Ein neuer Glanz für den Bezirkshauptort
26.03.2020 Bezirk Waldenburg, Waldenburg
Elmar Gächter
Man kann Waldenburg negative Attribute zuordnen. Sanierungsbedürftige Häuser in der Altstadt, mehr Rentner als junge Familien, brachliegende Industriegebäude,kaum Ladengeschäfte, immer weniger Beizen und so weiter. Aber eines kann man nicht: ...
Elmar Gächter
Man kann Waldenburg negative Attribute zuordnen. Sanierungsbedürftige Häuser in der Altstadt, mehr Rentner als junge Familien, brachliegende Industriegebäude,kaum Ladengeschäfte, immer weniger Beizen und so weiter. Aber eines kann man nicht: Die Einwohnerinnen und Einwohner als Leute bezeichnen, die angesichts dieser Situation Gewehr bei Fuss stehen.
Wer erinnert sich nicht mit Freude an das grandiose Strassenfest nach dem gelungenen neuen Outfit der «Stedtli»-Durchfahrt oder an das heute noch nachhallende «Dunnerwätter» des vergangenen Jahres, das sowohl Protagonisten als auch die zahlreichen Gäste begeistert hat. Wer schwärmt nicht vom jährlichen Weihnachtsmarkt, von seinem Pendant im Frühling, auch wenn dieser heuer wohl dem vermaledeiten Coronavirus zum Opfer fällt. Ein Lob auch auf all die Idealistinnen und Idealisten, die ihr Kellertheater regelmässig mit Leidenschaft bespielen lassen. Und «last but not least» ist der Gemeinderat zusammen mit der Bevölkerung daran, das Image von Waldenburg mit geeigneten Massnahmen aufzupolieren.
Kunst auf Plätzen und in Gassen
Und jetzt dies: 75 Kunstwerke von 36 Künstlerinnen und Künstlern, verteilt auf das ganze «Stedtli», lassen die Besuchenden des Bezirkshauptorts ab 6. Juni in eine Welt eintauchen, die weitherum ihresgleichen sucht. Bekannte und (noch) wenig bekannte Kunstschaffende stellen ihre Werke während fünf Monaten aus.
«Wir alle drei hatten die spontane Idee, eine solche Ausstellung durchzuführen. Und sie ist schnell zu einem Projekt mit grosser Zuversicht und Begeisterung gewachsen», sagt Sibylla
Dreiszigacker, die zusammen mit Pt Whitfield und Renato Wellenzohn die Organisation an die Hand genommen hat. «Ville des Arts» nennt sich das Projekt, das Waldenburg in ein eigentliches Kulturzentrum, zum kulturellen Mittelpunkt des Oberbaselbiets überführen soll. Objekte erobern die verschiedenen Nischen und Ecken der Altstadt für die Kunst, Plätze werden mit Grossplastiken bestückt und Installationen hängen in den engen Gassen.
Die Ausstellung soll Wanderer und weniger Lauffreudige gleichermassen anlocken und sie erquicken und bereichern. «Wir wollen mit diesem Ereignis dem ‹Stedtli› seinen alten Glanz wiedergeben», nennt Pt Whitfield nicht unbescheiden eines der Hauptziele des Vorhabens.
Aufgeschlossene Bevölkerung
Seit rund einem Jahr ist das Dreier-Kuratorium daran, möglichst viele Kunstschaffende zum Mitmachen zu motivieren. Das Echo kann sich sehen lassen. Unter den 36 Künstlerinnen und Künstlern stechen bekannte Namen wie Erica Pedretti, «Marck» oder Pavel Schmidt hervor. Aber auch Kunstschaffende aus der Region wie Marianne Zaugg, Irma Bucher oder Rudolf Tschudin haben ihre Teilnahme zugesagt. Alle ausstellenden Künstler bieten ihre Werke zum Kauf an. «Sie leben vom Kunstverkauf, und diese Gelegenheit ist gerade in Zeiten wie den jetzigen umso wichtiger, weil ringsum Vernissagen abgesagt werden», so Whitfield. Alle Kunstwerke seien im Übrigen bereits bestimmt und hätten ihren Platz.
Doch warum wurde Waldenburg zum Ausstellungsort? Waldenburg biete Charme, die Bevölkerung sei Fremden gegenüber aufgeschlossen sowie sehr interessiert und neugierig auf alles Neue. «Für die Künstler und ihre Kunst ist dies ein idealer Nährboden», sind sich alle drei Initianten einig. Sie heben dabei auch die sehr gute Aufnahme bei den Gemeindebehörden hervor, die neben Manpower Räumlichkeiten sowie weiteren öffentlichem Raum und ihre Brunnen für das Platzieren der Kunstwerke zur Verfügung stellten. Um das Projekt finanzieren zu können, greifen die Organisatoren vorerst in die eigene Tasche. Neben einem Anteil aus den Verkäufen zählen sie vor allem auf Sponsorengelder und weitere freiwillige Unterstützungen.
Start der Ausstellung ist am 6. Juni. Aus heutiger sich ist offen, ob die Vernissage wird stattfinden können. «Die Ausstellung wird jedoch auf jeden Fall durchgeführt», sagt Renato Wellenzohn. Sofern Corona dies zulässt, wird er bis Oktober jeweils jeden letzten Sonntag im Monat Führungen anbieten. Für die Organisatoren ist allerdings heute schon klar, dass sie die Ausstellung im Zweijahresrhythmus durchführen werden, die nächste demnach 2022. «Nur Kontinuität hat einen nachhaltigen Erfolg, und steter Tropfen höhlt den Stein», so ihr klarer Tenor. Den Machern ist es ein Bedürfnis, Bewohnern, Grundbesitzern, Gemeinderat und Kirchgemeinde zu danken, dass sie die Biennale in Waldenburg ermöglichen.
Das Kuratorium
emg. Renato Wellenzohn (links) wohnt seit 2016 in Waldenburg. Von bürgerlichem Beruf ist er Schreiner und Schaufensterdekorateur und hat die Kunstgewerbeschule besucht. Er bezeichnet sich selber als «geborenen Künstler», als Dadaist, wie er betont. Das «Stedtli» sei seine Familie und daraus schöpfe er auch die Motivation, sich aktiv für die Ausstellung einzusetzen. Er wolle mithelfen, Waldenburg seinen alten Glanz wiederzugeben. «Kunst beflügelt», ist er überzeugt und deshalb führe die Biennale dazu, diesen Prozess positiv zu beeinflussen.
Sibylla Dreiszigacker ist Textildesignerin und Künstlerin und wohnt seit 2017 im «Stedtli». Sie befasst sich im beruflichen Alltag mit Malerei, Zeichnungen, Installationen und Fotografie. «Ich möchte eine Plattform für Künstlerinnen und Künstler schaffen und den Verkauf von Kunstobjekten fördern», nennt sie ihre Beweggründe fürs Mitmachen. Sie erhofft sich mit der Ausstellung einen messbaren Aufschwung für Waldenburg.
«Seit ich vor 16 Jahren hierhergezogen bin, war es schon immer mein Wunsch, in Waldenburg eine Ausstellung zu machen», betont Kunstmaler Pt Whitfield. Für den gelernten Theatermaler und Hochbauzeichner soll «Ville des Arts» der Bevölkerung wieder Stolz und Kraft geben, sich aus der Vernachlässigung durch den Kanton, die sie erfahren habe, zu lösen. Er verbindet mit dem Anlass die Hoffnung, dass sich ein Kulturzentrum im Oberbaselbiet entwickelt, das noch mehr Künstlerinnen und Künstler anziehe und sie motiviere, nach Waldenburg zu ziehen.
NACHGEFRAGT
emg. Die «Volksstimme» hat bei Marcel Blättler, Andrea Kaufmann und Ernst Schürch nachgefragt, was Ausstellung aus ihrer Sicht für Waldenburg bedeutet und was sie sich von dem Projekt erhoffen.
Marcel Blättler, Wirt Restaurant Leue
Das Projekt überzeugt mich und ich habe ein sehr gutes Gefühl. Dies vor allem, weil Waldenburg örtlich gesehen als Ganzes einbezogen wird. Der Charme unseres «Stedtlis» wird das Seine dazu beitragen. Wenn ich in meinem Lokal mit Gästen über «Ville des Arts» spreche, spüre ich eine richtige Euphorie. Ich bin überzeugt, dass die Bevölkerung voll dahintersteht.
Aus meiner Sicht geht es um die ganze Ausstrahlung von Waldenburg. Alles, was das Leben intensiviert, fördert die Attraktivität des «Stedtlis». Und je attraktiver ein Ort ist, umso lieber geht man dorthin. Dies kann beim Wandern, beim Essen oder einfach beim Verweilen sein.Ich erhoffe mir einen nachhaltigen Effekt, der werbemässig in die Zukunft strahlt.
Andrea Kaufmann, Gemeindepräsidentin
Ich finde es grossartig, was unsere einheimischen Künstler in so kurzer Zeit auf die Beine gestellt haben. Es ist ein sehr positives Zeichen, dass sich Menschen für ihren Wohnort engagieren und gemeinsam etwas bewirken. Für Waldenburg ist «Ville des Arts» etwas ganz Aussergewöhnliches, werden wir doch zum kulturellen Mittelpunkt des Baselbiets, wenn nicht sogar der Schweiz. Der Gemeinderat steht voll hinter dem Projekt und hat seine Unterstützung zugesichert.
Der Anlass wird Waldenburg bereichern und beleben und viele Besucherinnen und Besucher aus nah und fern anlocken. Ich hoffe, dass sich auch unsere Einwohnenden an der Ausstellung freuen und stolz sind auf ihre «Ville des Arts». Die grösste Hoffnung ist natürlich, dass die Corona-Pandemie bis zum Sommer Geschichte sein wird und sich möglichst viele Gäste in unseren Restaurants verwöhnen lassen können.
Hanspeter Schürch, Pfarrer
Mein allergrösster Respekt gehört Menschen, die Dinge anreissen und Aussergewöhnliches auf die Beine stellen. Das Projekt bringt Menschen zusammen und zu uns. Man geht raus – falls das geht. Auch Einheimische entdecken neue Ecken, Nischen und Sichtweisen auf ihr «Stedtli».
Es gibt bezüglich Gemeinwesen keinen Trick, Liebgewordenes zu konservieren oder Wünschenswertes zu erzwingen. Der «Impact» einer solchen Installation ist für mich gar nicht das Wichtigste. Dort, wo Menschen mit Herzblut und Überzeugung etwas tun, geschieht immer etwas, immer. Meist schwer in Zahlen zu fassen und im Resultat gar nicht immer so wie beabsichtigt, aber die Gemengelage kommt in Bewegung. So wie der Flügelschlag eines Schmetterlings, der zuletzt das Wetter macht.