Der Wolf ist ins Baselbiet zurückgekehrt
23.11.2021 Baselbiet, Lauwil, Zeglingen, Natur
André Frauchiger
Der Bauer Christian Degen vom Hof St. Romay oberhalb des Dorfes Lauwil ist untröstlich: Ihm wurden in der Nacht vom vergangenen Mittwoch auf Donnerstag auf der Weide hinter der Scheune sieben von insgesamt zwölf Geissen von einem Raubtier ...
André Frauchiger
Der Bauer Christian Degen vom Hof St. Romay oberhalb des Dorfes Lauwil ist untröstlich: Ihm wurden in der Nacht vom vergangenen Mittwoch auf Donnerstag auf der Weide hinter der Scheune sieben von insgesamt zwölf Geissen von einem Raubtier gerissen. Fünf Geissen waren bereits tot, als er sie fand, auf der Weide verstreut. Zwei schwer verletzte Tiere musste er in der Folge von ihrem Leid erlösen. Die übrigen fünf Geissen überlebten unverletzt. So etwas haben Christian Degen und sein Vater Traugott noch nie erlebt. Beide lieben ihre Tiere, sind erschüttert und verunsichert. Die Frage drängt sich auf: Kommt das Raubtier wieder zurück? Die fünf überlebenden Geissen verbringen die Nächte seither jedenfalls gut gesichert im Stall.
Welches Raubtier die sieben Geissen auf dem Gewissen hat, ist seither Gegenstand von Untersuchungen in tierärztlichen Labors an den Universitäten Bern und Lausanne. Bereits am Tag nach ihrem Auffinden wurden die toten Tiere in die entsprechenden Labors gebracht. Im Rahmen einer ersten Prüfung der toten Geissen in Bern konnte aber noch nicht zweifelsfrei festgestellt werden, auf welches Raubtier der Riss zurückzuführen ist. Erst eine DNA-Analyse in Lausanne dürfte Gewissheit geben, wie die zuständigen Stellen hoffen. Mit dem Resultat könne trotz vorgezogener Untersuchung beim zuständigen Labor aber erst in rund 14 Tagen gerechnet werden, teilten die Behörden am Wochenende mit.
Fall im Kanton einzigartig
Das Gesamtbild sei «nicht typisch», teilen die Behörden mit. Als Verursacher könne ein Wolf nicht ausgeschlossen werden, ebenso wenig ein wildernder Hund. Als Täter käme allenfalls auch ein Goldschakal infrage, allenfalls ein Luchs, aber nicht ein Fuchs, wie Insider festhalten. Denn eine Ziege sei für den Fuchs als Beute zu gross. Ist der Wolf ins Baselbiet zurückgekehrt? Im Kanton habe es bisher keinen vergleichbaren Fall gegeben, teilt die zuständige Volkswirtschaftsund Gesundheitsdirektion auf Anfrage mit. Es gebe seit der Rückkehr des Wolfes in die Schweiz bisher keinen Wolfsnachweis für das Baselbiet, hiess es noch am Montagmorgen. Diese Aussage ist mittlerweile überholt. Gestern Nachmittag teilte das Amt für Wald beider Basel mit, dass in Zeglingen an zwei verschiedenen Örtlichkeiten ein Wolf beobachtet und fotografiert werden konnte. Es handle sich vermutlich um ein Jungtier. Ob das fotografierte Exemplar auch für die Risse in Lauwil verantwortlich ist, könne noch nicht bestätigt werden. Nachgewiesene Wolfsrisse gab es in jüngster Zeit schon in den Kantonen Aargau und Jura, im Jura erst vor rund drei Wochen bei St. Ursanne. In Anbetracht dessen, dass es im grenznahen Elsass recht viele Wölfe gibt und insbesondere jüngere Tiere auf der Suche nach einem neuen Revier Hunderte von Kilometern zurücklegen, kann der Wolf als Täter in Lauwil auf jeden Fall nicht ausgeschlossen werden.
Gabriel Suter von der Abteilung Jagd und Fischerei im Amt für Wald beider Basel weist darauf hin, dass der Riss eines Raubtiers bei Geissen wie in Lauwil «sehr speziell» für das Baselbiet sei. In Voralpen- und Alpenkantonen komme dies natürlich häufiger vor. Es gelte nun für Lauwil, die Tiere mit geeigneten Massnahmen zu schützen und wenn möglich nachts im Gebäude, im sicheren Stall, unterzubringen. Auf dem Hof von Christian Degen gibt es neben den fünf überlebenden Geissen noch 24 Milchkühe, eine Mutterkuh mit einem Jungen, zwei Esel und zehn Hühner. Auch um diese macht sich Bauer Degen nun Sorgen.
Herdenhunde sehr gefragt
Der Abschuss eines Wolfes würde von den Behörden nur dann allenfalls erlaubt, wenn das gleiche Tier nachgewiesenermassen mehrmals Tiere gerissen habe, führt Suter auf eine entsprechende Nachfrage der «Volksstimme» aus. Die Devise heisst deshalb heute «Vorbeugen».
Wie Fabian Dettwiler, Herdenschutzbeauftragter beim Ebenrain-Zentrum für Landwirtschaft, Natur und Ernährung in Sissach, unterstreicht, braucht es nun eine differenzierte Beratung der Betroffenen, was die Schutzmassnahmen betrifft. Eine der ersten Massnahmen sei dabei ein dichter, rund 1,2 Meter hoher, elektrifizierter Spezialzaun. Speziell ausgebildete Herdenhunde seien hingegen sehr gefragt und nur schwer zu erhalten. Es brauche auch immer zwei Herdenhunde.
Als Beratungsstelle, die auch konkrete Hilfe anbieten könne, verweist Dettwiler auf die schweizerische Organisation Agridea. Diese stehe bei Bedarf mit Rat von Fachleuten den von einem Riss betroffenen Tierhaltern zur Verfügung. Die Agridea bezeichnet sich denn auch als landwirtschaftliche Beratungszentrale der kantonalen Fachstellen und als «Bindeglied zwischen Wissenschaft und Bauernhof». Sie hat ihre Standorte in Lindau, Lausanne und Cadenazzo.