«Wir können die Last nicht stemmen»
12.11.2020 Bezirk Waldenburg, Finanzen, Oberdorf, GemeindenPflege, Sozialhilfe, Schulen, Corona: der Gemeinde geht das Geld aus
Oberdorfs Finanzen sind aus dem Lot. Die im vergangenen Jahr beschlossene Steuererhöhung auf 65 Prozent erweist sich als Tropfen auf den heissen Stein und die Coronakrise sorgt für empfindliche Einbussen beim ...
Pflege, Sozialhilfe, Schulen, Corona: der Gemeinde geht das Geld aus
Oberdorfs Finanzen sind aus dem Lot. Die im vergangenen Jahr beschlossene Steuererhöhung auf 65 Prozent erweist sich als Tropfen auf den heissen Stein und die Coronakrise sorgt für empfindliche Einbussen beim Finanzausgleich. Es droht die Überschuldung.
Sebastian Schanzer
Der Gemeinderat von Oberdorf schlägt Alarm: Das Dorf sei nicht in der Lage, seine Ausgaben und Investitionen aus eigener Kraft zu stemmen. Per Ende 2022 sei man gemäss aktueller Planung überschuldet. «In der Privatwirtschaft müsste die Bilanz deponiert werden», so die drastischen Worte in einem Schreiben der Gemeinde an ihre Einwohner.
Dabei wurde der Oberdörfer Steuerfuss nach dem Wegzug des grossen Medizinaltechnik-Unternehmens Synthes im Jahr 2012 gleich zweimal erhöht – um insgesamt 7 Prozentpunkte auf 65 Prozent der Staatssteuer. Dennoch sieht das Budget, das am 14. Dezember der Gemeindeversammlung vorgelegt wird, einen Aufwandüberschuss von 1,2 Millionen Franken vor. Bei einem Selbstfianzierungsgrad von -71 Prozent muss Oberdorf nun weitere Schulden von mindestens 2 Millionen Franken machen, nur, um Investitionen zu tätigen, welche die Gemeinde wegen mangelnden Eigenkapitals seit Jahren vor sich herschiebt. Zahlreiche Strassensanierungen stehen an.
Aufgaben neu verteilen
Wie hat sich die Gemeinde in diese missliche Lage manövriert? Gemeindepräsident Piero Grumelli sieht die Gründe hauptsächlich in den Ausgaben der Gemeinde, die sich aus Bestimmungen des Bundes und des Kantons ergeben – Ausgaben, auf welche die Gemeinde also nur sehr beschränkt Einfluss nehmen könne. Namentlich die Schule, Pflegefinanzierung und die Kosten der Sozialhilfe belasteten das Budget derzeit stark. «Würden die Ausgaben für die Sozialhilfe im kantonalen Durchschnitt liegen, würden ungefähr 0,8 Millionen Franken weniger Aufwand entstehen, was rund 13 Steuerfussprozenten entspricht», schreibt die Gemeinde. Immerhin: Um diese Kosten zu senken, führt Oberdorf ab kommendem Jahr eine eigene Sozialhilfebehörde und einen eigenen Sozialdienst ein. Bisher löste man diese Aufgabe im regionalen Verbund, zusammen mit anderen Gemeinden. «Wir müssen eigenständig schauen, dass Sozialhilfebezüger schneller in die Arbeitswelt zurückfinden», so Grumelli.
Angst vor der Negativspirale
Damit sei es aber nicht getan. «Längerfristig muss politische Arbeit geleistet werden, damit die Aufgabenteilung zwischen Bund, Kantonen und Gemeinden überdacht wird. Wir tragen unverhältnismässig viele Lasten und können das nun nicht mehr stemmen». Oberdorf nehme mit seiner Infrastruktur eine Zentrumsfunktion im Waldenburgertal ein, was unter anderem zum Zulauf von Pflege- und Sozialfällen führe. Mit dem Anliegen, die Aufgabenteilung neu zu überdenken, steht die Gemeinde nicht alleine da. Ende Oktober teilte auch die Stadt Liestal mit, dass sie wegen der hohen Zentrumslasten im kommenden Jahr mit einem Defizit von 5,7 Millionen Franken rechne. Entsprechend nehme die Verschuldung der Stadt stark zu. Nun soll eine Aufgabenüberprüfung verwaltungsintern Verbesserungspotential aufspüren und dabei auch «Unzulänglichkeiten» in der Aufgabenteilung zwischen Bund, Kanton und Gemeinden identifizieren.
Dass gerade jetzt mehrere Gemeinden Probleme mit dem lieben Geld melden, ist indes kein Zufall. Das Wirtschaftsforschungsinstitut Bak Basel geht davon aus, dass für das aktuelle Corona-Jahr mit massiv tieferen Steuereinnahmen bei den juristischen wie auch natürlichen Personen zu rechnen ist. Entsprechend müssen die Empfängergemeinden 2021 auch mit deutlich tieferen Einnahmen aus dem horizontalen Finanzausgleich rechnen. Der Ressourcenausgleich muss gemäss Hochrechnungen des Statistischen Amts um voraussichtlich 200 Franken pro Einwohner gekürzt werden. Für die Gemeinde Oberdorf bedeutet dies Mindereinnahmen von einer halben Million Franken, in Liestal rechnet man mit 2,9 Millionen Franken weniger.
Im Notfall schreitet Regierung ein
«Die Corona-Krise hat unsere schwierige Lage noch einmal verschärft», sagt Oberdorfs Gemeindepräsident Grumelli. Spätestens 2022 drohe der Bilanzfehlbetrag, das heisst, das defizitäre Budget kann nicht mehr mit dem Eigenkapital der Gemeinde gedeckt werden. Was der Gemeinde dann droht, bringt jeden Präsidenten ins Schwitzen: «Einen Bilanzfehlbetrag müssten wir innert fünf Jahren abbauen und per sofort eine Schwarze Null schreiben», so Grumelli. «Das hiesse: das Personal aufs Minimum herunterfahren, Schulklassen aufs Maximum auffüllen und die Steuern auf 80 Prozent erhöhen.» Dass die letzten guten Steuerzahler dann abwanderten, habe sich bereits in anderen Gemeinden gezeigt. «In diese Negativspirale dürfen wir nicht geraten», so Grumelli.
Gelingt es der Gemeinde indes nicht, den Bilanzfehlbetrag abzutragen, drohen ihr sogar aufsichtsrechtliche Massnahmen des Regierungsrats, wie Michael Bertschi, Leiter der Abteilung Gemeindefinanzen beim Statistischen Amt Baselland, sagt. Dies geschehe aber erst im äussersten Notfall, wovon Oberdorf noch weit entfernt sei. Die Regierung könne beispielsweise eine Erhöhung des Steuerfusses verordnen oder Positionen aus dem Budget streichen.