Martin Herzberg geht in der Erwachsenenbildung ungewohnte Wege

Der 62-jährige Martin Herzberg befasst sich beruflich mit lebenslangem Spielen als Persönlichkeitsentwicklung und ist Zeremonienleiter für Trauerfeiern und Trauungen – zudem war er Bassist der kürzlich aufgelösten ältesten Punkband der Schweiz.

Andreas Bitterlin

Der in Anwil wohnhafte Martin Herzberg verdient sein tägliches Brot hauptsächlich mit Spielen. Das tönt vordergründig nach Dauerferien mit Dauer-Hobby. Tatsächlich ist er in seinem Beruf als Spielagoge seriöser Arbeit in der Erwachsenenbildung verpflichtet. Spielen ist sein Werkzeug für Persönlichkeits- und Teamentwicklung. Spiele mit gezielten didaktischen und methodischen Ausrichtungen sollen den Kursteilnehmenden bei verschiedenen Anforderungen zu grösserer Kompetenz verhelfen, so beispielsweise in der Auftrittskompetenz, bei der Interaktion in Teams oder beim Erteilen von Anweisungen.

Schon als Kind und auch jetzt noch als «Ü-60er» hat Herzberg ein sehr skeptisches Verhältnis zu den gängigen Gesellschafts- und Brettspielen, bei denen es meist um das Gewinnen geht. Er realisierte schon als Knabe, dass diese Spiele Verlierer hervorbringen, die oft ausgelacht werden, was für die Betroffenen unangenehm ist.

Aber auch das Siegen hatte für den Knaben Martin keinen Reiz: «Neben den Gewinnern gibt es immer auch Verlierer, und ich wusste, wie schlecht sie sich fühlen.» Auch der Sportplatz war für Herzberg kein freudvolles Tummelfeld: «Ich war ein dickes und unsportliches Kind, das beim Fussball immer ins Tor beordert wurde.» So wich Klein-Martin in die Welt des Lesens aus und wurde ein begeisterter Bücherwurm.

Die Punk-Phase
Dennoch wurde später das Spielen ein wichtiges Element in seinem Leben. 30 Jahre lang, von 1984 bis 2014, spielte er die Bassgitarre in der ältesten Punkband der Schweiz namens «Vorwärts», die sich vor Kurzem auflöste. Punk war damals in England die Ausdrucksform gegen die Arbeitslosigkeit, fehlende Bildungschancen und Perspektivlosigkeit für die Jugend.

Für den Musiker Herzberg war der Punk eine Stilrichtung, die ihn ansprach – neben Spass und Spiel war ihm auch das gesellschaftliche Engagement wichtig: «Wir verstanden uns im Punkrock als politisch links. Wir waren gegen die Ausbeutung der Arbeiterschaft und gegen Kommerz im Allgemeinen. Unser Bandname ‹Vorwärts› lehnte sich an der deutschen sozialistischen Zeitung Vorwärts an.» Martin Herzberg definiert sich auch heute noch als politisch links.

Den Begriff Spielen fasst er weit, dazu gehört das Spielen mit Gedanken, Fantasie und Kreativität. Er frönt auch dem Hobby Kalligrafie, also der Kunst des schönen Schreibens, bei dem er mit Formen und Farben spielt.

Das Geschäft «Spielbar»
Vor mehr als 20 Jahren lernte Martin Herzberg seine jetzige Frau Gaby kennen, die damals schon das Spielen in der Bildung einsetzte mit ihrem Geschäft «Spielbar». Sie konnte ihn überzeugen, dass das Spielen ein sehr geeignetes Instrument in der Bildung sein kann. Als diplomierter Erwachsenenbildner erkannte er, dass Spielen mehr bietet als gewinnen und verlieren, etwa den Gedanken vom Spiel als Interaktion von Menschen.

Herzberg: «Wer spielt, ist immer in Interaktion. Entweder mit sich selbst, zum Beispiel bei Computergames, oder mit den Mitspielerinnen und -spielern. Das Spiel eignet sich einerseits als Lernmethode, es verschafft uns andererseits auch Erkenntnisse darüber, wie wir mit uns selbst und mit anderen umgehen. Diese Umstände machen wir uns in unserer Arbeit in der Bildung und im Teamcoaching zunutze.» Spiele mit Gewinnern und Verlierern setzt er nur sehr selten zu spezifischen Zwecken ein – zum Beispiel, wenn er Erkenntnisse aus den Reaktionen der Spielenden ziehen und einen Transfer zum Thema Fehlerkultur herstellen will.

Martin Herzberg führt inzwischen gemeinsam mit seiner Frau Gaby Hasler Herzberg als Kollektivgesellschaft die «Spielbar», die auf mehreren Themenfeldern aufgebaut ist. Ehemann Martin widmet sich zum Beispiel der Weiterbildung von Bildungsfachleuten, unter anderem an pädagogischen Hochschulen zum Thema Spielen in der Bildung. Ehefrau Gaby ist als eine von wenigen Personen in der Schweiz spezialisiert auf die Weiterbildung von Betreuungsfachpersonen im Bereich Alter und Demenz. Spielen als Werkzeug soll dazu beitragen, Fähigkeiten zu erhalten oder gar zu verbessern. Die «Spielbar» entwickelt und verkauft auch Produkte und Schriften im Zusammenhang mit Spielen zu den Themen Aktivierung, Bildung und Coaching.

Als die Mutter von Martin Herzberg starb, wurde er von seinem Vater und seinem Bruder gebeten, den Lebenslauf der Verstorbenen zu schreiben und ihn an der Beerdigung vorzutragen. Das lag ihm, und er konnte seine gelernten Fähigkeiten in der Kommunikation, im Sprechen zu mehreren Personen und im Umgang mit Emotionen einsetzen. Die Reaktionen der Trauergemeinde waren positiv, und Martin Herzberg entschied, die Tätigkeit weiterzuführen und auszubauen.

Seit fünf Jahren ist er nun als Zeremonienleiter für alternative Trauerfeiern und Trauungen tätig. Alternativ heisst in seinem Fall, dass er im Gegensatz zu den traditionellen Trauerfeiern und Trauungen keinen Bezug zu Gott herstellt, sondern die Verstorbenen oder Eheleute ins Zentrum seiner Ausführungen stellt. Und sie finden nicht in der Kirche statt. Die Schweiz ist bei Bestattungen liberal: Erdbestattungen müssen aus hygienischen Gründen zwar auf einem Friedhof erfolgen, die Asche darf aber zu Hause aufbewahrt oder an einem Waldrand oder in verschiedenen Gewässern verstreut werden.

Bei den Bestattungen versucht er, aufgrund seiner Diskussion mit den Hinterbliebenen, die Trauerfeiern so zu gestalten, dass sie im Sinne des Verstorbenen sind. Dazu kann, wenn es die technischen Möglichkeiten und das Umfeld erlauben, auch dessen Lieblingsmusik gespielt werden.

Herzberg greift beim Entwickeln der Ansprache auf Fähigkeiten zurück, die seinem Wesen entsprechen und die er in Weiterbildungen gelernt hat: Texte schreiben, die richtigen Fragen stellen, Auftrittskompetenz. Und er fühlt sich auch emotional fähig, mit den trauernden Hinterbliebenen in einer aussergewöhnlichen Lebenssituation umzugehen: «Sie sind froh über jemanden, der nicht mitleidet, sondern die Situation aushalten und mittragen kann. Dies benötigt ein gewisses Mass an persönlicher Stabilität. Ich habe diese Stabilität.» Bei den Trauungen geht er auf beide Eheleute, ihre Besonderheiten und ihr Kennenlernen ein und lässt sie vor Publikum nochmals ihr Ja zur Ehe bestätigen.

Unterwegs auf Pilgerwegen
Gaby Hasler Herzberg und Martin Herzberg sind Fernwanderer. Auf einem der Jakobswege sind sie 1450 Kilometer von Limoges nach Santiago de Compostela gewandert. Dieses Erlebnis war nicht religiös motiviert, doch ein Pilgerweg ist für Martin Herzberg nicht einfach ein Wanderweg: «Auf den Pilgerwegen sind seit Jahrhunderten Menschen unterwegs. Sie alle haben ihre Hoffnungen in diese Wege gelegt. Wir hatten das Gefühl, diese Energie zu spüren.»

Im Herbst startet das Paar zu seiner ersten Etappe auf dem Pilgerweg Via Francigena von Lausanne über Aosta und Siena nach Rom. Insgesamt 900 Kilometer Weg zu Fuss erwarten Martin Herzberg und Gaby Hasler Herzberg auf dieser Reise.

Spielend zur Persönlichkeitsentwicklung

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