Die wechselvolle Geschichte des Bad Oberdorf
11.06.2021 Baselbiet, Oberdorf, GesundheitThomas Schweizer
Am Anfang war das römische Heilbad, am Schluss kam es 1951, also vor 70 Jahren, zum Konkurs der Mineralquelle Jura AG. Nichts Weltbewegendes im Waldenburgertal, aber die «langen Linien der Geschichte» lassen sich auch beim Bad Oberdorf ...
Thomas Schweizer
Am Anfang war das römische Heilbad, am Schluss kam es 1951, also vor 70 Jahren, zum Konkurs der Mineralquelle Jura AG. Nichts Weltbewegendes im Waldenburgertal, aber die «langen Linien der Geschichte» lassen sich auch beim Bad Oberdorf verfolgen. Seither fliesst das mineralienreiche Wasser aus der Quelle «im Wald» (so in amtlichen Berichten) in einer Brunnstube vom Überlauf wieder in die Vordere Frenke. Nur die Wörter «Jura» und «Jurasan» sind immer noch gross an einer Hauswand sichtbar und erinnern an das Mineralwasser. Ein altes Wirtshausschild zeugt von einstigen Badefreuden und der Geselligkeit in der Gaststube. Ein Brunnen, datiert 1792, begleitet mit seinem Plätschern die Wellen des in der Nähe vorbeifliessenden Baches. Verblasster Glanz einer erfolgreicheren Vergangenheit. Dabei könnte die gesamte Anlage zum Bijou werden.
Der Gebäudekomplex versprüht heute den Charme der Nostalgie. Die Chrischona Waldenburgertal hat 1992 das nach dem Brand von 1953 neu gebaute Haus mit modernem Glasvorbau übernommen. Auch das angrenzende Gebäude mit Baujahr 1748 gehört ihr, ein ehemaliges Bauernhaus mit Stall, später Wirtshaus bis 1992. Jetzt enthält es Wohnungen. Das Haus mit dem früheren Bad ist ebenfalls in privatem Besitz. Im massiven Gebäude Waldenburg zu befinden sich kleinere Betriebe.
Der Brand von 1953 und das Ende des Wirtshauses 1992 sind die letzten markanten Ereignisse in der wechselvollen Geschichte des Bad Oberdorf mit seiner Gebäudegruppe aus dem 17. Jahrhundert. Viele Ereignisse seit dem römischen Heilbad liegen im Dunkeln, denn die historischen Quellen sind dürftig. Ein Hauch der Vergänglichkeit liegt heute über der gesamten Anlage. Versuchen wir trotzdem, den Spuren des Ortes nachzuspüren und Vergangenes ans Licht zu bringen.
Römisches Heilbad
Das Bad Oberdorf liegt am Fuss des Edlisbergs, am südlichen Ende der Gemeinde und an der Grenze zu Waldenburg. Seine Geschichte widerspiegelt auch ein bisschen die Unrast und den steten, wenn auch gemächlichen Wandel unserer Region Basel im Laufe der Jahrtausende. In römischen Zeiten soll laut dem früheren Waldenburger Rektor und Lokalhistoriker Heinrich Weber ein Heilbad bestanden haben. Jedenfalls stiess man 1943 bei Grabungsarbeiten auf zwei Badebecken aus gleichmässig zugehauenen Kalksteinen und mit Ziegelmörtel verputzt. Heute ist davon nichts mehr zu sehen.
Im Spätmittelalter diente die gleiche Edlisbergquelle für den Bau eines neuen Bades. Urkundlich wird es 1446 erstmals als «badhuss under dem stettlin» erwähnt. Die Badefreudigkeit als willkommene Abwechslung zum Jammertal des damaligen Alltags liess eine Reihe weiterer Bäder auf der Basler Landschaft entstehen. Neben dem gesundheitlichen Nutzen herrschte «ein recht fröhliches und ausgelassenes Badeleben» (Heinrich Weber), die Freizügigkeiten und Frivolitäten lassen einen lockeren Umgang unter den Gästen vermuten. Wer wollte es ihnen bei den unbarmherzig harten Lebensbedingungen jener Zeiten auch verargen. Einige dieser Bäder sind verschwunden, andere existieren heute noch. Stellvertretend für sie alle seien für das Oberbaselbiet das Bad Ramsach, das Bad Eptingen oder das Bad Bubendorf genannt. Bemerkenswert: Auf dem Ramsach wird weiterhin und nach den neusten gesundheitlichen Erkenntnissen gebadet. Nur hat heute der Wellnessbereich die früheren lockeren Badesitten ersetzt. Hingegen führen Hotel- und Gastronomiebetriebe in Eptingen und Bubendorf das «Bad» nur noch im Namen.
Gänzlich verschwunden hingegen sind Bad und dazugehörendes Wirtshaus in Oberdorf. Bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts blieb die Gaststube aber ein beliebter Treffpunkt. Die Badmatte nebenan war bis 1953 der Fussballplatz des Dorfes. Darum besuchten auch die jungen «Schütteler» des FC Oberdorf dieses Wirtshaus gerne. Besonders an den Wochenenden herrschte oft eine ausgelassene Stimmung.
Was das Bad betrifft, so müssen wir annehmen, dass es seit 1446 nur mit Unterbrüchen betrieben wurde. Den Hinweis gibt uns ein Schreiben von1596. Darin begehrte nämlich ein Henrych Gygly von Oberdorf, die Badetätigkeit wieder zu eröffnen. Wie das geschah, wissen wir nicht, denn bis weit im 17. Jahrhundert liegen uns keine weiteren schriftlichen Zeugnisse vor. Sicher entstanden im Laufe der Zeit auch neue Gebäulichkeiten.
Ein Vogt macht sich bemerkbar
Erst eine Urkunde aus dem Jahr 1664 rückt das Bad wieder ins Bewusstsein der Geschichte. Dabei spielte der Basler Landvogt auf dem Schloss Waldenburg, der über die Untertanen im Tal herrschte, eine wichtige Rolle. Der Obervogt Rudolph Göbelin stellte an den Rat in Basel das Begehren, anstelle der mit Bottichen ausgerüsteten Laubhütte ein Stüblein mit zwei oder drei Kammern zu errichten. Das Holz würde er von der Waldweide holen. Er bekam die Erlaubnis mit der Auflage, nur Badegäste zu bewirten. Neun Jahre später verkaufte er das Bad an seinen Schwiegersohn Hans Thommen, der bald ein neues Badhaus bauen sollte. Im Jahr 1686 wurde ihm das Tavernenwirtsrecht verliehen.
Später wechselte das Wirtshaus samt Bad, Scheune, Stall und Garten den Besitzer. Im Jahr 1734 erwarb schliesslich der Basler Martin Wenk das Anwesen von Thommens Sohn Heinrich. Dass dazwischen wieder ein grosser Umbau stattgefunden hatte, lässt sich 1750 auf einer Skizze von Emanuel Büchel und einem Kupferstich von David Herrliberger erkennen. Zu sehen ist eine geschlossene Häuserzeile mit schlichter Barockfassade. In der Folge wurde dann der Gebäudekomplex nach Süden erweitert.
Vom Bad zur Bierbrauerei
Wenn wir Heinrich Weber glauben dürfen, hatte das Bad durchaus erfolgreiche Jahre gehabt: «In der Glanzzeit soll jeweils eine lange Reihe von Kutschen vor dem Bad gestanden und auf die Rückkehr der Gäste gewartet haben.» Doch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vermochte das Bad nicht mehr mit dem Zeitgeist Schritt zu halten. Die Aufbruchstimmung, die sich überall in Europa bemerkbar machte, brachte dieser Stätte des Wohlbefindens und der Geselligkeit merkwürdigerweise keinen Erfolg. Anderswo hingegen begannen die Geschäfte zu florieren. Durch den massiven Eisenbahnbau setzte eine grössere Reisetätigkeit ein, und der aufkommende Tourismus ermöglichte vielen Bergregionen grosse Investitionen im Hotelbau. Bei uns versuchte sich Langenbruck mit Erfolg als Luftkurort und «Sommerfrische», später auch als Wintersportort. Das Kurhaus auf der Passhöhe des Oberen Hauensteins bleibt als stolzer Bau aus jener Epoche in Erinnerung.
Aber auch die Bäder in unserer Region Basel profitierten vom allgemeinen Aufschwung. Nicht hingegen das Oberdörfer Bad, während Liestal zum Beispiel mit seinen drei Bädern Schauenburg, Bienenberg und Falken sogar in einem Berliner Reiseführer als Kurort Erwähnung fand. Oberdorf und die andern Talgemeinden wurden in jener Zeit generell von der Abwanderung betroffen, denn «viele junge Frauen und Männer suchten Arbeit in der Stadt». So steht es in der Heimatkunde von Oberdorf und lapidar heisst es weiter: «Das Dorf hat den Anschluss an die neue Zeit verpasst.»
Das mag uns heute erstaunen, denn in jene Epoche fällt auch 1880 die erste Fahrt der mit Dampf betriebenen Waldenburgerbahn, und die Uhrenindustrie in Waldenburg konnte sich endgültig behaupten.
Als Attraktion oder gar als seltenes Freizeitvergnügen konnte sich Oberdorf mit seinem Bad also nicht mehr behaupten. Es wurde aufgegeben, das Quellwasser aber für ein überraschendes neues Geschäft weiter genutzt: Im Jahr 1872 erschien nämlich im «Landschäftler» ein Inserat, in dem der Bierbrauer Jakob Brunner, Sohn, die «Bierbrauerei zum Bad Oberdorf» ankündigte und ab 1. Januar 1873 «fortwährend gutes Bier verabfolgt wird». Der Erfolg stellte sich vorerst ein, denn 1881 genehmigte die Gemeindeversammlung den Plan für eine Bierbrauerei mit dem Bau eines Zuflusskanals. Neuer Besitzer war nun Josef Westermeier, der im Bad ein «Bayerisches Brauhaus» zu betreiben begann. Allerdings schien die bierselige Herrlichkeit nicht lange gedauert zu haben, denn bereits ab 1908 begann eine neue Epoche. Auch hier sei die Heimatkunde von Oberdorf zitiert: «Wie Westermeier seine Brauerei betrieb und wann er sie eingestellt hat, wissen wir nicht.»
Vom Bier zum Mineralwasser
Die nachfolgende Firma blieb dem Wasser treu, diesmal als «Waldenburger Schlossquell, Born der Gesundheit und des Wohlbefindens». Johann Hubler-Grob brachte ab 1908 das Mineralwasser unter der Marke «Jura» in den Handel. 20 Jahre später wurde H. Wöhrle-Haberthür der neue Inhaber. Die «Mineralquelle Jura» ging zur industriellen Produktion über und bot neben dem reinen Mineralwasser auch verschiedene Süsswasser an: Jurasan als Jura-Tafelwasser mit reinem Fruchtsirup und Zitronengeschmack. Die Palette wurde mit Jura-Apfel, Jura-Himbeer und Jura-Orange erweitert. Bald war die Zeit auch reif für ein Jura-Kola, eine «köstliche Erfrischung», die in einem Prospekt als wahres gesundheitliches Wundermittel angepriesen wurde.
Da das mineralienreiche Wasser aus den gleichen Jurahöhen wie das «Eptinger» kam, wollte auch die Jura AG ihr Produkt als «Medizinal- und Tafelwasser» verkaufen, stiess aber bald auf Widerstand. In einem Brief von 1937 schreibt das Lebensmittelinspektorat Baselland: «Der Nachweis einer bestimmten Heilwirkung ist bis jetzt nicht erbracht.»
Knallharte Konkurrenz
Den Beweis konnte auch Dr. iur. Alfred Kellerhals, der Mitte der Dreissigerjahre die Firma übernahm, nie erbringen. Zudem beobachtete die Konkurrenz die Entwicklung dieses neuen Mineralwassers genau, denn der Verdrängungskampf auf dem Getränkemarkt war knallhart. Bemängelt wurden die Etiketten und Prospekte, die falsche Angaben enthielten und damit nicht den bestehenden Vorschriften entsprachen. Das Urteil des Kantonalen Laboratoriums war 1941 zurückhaltend, aber doch klar formuliert: «Das Apfelkonzentrat von Jura-Apfel entspricht nicht ganz der Etikettenangabe.»
Kam hinzu, dass Kellerhals von einem Basler Lieferanten hereingelegt wurde, sodass das Lebensmittelinspektorat ein Strafverfahren gegen diese Firma einleiten musste. Auch der Basler Kantonschemiker schaltete sich ein und 1940 sogar das Eidgenössische Gesundheitsamt. Jetzt war es der neue Geschäftsleiter, der spätere Landrat Fritz Burg, der für einen gespritzten Rot- und Weisswein ein Gesuch stellte. Ein abenteuerliches Unterfangen. Damit kam die Firma bei den Behörden und beim Verband Schweizerischer Mineralquellen immer mehr in Verruf. Der Absatz ging während und nach dem Zweiten Weltkrieg kontinuierlich zurück. Das Aus, der Konkurs 1951, war unvermeidlich. Die Firma wurde von der Konkurrenz aus Eptingen aufgekauft, aber nicht weitergeführt.
Ist eine Auffrischung möglich?
Die Geschichte des Bad Oberdorf endete somit wenig ruhmreich. Die Frage bleibt, ob heute eine Aufwertung oder Neu-Belebung möglich wäre. Zugegeben, die enge Lage zwischen dem schroff abfallenden Edlisberg und der Vorderen Frenke, die parallel zur Hauptstrasse dahinfliesst, ist nicht ideal. Dennoch: Das Bad Oberdorf mit seiner geschlossenen Häuserzeile könnte ein kleines Bijou sein. Architektonisch aufgefrischt ergäben sich Möglichkeiten für weitere Kleinbetriebe und Wohnungen sowie eventuell für einen Kulturraum. Da wäre sogar ein bescheidener Gastrobetrieb, eine Buvette oder ein Ausschank wieder möglich. Es ist eine Vision, die mir nicht so abwegig erscheint.
Thomas Schweizer, Füllinsdorf, Bürger von Oberdorf, war früher Mittellehrer am Basler Gymnasium Bäumlihof, und ist heute als Autor, Lokalhistoriker und Kulturvermittler tätig. Ende Januar ist sein neues Buch «Jurasan» im Verlag Mis Buech bei Schaub Medien, Sissach, erschienen.
Quellen: Heinrich Weber, «Bad Oberdorf, ein römisches Heilbad»; Baselbieter Heimatbuch, Band 3, 1945. Oberdorf im Baselbieter Jura, Heimatkunde, Hauptredaktor Roland Gerber; Verlag des Kantons Basel-Landschaft, 1993. Akten der Lebensmittelkontrolle Baselland betreffend Mineralquelle «Jura AG». Hydrogeologische Karte der Schweiz, Zürich, 1972, Blatt Bözberg-Beromünster