Kläranlagen sind überfordert
16.07.2021 Baselbiet, NaturChristian Horisberger
Die anhaltenden Regenfälle bringen vor allem kleinere Abwasserreinigungsanlagen (ARA) an ihre Grenzen, ja darüber hinaus: «Die Böden sind gesättigt. Bei jedem weiteren Regenguss gelangt der grösste Teil des abfliessenden ...
Christian Horisberger
Die anhaltenden Regenfälle bringen vor allem kleinere Abwasserreinigungsanlagen (ARA) an ihre Grenzen, ja darüber hinaus: «Die Böden sind gesättigt. Bei jedem weiteren Regenguss gelangt der grösste Teil des abfliessenden Oberflächenwassers direkt in die schon stark gefüllte Kanalisation. Das führt zu vermehrten Mischwasserentlastungen direkt in die Bäche», sagt Pascal Hubmann, Leiter des Amts für Industrielle Betriebe (AIB), das für die Baselbieter Kläranlagen verantwortlich ist. Aber: Dank der bis zu hundertfachen Verdünnung stelle das ungereinigte Abwasser kein akutes Problem für die Umwelt dar. Die Tierwelt in den Bächen sei aufgrund der aktuellen Wasserqualität nicht gefährdet. Grössere Gefahr gehe für Fische und Krebse von der hohen Fliessgeschwindigkeit der Gewässer und vom Geschiebe im Bachbett aus.
Dennoch steht das AIB seit Beginn der Regenperiode in Alarmbereitschaft. Hubmanns Teams mussten in den vergangenen Tagen bereits mehrere Sondereinsätze auch während der Nacht leisten und vorübergehend die Anlagen in Therwil und Niederdorf ausser Betrieb nehmen. Für jene in Therwil sei lehmiger Schlamm, sogenannter Löss, der von landwirtschaftlichen Flächen in die ARA geschwemmt wird, das Problem, erklärt Hubmann. Gelangten grosse Mengen davon in die Anlage, könne dieser Schlamm den Reinigungsprozess längerfristig beeinträchtigen, da er die wichtigen Mikroorganismen verdränge.
Aufgrund entsprechender Erfahrungen bei ausgiebigem Regen bereits vor drei Jahren habe das AIB in Absprache mit dem Amt für Umweltschutz und Energie entschieden, die ARA Therwil vom späten Mittwochabend bis gestern Vormittag für einige Stunden abzustellen. «Das Abschalten einer Kläranlage ist grundsätzlich ein ‹No-Go›», sagt Hubmann, «aber wichtiger ist, dass sie geschützt wird, um bei trockenem Wetter wieder tadellos zu funktionieren.»
Verstopfung durch Kies
Mit einer neuen Problematik ist das AIB hingegen in Niederdorf konfrontiert: Kies habe den Zulaufkanal zur Kläranlage wiederholt verstopft, zuletzt in der Nacht auf gestern. Möglicherweise könnte dies mit Bauarbeiten im Einzugsgebiet zu tun haben. Die Niederdörfer Anlage sei jeweils ausser Betrieb genommen worden, bis das angeschwemmte Material mit einem Pumpwagen abgesaugt war.
Im Grossen und Ganzen habe man die Situation im Griff, hält Hubmann fest. Der Überlauf bei Starkregen sei systembedingt nicht zu vermeiden und für die Umwelt aufgrund der Verdünnung der Abwässer unproblematisch. Die Kläranlagen auf solche Extremsituationen auszurichten, wäre daher unverhältnismässig. Als Basis für die Dimensionierung neuer oder erweiterter Kläranlagen diene mindestens die doppelte Abwassermenge bezogen auf die Bevölkerung im Einzugsgebiet der Anlage plus Wachstumsreserve (ohne Niederschläge). Ist die Kapazität bei Regen erschöpft, fliesst das zusätzliche Wasser in ein Mischwasserbecken, das nach den Regenfällen nach und nach in die Anlage eingeleitet wird. Erst bei ausgiebigeren Niederschlägen muss Abwasser ungereinigt in die Bäche abgeleitet werden.
Um die ARAs zu entlasten, streben die Gemeinden ein Trennsystem für Schmutz- und Sauberwasser auf der Grundlage des «Generellen Entwässerungsplans» an. «Das ist ein Mehrgenerationenprojekt», sagt Hubmann. Bis das Trennsystem vollständig umgesetzt ist, dürften er und seine Mitarbeiter bei solchen Starkregenereignissen also weitere Sonderschichten einlegen müssen.