Langsamer durchs ganze Dorf
26.05.2021 Baselbiet, Oltingen, Verkehr, Bezirk SissachGemeinde lässt Tempo 30 flächendeckend überprüfen
Oltigen könnte die erste Baselbieter Gemeinde werden, in der flächendeckend Tempo 30 gilt – sowohl auf Kantons- als auch auf Gemeindestrassen. Eine Prüfung ist in Gang, Beschlüsse sind noch keine gefasst ...
Gemeinde lässt Tempo 30 flächendeckend überprüfen
Oltigen könnte die erste Baselbieter Gemeinde werden, in der flächendeckend Tempo 30 gilt – sowohl auf Kantons- als auch auf Gemeindestrassen. Eine Prüfung ist in Gang, Beschlüsse sind noch keine gefasst worden.
Christian Horisberger
Vor Auffahrt hat die Baselbieter Regierung bekannt gegeben, dass sie bei Tempo 30 auf Kantonsstrassen über die Bücher wolle. In Oltingen staunte man nicht schlecht: Neben fünf Gemeinden im Leimental solle das Dorf am Fusse der Schafmatt bereits im kommenden Juli ein Gutachten des Kantons zur möglichen Temporeduktion erhalten. Dabei liegt dazu weder ein Beschluss des Oltinger Gemeinderats noch der Gemeindeversammlung vor. Auch gilt auf den wenigen Quartierstrassen noch nicht Tempo 30. Dies sind die Bedingungen, die der Kanton für die Herabsetzung der Höchstgeschwindigkeit auf seinen Strassen stellt.
Auch den Gemeindepräsidenten Stefan Eschbach hat die Erwähnung in der Medienmitteilung des Kantons überrascht. Er sei daraufhin von mehreren Einwohnerinnen und Einwohnern gefragt worden, «was der Gemeinderat denn da entschieden hat», sagt er zur «Volksstimme».
Entschieden hat der Gemeinderat aber noch gar nichts. Hingegen hat er Abklärungen zu einer Temporeduktion auf den Kantonsstrassen in die Wege geleitet, nachdem Mitte 2019 eine Einwohnerin an der Gemeindeversammlung eine entsprechende Bitte geäussert hatte. Anders als üblich befasste sich der Gemeinderat zunächst nicht mit den Gemeinde-, sondern mit den Kantonsstrassen, da diese den grössten Teil des Strassennetzes im Siedlungsgebiet von Oltingen ausmachen. Das Gutachten eines Ingenieurbüros im Auftrag des Gemeinderats ergab, dass an den Ortseingängen in Richtung Wenslingen/Zeglingen, Anwil und Schafmatt im Durchschnitt mit 42 bis 44 Stundenkilometern gefahren wird. Schneller als 50 waren dort lediglich 2 bis 3 Prozent der Verkehrsteilnehmer unterwegs. Im Dorfzentrum wurden keine Messungen vorgenommen. «Dort wird sowieso nicht schnell gefahren, dazu sind die Strassen zu verwinkelt», kommentiert Eschbach.
Antrag zur Prüfung
Mit dem Bericht des Ingenieurs wandte sich Oltingen vor fast genau einem Jahr an den Kanton. Darin hielt die Gemeinde unter anderem fest, dass wichtige Einrichtungen wie Schule, Gemeindeverwaltung, Kirche oder Dorfladen direkt an den Kantonsstrassen lägen und sich der Langsamverkehr – auch Kinder auf dem Weg zur Schule – im Wesentlichen auf den Kantonsstrassen bewege. Jedoch gebe es im Siedlungsgebiet keine Trottoirs und aufgrund der engen Platzverhältnisse könnten auch kaum welche installiert werden. «Eine Verbesserung der Verkehrssicherheit kann daher nur über eine Angleichung der Geschwindigkeit der Verkehrsteilnehmer erreicht werden», heisst es im Prüfungsantrag zuhanden des Baselbieter Tiefbauamts. Die Gemeinde ziehe daher die Einführung einer flächendeckenden Tempo-30-Zone in Erwägung.
Auf die Formulierung «in Erwägung», legen Gemeindepräsident Stefan Eschbach und Strassenchef und Andreas Burri im Gespräch mit der «Volksstimme» grossen Wert. «Wir stehen noch am Anfang», hält der Präsident fest, man sei noch daran, Fakten zu sammeln. Tatsache ist, dass im abgelegenen Dorf insbesondere an Wochenenden ein reger Durchgangsverkehr herrscht. Die Schafmatt oberhalb von Oltingen ist für Erholung Suchende ein beliebtes Ausflugsziel und die kurvenreiche Strasse über die Schafmatt ins Aargauische bei Töffahrern längst kein Geheimtipp mehr. Eschbach und Burri wollen insbesondere seit Corona eine Verkehrszunahme festgestellt haben.
Unfallrisiko und Lärmpegel senken
Beide Gemeinderäte können sich an keinen Verkehrsunfall im Dorf erinnern, bei dem Menschen zu Schaden gekommen sind. Notstand besteht diesbezüglich also nicht. Doch liegt für sie auf der Hand: Eine Temporeduktion fürs ganze Dorf würde das Unfallrisiko reduzieren – den Verkehrslärm ebenso. Der Zeitverlust für die Verkehrsteilnehmer sei verkraftbar, sagt Eschbach: «Es handelt sich ja nur um einige Hundert Meter Strecke.»
Was die Gemeinderäte nicht wollen, sind bauliche Massnahmen wie Schwellen oder versetzte Parkplätze im Strassenbereich, um das Tempo zu drosseln. Solche Schikanen würde die Verkehrsteilnehmenden – insbesondere Bauern mit grossen Fahrzeugen – unnötig behindern: «Die müssen Platz haben.»
Seit der Gemeinderat sich des Themas angenommen hat, informiere er an den Gemeindeversammlungen laufend über den aktuellen Stand, sagt Eschbach. Er habe aufgrund zahlreicher Äusserungen von Einwohnern den Eindruck gewonnen, dass viele Oltingerinnen und Oltinger Tempo 30 begrüssen würden. Doch gebe es auch Stimmen dagegen: Manche wollten keine Einschränkungen und pochten auf Eigenverantwortung, andere befürchteten Schwellen und künstliche Strassenverengungen oder fänden, das sei aus dem Fenster geworfenes Geld – auch wenn die Massnahmen auf der Kantonsstrasse zulasten des Kantons gehen.
Das Preisschild ist auch für Eschbach und Burri von Belang, denn grosse finanzielle Sprünge könne sich ihr Dorf nicht leisten. Der Gemeinderat werde nun das Für und das Wider gegeneinander abwägen, um voraussichtlich im Dezember mit einem Antrag vor die Gemeindeversammlung zu treten. Allenfalls werde man vorgängig zu einer Infoveranstaltung einladen.