857).

In loser Folge erscheint in der «Volksstimme» die sechsteilige Serie «Immer wieder Südsee» zur Reise des Sissacher Schriftstellers Hanspeter Gsell von Papeete über Raiatea zu den Cookinseln und zurück nach Bora Bora und Huahine.

Es lebe der König!

Image Title

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Ja. Ich benötige ein Abo.

Article

Image Title