Ein Theater-Wochenende mit «Lüüge und anderi Zuetate»

Nach zweimaligem Verschieben wegen Corona konnte endlich wieder Theater aufgeführt und das gesellige Zusammensein zelebriert werden. Eine Tradition, die in Wintersingen vor mehr als 100 Jahren ihren Anfang genommen hat. Die Freude ist riesig beim Publikum, bei der Theatergruppe und beim Musikverein als Organisator.

Brigitte Keller

Der erste Lacher des Abendprogramms gehört Claudia Sprenger, Präsidentin des Musikvereins. Nach der offiziellen Begrüssung und dem Dank an alle Beteiligten, Helfer und Behörden verkündet sie, dass man sich bei den Organisatoren melden könne, wenn einem ein Möbelstück oder Dekorationsgegenstand von der Bühne gefalle. Diese seien zu haben, aber selbstverständlich erst nach der letzten Vorstellung vom Sonntagnachmittag.

Dann hebt sich der Vorhang und gibt den Blick frei in die Villa Mulb. Dort dreht sich erst einmal alles um das Essen. Kathy Mulb (Nadine Speisers Premiere), die Dame des Hauses, weiss ganz genau, was «in» und was «out» ist. Sie hat dafür gesorgt, dass nur noch gesunde Nahrungsmittel, auch solche, von denen man nicht einmal wusste, dass sie existieren, auf den Tisch kommen. Hausherr Robert Mulb (Fritz Lützelschwab) ist der Verzweiflung nahe. «Bio do, Fairtrade dört, das isch jo guet und rächt, aber denn no laktosefreie Risotto, glutefreie Salat und vegetarischi Kotlett», beklagt er sich beim Dienstmädchen Elsa (Esther Büchli-Brodbeck).

Aus seinem geplanten Wochenende mit Golfen und anschliessendem Essen von Rippchen wird auf jeden Fall nichts, da seine Frau andere Pläne geschmiedet hat. Eine Freundin der lieben Gattin wird heiraten und so macht er sich gezwungenermassen mit der Angetrauten auf den Weg dorthin. Im letzten Moment vor der Abreise fällt ihm noch ein, dass für Koch Köbi schon vor einer Woche ein Brief gekommen ist.

Köbi Feller (Simon Häfelfinger) kann es kaum fassen. Im Brief steht, dass er den Wettbewerb für das beste Rezept aller Zeiten gewonnen hat. Seine Bemühungen, sich für die neuen Essgewohnheiten im Haus gewaltig ins Zeug zu legen, machen sich also offenbar bezahlt. Gerade erst ist er vom Einkaufen zurückgekehrt und freut sich darüber, das Gemüse «Krosamsle» ergattert zu haben. Dieses trendige Grünzeug und der daraus hergestellte Auflauf hat die Jury der Zeitschrift «Koch und Köchin» überzeugt.

Aufgepasst, wenn es klingelt
Im Film und auf der Bühne ist es selten ein gutes Zeichen, wenn plötzlich das Telefon klingelt. Oft kündigt sich dadurch etwas Unvorhergesehenes an – oder Schlimmeres. Dienstmädchen Elsa weiss noch nichts davon, als nach knapp 20 Minuten Spielzeit ihr Handy klingelt. Das Publikum ahnt an dieser Stelle schon etwas mehr. Schliesslich heisst das Stück nicht umsonst «Lüüge und anderi Zuetate».

Am anderen Ende der Leitung sind die zwei Erbtanten Christa (Claudia Huber) und Vreni (Seraina Abegg) aus Amerika. Aber sie sind natürlich nicht mehr in Amerika, sondern auf direktem Weg für einen Überraschungsbesuch bei ihrer Nichte Elsa. Diese hat ihnen dummerweise vorgeschwindelt, dass sie verheiratet sei und in einem Herrschaftshaus wohne. Und, wie könnte es anders sein, kündigt sich auch im liegen gebliebenen Brief weiterer Besuch an. Journalistin Gundula Fetz (Patricia Roth) von der Kochzeitschrift steht schon so gut wie vor der Tür.

Lügen haben kurze Beine
Damit sind nun alle Zutaten vorhanden, um Verwechslungen und Verwicklungen anzurichten. Die zwischenzeitliche Zuversicht von Elsa («das isch doch es Chinderspiel») wird im weiteren Verlauf gehörig über den Haufen geworfen. Die Tanten werden für die Vertreterinnen der Zeitschrift gehalten, Dienstmädchen Elsa und Koch Köbi für die Hausbesitzer und die Journalistin für verrückt erklärt. Oder war es umgekehrt? Wer was weiss oder fälschlicherweise annimmt, wird immer unübersichtlicher.

Es versteht sich von selbst, dass auch noch die wahren Hausbesitzer unerwartet hereinplatzen. Was für ein Schlamassel für die Protagonisten des Stücks. Aber ganz zur Freude des Publikums.

Von nichts kommt aber nichts. Regisseur Roland Sollberger und die Theatergruppe Wintersingen haben ab Dezember jeden Abend auf der Bühne geprobt, um die Tradition fortzusetzen. Dass Sollberger seine Leidenschaft für das Theater schon mit der Muttermilch aufgesogen hätte, wäre noch untertrieben. Denn die Freude am Theaterspielen steckte gar schon in den Grosseltern. Sie gehörten zu den Vorfahren, die gemäss Überlieferung im Jahr 1921 das Theaterspielen in Wintersingen aus der Taufe gehoben haben.

Das ist doch (k)ein Kinderspiel

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