Brief an einen Medizinerfreund

Lieber …

Es tut gut, sich gegenseitig auszutauschen. Du fragst mich diesmal, was ich von dem überraschend raschen Ausstieg aus dem Lockdown halte und ob uns eine zweite Welle bevorstehe.

Ich bin ja kein Spezialist, aber dieses Virus hat wirklich seine Tücken. Es ist nicht vergleichbar mit dem, was wir bisher erlebt haben. Die Leute, die daran erkranken und eine starke Form durchmachen, sind beeindruckend in Not. Und dies sind nicht nur die offiziell Gefährdeten und das von dir geschilderte Vertrauen auf die eigenen Abwehrkräfte klappt nicht immer. Man kann mit einer Sterblichkeit von etwa 0,5 bis1 Prozent rechnen. Es ist sehr ansteckend und bei schwerer Erkrankung sind die Schäden an den verschiedenen Organen lang dauernd und vielleicht sogar bleibend.

Der Sinn des Lockdowns war ja, die Infektionsrate zu reduzieren, um die Spitäler für die Behandlung frei zu halten, und dies ist gelungen. Das Virus dürfte dadurch nicht besonders beeindruckt sein. Einfach in den Alltag zurückzukehren, ist heikel. Vielleicht laufen wir später mit neuen Massnahmen hinterher und die Angst steigt wieder. Diese war ja auch der Grund für unsere Disziplin. Die Einschränkungen waren massiv und natürlich nicht tragbar für einen Grossteil der Bevölkerung.

Zwei Dinge fallen mir auf: Die Hoffnung auf die Impfung, dies obwohl die Impfdisziplin selbst bei bestehenden, bewährten Impfungen in der Wohlstandsgesellschaft sinkt. Wer lässt sich dann impfen mit einer Substanz, die in Windeseile entwickelt wurde?

Dazu kommen Ängste wegen eines «Trackings», das in den Köpfen mit Überwachung und Verlust der persönlichen Freiheit in Verbindung gebracht wird. Für mich ist sie eine sinnvolle Übergangslösung, denn nur so erkennen wir rechtzeitig, wo und wie sich neue Fälle der Infektion entwickeln und wer sich in Selbstquarantäne begeben sollte. Nur so kann das Gesundheitssystem adäquat reagieren und sich auf die anfallenden Fälle einstellen. Wir geben sonst viel freiwilliger unsere Daten preis mit den Ortungsdiensten, Daten in Facebook, Instagram und so weiter. In diesem Sinn ist die Virustracking-App viel harmloser.

Natürlich ist die Durchseuchung zu erwarten und kaum zu verhindern, aber sie sollte kontrolliert erfolgen, denn sonst hätten wir ja die ganze Übung auch sein lassen können. Ich stimme dir zu, die Geschichte ist im Moment sehr komplex, es ist nicht einmal bekannt, wer und wie stark jemand immun wird, wenn der Viruskontakt da war. Aber vielleicht lernen wir, damit zu leben und uns vernünftig einzustellen auf eine Gegenwart, die anders ist als zuvor. Auch wir versuchen eine neue Realität zu etablieren, aber mit Respekt und einem gewissen Grad an Zurückhaltung. Ich nehme das Wort Demut nicht gerne in den Mund, aber vielleicht ist es das trotzdem.

Interessant wird die Verteilung der gesprochenen Gelder und wer davon profitiert. Das geschieht jetzt, und in einem Jahr kann nicht mehr darüber entschieden werden. Dann ist die Party vorbei, und wer zu kurz gekommen ist, wird leer ausgehen. Beim Geld hört der Spass bekanntlich auf.

Dr. Max Handschin, Hausarzt bis Ende 2018, zuerst Gelterkinden, später Zunzgen

Fit & Gesund

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