Vor der Haustür ist es wilder, als man denkt
08.01.2021 Baselbiet, Kultur, NaturMit Ila Geigenfeind vom Museum.BL auf den Spuren der Natur
Ila Geigenfeind, die Ausstellungskuratorin für Naturwissenschaften des Museum.BL, spricht über das Konzept der Ausstellung «Wildes Baselbiet» und darüber, ob es in dieser Wildnis in ein paar Millionen Jahren noch Menschen geben ...
Mit Ila Geigenfeind vom Museum.BL auf den Spuren der Natur
Ila Geigenfeind, die Ausstellungskuratorin für Naturwissenschaften des Museum.BL, spricht über das Konzept der Ausstellung «Wildes Baselbiet» und darüber, ob es in dieser Wildnis in ein paar Millionen Jahren noch Menschen geben wird.
Daniel Zwygart
Frau Geigenfeind, das vergangene Jahr war für viele Personen coronabedingt schwierig. Welche Erlebnisse haben Sie im vergangenen Jahr trotzdem – oder gerade deswegen beglückt?
Ila Geigenfeind: Ja, erstens bin ich sehr dankbar und froh, dass meine Familie und Freunde bis jetzt gesund geblieben sind. Dass es mir wirtschaftlich dank meines Berufs nicht schlecht geht, ist ein Privileg. Viele andere hatten leider nicht so viel Glück. Mich dünkt, ich schätze die kleinen Dinge wieder mehr. Dies soll keine Phrase sein, aber wenn man in den Homeoffice-Pausen vom Balkon aus Greifvögel beobachten oder im nahen Wald Bärlauch sammeln gehen kann, ist dies auch eine Qualität.
Und die Schwierigkeiten?
Meine grösste Herausforderung war die komplette Umstellung meiner Vorlesungen und Praktika an der Uni Basel auf digitalen Unterricht via Zoom beziehungsweise Livestream. Ich habe Nacht- und Wochenendschichten eingeschoben. Dass es geklappt hat und die Studierenden gute Feedbacks gaben, war der schöne Lohn. Ich war stolz auf unser ganzes Team. Ich hoffe trotzdem, dass der Präsenzunterricht dieses Jahr wieder stattfinden kann. Mit jeweils 230 Leuten im grossen Hörsaal eine Vorlesung abzuhalten ist ein erfreulicheres Erlebnis, als stundenlang mit einer Kamera zu sprechen. Die Gesichter und ihre Reaktionen zu sehen ist ein wichtiger Aspekt. Oder die Begeisterung zu erleben, wenn die Studierenden Tiere unter dem Mikroskop beobachten können, das ist einmalig.
Wie sah Ihr Ausbildungsweg aus, was waren Ihre Forschungsschwerpunkte?
In meinem Studium an der Uni Basel haben mich vor allem Wirbeltiere, aber auch Meeresbiologie, Entwicklungsbiologie, Pflanzen und die Erdgeschichte sehr interessiert. Für meine Diplomarbeit sass ich fast ein ganzes Jahr in der Dunkelheit des Vivariums im Zoo Basel und habe die Geheimnisse der nachtaktiven, leuchtenden Laternenfische ergründet. In meiner Doktorarbeit ging es dann um die Biologie und Epidemiologie der Strassentaube in Basel, speziell um ihren Befall mit dem Bakterium Chlamydia psittaci, das beim Menschen die Ornithose (Papageienkrankheit) auslöst. Befallene Tauben zeigen in der Regel keine Symptome. Bei Stress oder Schwäche kann der Erreger jedoch vermehrt ausgeschieden werden.
Und, sah es schlimm aus?
Nein, ganz und gar nicht. Aufgrund verschiedener Massnahmen zur nachhaltigen Reduktion des Taubenbestands seit den Achtzigerjahren, vor allem dank der Reduktion des Futterangebots, waren die kontrollierten Tauben mehrheitlich gesund und schieden den Erreger kaum aus. In anderen Städten mit einer höheren Populationsdichte kann dies dann schon ganz anders aussehen.
Als promovierte Biologin ist man noch nicht Museumskuratorin …
Nein, ich habe aber während des Doktorats gemerkt, dass ich nicht in der Forschung bleiben möchte. Die Vermittlung der Biologiethemen war mir ein wichtigeres Anliegen. So habe ich an der Pädagogischen Hochschule der FHNW das Lehrdiplom für Maturitätsschulen gemacht. Kurz vor meinem Diplom ist die Kuratorenstelle in Liestal ausgeschrieben worden. Da ich schon früher Ausstellungen im Museum.BL betreut hatte, wurde ich gefragt, ob ich mich bewerben würde. So kam ich ins Museum.BL.
Ihre erste eigene Ausstellung im Museum.BL heisst «Wildes Baselbiet. Tieren und Pflanzen auf der Spur». Was ist das Konzept und das Ziel der Ausstellung?
Die Ausstellung wurde im Jahr 2014 eröffnet. Seither wächst und gedeiht sie – sie ist eben wandelbar wie die Natur selber. Zu Beginn meiner 60-Prozent-Anstellung war ich für das Konzept und den Inhalt der Ausstellung zuständig. Es gab vorerst zwei Schwergewichte: Zum einen sollte die wilde Natur vor der Haustüre abgebildet werden. Die Ausstellung soll dazu anregen, das wilde Baselbiet zu erkunden, das uns täglich begegnet. Im beliebten Artenkabinett, einer «Dunkelkammer», können Mutige mit Taschenlampe auf Entdeckungstour gehen. Wenn dann aus dem Nichts plötzlich der Kopf eines Luchses auftaucht, dann lässt dies niemanden kalt. Lebende Tiere wie Eurasische Zwergmäuse oder auch Blattläuse und diverse Kästchen mit Objekten laden ebenfalls zum Entdecken ein.
Welche Rolle spielen die Gemeinden in der Ausstellung?
Der zweite Aspekt sind spezielle Naturphänomene aus Baselbieter Gemeinden. Diese werden auf Tafeln entlang der Wände präsentiert. Eine der ersten Tafeln porträtierte die wehrhaften Ameisen von Ziefen. Mittlerweile sind 27 Tafeln vorhanden. Die Bevölkerung kann jeweils durch Onlinevoting auf unserer Website die drei neuen Tafeln pro Jahr bestimmen.
Wer sind die typischen Besucher dieser Ausstellung?
Dies sind vor allem Familien mit Kindern, aber auch Naturschützerinnen aus den Gemeinden, die ihre Tafeln besuchen kommen (schmunzelt). Dann sind es viele Schulklassen, hauptsächlich aus der Primarschule. Die Ausstellung ist die Grundlage für ein vielfältiges Vermittlungsprogramm mit Arbeitsunterlagen und verschiedenartigsten thematischen und szenischen Führungen. Feedbacks von Schulklassen tragen zur Ergänzung oder Verbesserung unseres Angebots bei. Berührend sind die Momente, wenn ein Primarschüler mit seinen Grosseltern im Schlepptau auftaucht und ihnen mit Begeisterung unbedingt ein bestimmtes Objekt zeigen möchte. Die Führungen können übrigens auch von Privatpersonen gebucht werden.
Sie sind mit der Ausstellung auch digital unterwegs …
Ja, die Ausstellung hat eine Website (www.wildesbaselbiet.ch) und einen Youtube-Kanal. Dort findet man kleine Texte oder Porträts von Tieren oder sogar kleine Filmchen, wo ich auf Entdeckungsreise gehe. Die Bespielung dieser digitalen Ausstellungswelt ist aber sehr zeitaufwendig. Ich habe zum Beispiel noch ganz viel Material, das ich aber im vergangenen Jahr noch nicht aufbereiten konnte.
Wie lange gibt es die Ausstellung noch?
Da ist (noch) kein Ende abzusehen. Gerade haben wir den Ausstellungsteil «Forschungswerkstatt» umgebaut und um die Themen Genetik, genetische Vielfalt und Evolution bereichert. Und die nächsten Gemeindetafeln sind schon angedacht! Es sind Rickenbach, Ettingen und Birsfelden.
Die grossen Naturschutzorganisationen haben 2020 die Biodiversitätsinitiative eingereicht. Der Bundesrat möchte diese mittels eines Gegenvorschlags abschwächen. Er bietet an, dass statt derzeit 13 neu 17 Prozent der Fläche der Schweiz zum Schutz der Biodiversität reserviert werden sollen. Welche Gedanken löst dies bei Ihnen aus?
Ich bin gespannt, wie die Details aussehen werden. Nur: Diese 17 Prozent sind eigentlich schon lange in der Biodiversitätsstrategie festgelegt und sollten 2020 umgesetzt sein. Es darf also nicht alter Wein in neuen Schläuchen serviert werden! In der Schweiz bleibt viel zu tun, vor allem im Bereich der Landwirtschaft. Ich hoffe wirklich, dass man da vorwärtsmacht.
Was bewirken die täglichen Meldungen bezüglich Klimaveränderung und Umweltzerstörung bei Ihnen?
Frust, Ärger, Trauer und ein wenig Ohnmachtsgefühl kommen hoch. Manchmal macht sich auch eine gewisse Resignation breit. Wie kann es sein, dass wir sehenden Auges in die Katastrophe rennen für einen kurzfristigen Profit? Manchmal bin ich nicht sicher, ob wir die Kurve noch kriegen und den Willen aufbringen, das Ruder herumzureissen. Aber aufgeben kommt trotzdem nicht infrage. Wir können uns das nicht leisten und dürfen keine weitere Zeit verlieren. Eine Prise schwarzer Humor hilft manchmal auch.
Inwiefern helfen Ihnen die Erkenntnisse der Evolution, um damit umzugehen?
Schon oft in den vergangenen Millionen Jahren der Erdgeschichte wurden bei starken Umweltveränderungen bis zu 90 Prozent der Arten ausgelöscht. Aber das Leben ist unglaublich hartnäckig. Das Aussterben und das Entstehen neuer Arten gehören in der Evolution zusammen. Dass aber der Mensch direkt oder indirekt eine solche Katastrophe verursacht, macht mich traurig. Letztlich ist die Biodiversität unsere eigene Lebensgrundlage. Wir sind gerade dabei, diese zu zerstören. Aber die Natur wird sich auf alle Fälle weiterentwickeln, ob mit oder ohne Menschen. Vielleicht kann ja der Oktopus – ein Lieblingstier von mir – in einigen Millionen Jahren fliegen.
Was gibt Ihnen Zuversicht, dass der Mensch dann noch da ist?
Von Zuversicht zu sprechen, wäre übertrieben. Aber ich freue mich über die vielen engagierten Menschen, vor allem auch über die vielen Jugendlichen in der Klimabewegung. Ich hoffe, dass diese Welle noch lange nicht abebbt. Zudem sind wir fähig, clevere und innovative technische Lösungen zu finden. Aber es braucht genügend Druck – und Geld – seitens der Politik und der Gesellschaft. Nur ein konsequent nachhaltiger Weg wird unser eigenes Überleben ermöglichen.
Welche Ziele und Wünsche haben Sie fürs 2021?
Ich möchte an allen meinen Wirkungsstätten weiterhin Biologie und Naturwissenschaften unter die Leute bringen. Dies insbesondere auch wieder in der «Naturforschenden Gesellschaft Baselland», deren Vortragsund Exkursionsanlässe im 2020 fast vollständig abgesagt werden mussten. Ich hoffe auch, dass wir aus der Pandemie lernen und nicht einfach in die alten Muster zurückfallen. Die Pandemie-Erfahrungen sind für alle Beteiligten neu. Es gilt, die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen. Privat wünsche ich mir, dass ich in meiner Freizeit wieder an Konzerte meiner Lieblingsbands (Heavy Metal) gehen, meine Freunde treffen und den orientalischen Bauchtanz in der Gruppe wieder ausüben kann.
Zur Person
zwy. Ila Geigenfeind (Jahrgang 1978) hat Biologie an der Uni Basel studiert. Sie promovierte im Jahr 2011 über die Biologie und Epidemiologie der Basler Stadttauben. Nach dem Abschluss ihres Lehrdiploms für Maturitätsschulen wurde sie im Jahr 2012 Ausstellungskuratorin für Naturwissenschaften am Museum.BL in Liestal. Daneben ist sie Dozentin für Biologie an der Uni Basel und unterrichtet Studierende der Humanmedizin. Ila Geigenfeind ist zudem Präsidentin der «Naturforschenden Gesellschaft Baselland» und wohnt in Basel.