Kleider machen Clooney

Wie freute ich mich auf das Wochenende. Das befreundete Ehepaar wohnt am Thunersee mit direktem Blick auf den Niesen und mit einer halben Kopfdrehung nach links auf Eiger, Mönch und den Berg, der neben dem Mönch am sichersten aufgehoben ist. Essen, jassen, spassen lautete das Programm. Und tüchtig schlafen.

Wir treffen uns gleich in Thun beim Bücherladen. Die beiden Frauen kennen diesen wegen des Chefs bestens. Der soll so charmant sein, dass er ihnen glatt das Telefonbuch als Krimi andrehen könnte. Das würde mir nie passieren, sieht man mal vom letzten Kauf eines sündhaft teuren Weins ab, nur weil die Verkäuferin am anderen Ende der Leitung eine interessante Stimme besass und mich nebenbei als «absoluten Kenner» bezeichnete.

Wir essen auf dem Waisenhausplatz ein Häppchen, danach wünschen die beiden Frauen, noch an den Verkaufsläden und Marktständen vorbeizuziehen. Wir Männer willigen ein, ich unter der Bedingung, einen Bogen um die Bücherhandlung zu machen. Denn wir hätten, da wir zu früh eingetroffen sind, dort bereits hineingeschaut. Ich habe sogar einen Krimi (einen richtigen und, am Anfang, richtig guten) gekauft. Zweite Bedingung: Pro Schaufenster mit Schuhen maximal fünf Minuten.

Wir ziehen los. Schon früh entdecke ich ein Kleidergeschäft für Männer und werde plötzlich selber zum Bittsteller. «Da möchte ich kurz ins Schaufenster blicken», sage ich und ernte ungläubige Blicke, die nach einer offiziellen Erklärung lechzen. Jeden Sommer ärgere ich mich darüber, dass im Kasten braune, graue, schwarze und sogar ein violetter Kittel hängen, aber kein blauer.

«Veston heisst das, nicht Kittel», wird wenig später eine Verkäuferin korrigieren. Denn im Fenster finden wir nichts. Meine beiden Begleiterinnen schleppen mich in den Laden und stecken mich gleich in einen ersten, dann in einen zweiten blauen Kittel. Mein Geschlechtsgenosse setzt sein breitestes Grinsen auf, und schon steht die Verkäuferin dabei. «Beide stehen Ihnen hervorragend», sagt sie mit einer eher tiefen, durchaus gewinnenden Stimme, «und hier hätte ich noch einen passenden Veston.»

Bevor ich eine Antwort stammeln, geschweige denn ein dezidiertes «Stopp» zwischen die Kleiderständer schmettern kann, hat sie ihn mir bereits übergestülpt, ihren Kopf in Schräglage versetzt und kommentiert: «Sportlich, irgendwie.» Gut, das sagt jeder Verkäufer bei jedem Kittel, nein Veston. Doch sie lässt den tödlichen Satz folgen: «Darin sehen Sie aus wie George Clooney.» Die Begleiterinnen nicken ein Ja, der Dritte im Bunde grinst so breit, dass er später nur seitwärts durch die Tür passt.

Nun schleppen die drei Frauen alles an: blaue Hosen, blaues Gilet, Hemden, sogar einen Hut und eine Kappe, beides im Blauton. Clooney probiert und kauft. Und bezahlt. Alles, auch die beiden blauen Vestons, hängen seither jungfräulich (jetzt fällt mir der Name des Bergs wieder ein) im Kasten. Und wenn Clooney im Fernsehen wieder für Kapseln wirbt, stellt sich für mich die Frage: Bin ich sein Double oder bloss ein Duubel?

Jürg Gohl, Autor «Volksstimme»

HERZBLUT

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