«Gleiches wird ungleich behandelt»

Gemäss Bundesratsbeschluss sind Proben und Aufführungen von Laienchören trotz Corona-Schutzkonzept vorläufig verboten. Profis jedoch können weiterhin singen. Für Barbara Hahn, Präsidentin des Chorverbands beider Basel, ein Widerspruch. Sie sorgt sich um die Zukunft der Chöre.

Sander van Riemsdijk

Frau Hahn, was halten Sie vom bundesrätlichen Entscheid, dass Proben und Aufführungen von Laienchören bis auf Weiteres verboten sind?
Barbara Hahn: Es ist frustrierend, dass trotz Schutzkonzepten, die bei einigen Chören auch von den Gemeinden überprüft und gutgeheissen wurden, pauschal allen Chören untersagt wird, zu üben und aufzutreten. Bezüglich der Aerosole-Ausstossung, die vom Bundesrat als Begründung für das Chorverbot mitgeteilt wurde, sehe ich keine Unterschiede zwischen singenden Laien und Profis. Der Ausstoss von Aerosolen ist bei beiden Gruppen genau gleich. Hier wird Gleiches ungleich behandelt.

Was hat der Bundesrat zu dieser aus Ihrer Sicht ungleichen Entscheidung bewogen?
Anfang Oktober war in den Medien zu lesen, dass der Kanton Neuenburg 28 Corona-Infektionen in der Chor-Szene entdeckt hatte. Möglicherweise sind dies keine Einzelfälle. Ich kann nur vermuten, dass sich die betroffenen Chöre nicht wirklich streng an ihre Schutzkonzepte gehalten und eben solche Vorkommnisse zu dieser drastischen Entscheidung geführt haben.

Was hätten Sie sich gewünscht?
Wir hätten uns ein differenzierteres Vorgehen seitens des Bundesrats gewünscht und eine Vorgabe, wie die Chöre sich dann verhalten sollten. Vorzugsweise auch einen lösungsorientierten Weg mit einer gezielten finanziellen Unterstützung für den Einsatz von Luftreinigungsgeräten oder Belüftungsinstallationen, und unter anderem Hilfe bei der Bereitstellung genügend grosser Probenräume.

Was für einschneidende Folgen hat diese Entscheidung und was befürchten Sie?
Ein Laienchor lebt von der Gemeinschaft und von der Kameradschaft, die gerade in der Pandemie gepflegt werde sollte. Diese für alle so wichtigen sozialen Kontakte fehlen jetzt. Es ist durchaus denkbar, dass insbesondere die älteren Sängerinnen und Sänger sich ans Fehlen der Proben gewöhnen, einen anderen Freizeitausgleich suchen und dann dem Chor den Rücken kehren. Dies gilt es zu verhindern. Es stellt sich zudem die Frage, wie die Chöre untereinander in Kontakt bleiben. Ich habe Informationen bekommen, dass der Austausch unter einigen Chören zum Glück weiterhin Bestand hat.

Was raten Sie den Chören in dieser Zeit, um das Singen nicht zu vernachlässigen und ein Abspringen von Mitgliedern zu verhindern?
Es gibt Möglichkeiten, das Singen über Videochat-Programme mit bis zu 50 Personen weiterhin zu üben. Der Chorleiter gibt am Klavier oder beim Singen vor, was geübt werden soll. Jeder kann dann für sich zu Hause mit stummgeschaltetem Mikrofon mitsingen. Ich weise mit Nachdruck auf die sozialen und gesundheitsfördernden Aspekte des Singens hin. Wir haben einen Aufruf an sämtliche Chöre gestartet, um den Kontakt trotz Stillstand bei den Proben mit der nötigen Distanz aufrechtzuerhalten. Wir haben ja gelernt zueinander zu stehen. Wir sollten uns bei jedem Einzelnen gelegentlich nach dem Wohlbefinden erkundigen. Dies hilft sicher, die Kameradschaft zu pflegen und Abwanderungsgedanken rechtzeitig zu verhindern.

Stellen Sie bei den Mitgliedern fest, dass sich die Einstellung zum Singen in jüngster Zeit verändert hat?
Im Moment kann ich dies nicht feststellen. Es gibt jedoch Chöre, die sich zusammengeschlossen haben, da Mitglieder aus Vorsicht, auch als die erste Welle im Sommer vorüber war, nicht mehr in die Proben kamen.

Wie bewerten Sie die Zukunft der Chöre?
Auf längere Sicht sehe ich keine Auswirkungen. Singen ist ja ein Grundbedürfnis des Menschen. Ich glaube nicht, dass durch die Pandemie das Singen einen anderen Stellenwert bekommt. Im Gegenteil. Nach der Pandemie werden sich viele sagen, dass es toll ist, dass es wieder losgehen kann. Die Angebote in den Chören sind nach wie vor sehr attraktiv.

Wie steht es durch die Pandemie um die finanzielle Zukunft der Laienchöre?
Es muss kein Chor aus finanziellen Gründen aufhören. Die Chöre bekommen durch die vom Bund und den Kantonen zugesicherten finanziellen Handreichungen für Kulturvereine im Laienbereich im Rahmen einer Ausfallentschädigung unter anderem eine Kurzarbeitszeitentschädigung für ihre Chorleitungen sowie Kompensation für Ausfälle von Engagements und Konzerten, welche die Haupteinnahmequellen eines Chors bilden.

Wie nutzen Sie als Verband den momentanen Stillstand auf Laienebene?
Wir sind insbesondere auf politischer Ebene tätig. Es muss für die Laienchöre eine Lösung her, denn es kann nicht sein, dass Chöre generell einfach nicht mehr singen dürfen. Hier denken wir an die Bereitstellung von mobilen Luftreinigungsgeräten, die unter den regionalen Chören zirkulieren. Wir wollen die Chöre ermuntern, untereinander in Kontakt zu treten, um gemeinsam einen grösseren Probenraum zu suchen, damit mit Abstand gesungen werden kann. In diesem Zusammenhang wünsche ich mir vonseiten der Gemeinden und der Kantone eine bessere Kontrolle, ob die Schutzbestimmungen eingehalten werden.

Was erhoffen Sie sich, damit ein Ausweg aus der jetzigen Situation gefunden werden könnte?
Ich hoffe auf die Gesprächsbereitschaft der Entscheidungsträger und deren Beraterinnen und Berater mit Chorverbänden aller Art. Dies mit dem Ziel, einen Weg zu finden, wie wir uns bald wieder zum gemeinsamen Singen treffen und persönlich in unseren Chören begegnen können, ohne uns zu gefährden.

Zur Person

svr. Barbara Hahn ist 53 Jahre alt und von Beruf Chorleiterin. Sie ist in Pratteln wohnhaft und leitet momentan sechs Chöre. Seit 2004 ist sie Mitglied des Chorverbands beider Basel und steht diesem seit zwei Jahren als Präsidentin vor.

AUSGEFRAGT | BARBARA HAHN, PRÄSIDENTIN CHORVERBAND BEIDER BASEL

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