Serie Baselland – Burgenland, Teil 7 | Das Erdbeben von 1356 – Basels Apokalypse

Nach mindestens einem Vorbeben am Abend des 18. Oktober 1356 erschütterte um etwa 22 Uhr ein Beben der Stärke 6,6 die Stadt Basel. Es handelt sich um das grösste in Mitteleuropa dokumentierte Erdbeben und es gab vielen Burgen im Baselland den Todesstoss.

Yvonne Zollinger

Der 18. Oktober 1356 war ein Donnerstag. Innerhalb der engen Stadtmauern von Basel drängten sich die Häuser aus Stein und Holz dicht an dicht. Die Dächer waren mit Schindeln und Stroh gedeckt. Geschäftiges Treiben in den Gassen. Die meisten Bewohner waren arm, ihre Häuser entlang des Rheins und der Birsig von schlechter Bauqualität. Das sollte sich später an diesem Tag als fatal erweisen.

Am Abend, gegen 18 Uhr, erschütterten heftige Erdbebenstösse die Stadt. Der Schock war so gross, dass viele aus ihren Häusern rannten und sogar vor die Stadttore flüchteten. Viele versammelten sich auf dem Petersplatz. Kleinere Stösse folgten und hinderten die Menschen daran in ihre Häuser zurückzukehren, das berichten Zeitzeugen. Dann, um etwa 22 Uhr, begann das Hauptbeben. Heute weiss man, dass es etwa die Stärke 6,6 hatte.

«Ein einigermassen umfassendes Bild der Katastrophe kann anhand von ungefähr zwanzig Dokumenten, die kurz nach dem Erdbeben erstellt wurden, gezeichnet werden», sagt Donat Fäh vom Schweizerischen Erdbebendienst (SED). Allerdings seien die Berichte mit den Jahren ausgeschmückt worden. Sowohl Zerstörungsgrad wie auch Opferzahl nahmen in späteren Berichten zu.

Der Historiker Werner Meyer hat sich eingehend mit dem Ereignis befasst und kommt in seinen Untersuchungen auf eine erstaunlich geringe Opferzahl. Schriftlich festgehalten sind lediglich drei Tote. Gesamthaft rechnet Meyer mit nicht mehr als einigen Dutzend. Als Indiz führt er den Umstand an, dass es in den Tagen nach dem Beben keine Häufung von Totenmessen gab. Die Menschen wagten sich nach dem ersten Beben nicht wieder in ihre Häuser zurück. Sie harrten vor den Toren der Stadt aus, was ihnen das Leben gerettet haben dürfte.

Was sich aus den echten Augenzeugenberichten und späteren Nacherzählungen herausschält, ist eine Nacht, die für die Bevölkerung Basels apokalyptische Ausmasse haben musste.

Nach dem Beben das Feuer
Fassaden ganzer Häuserfluchten, hohe Bauteile der Stadtbefestigung, des Münsters und anderer Kirchen stürzten ein. Offene Herdstellen und Öfen lösten Brände aus, die sich schnell ausbreiteten und mehrere Tage nicht gelöscht werden konnten. Die ganze Nacht hindurch gab es weitere Erdstösse. Selbst Monate nach dem Ereignis kam die Erde nicht zur Ruhe.

Aus dem dünn besiedelten Baselland sind keine Quellen erhalten, die belegen, wie es der einfachen Bevölkerung erging. In der grössten Intensitätszone, in die das Baselbiet weitgehend fiel, waren es vor allem Kirchen und Burgen, also die aufragenden Steinbauten, die Schaden nahmen. «Die einfachen Behausungen der bäuerlichen Untertanenbevölkerung sind wohl mehrheitlich unzerstört geblieben, handelte es sich bei den Wohnstätten in den Dörfern und Einzelhöfen doch noch weitgehend um kleine Bauten aus Holz, Lehm und Fachwerk, denen ein Erdbeben nicht viel anhaben konnte», schreibt Meyer.

Die Burgen scheinen sehr unterschiedlich mitgenommen worden zu sein: Ein paar Anlagen wurden vollkommen zerstört und blieben Ruinen, andere erlitten schwere Schäden, konnten aber wiederhergestellt werden, und viele Burgen nahmen offenbar keinen nennenswerten Schaden, weshalb sie in der Burgenliste der 1356 zerfallenen Festungen nicht aufgeführt werden.

Das Gebiet des Oberrheins gehörte im Mittelalter zu den burgenreichsten Landschaften Europas. Im 30-Kilometer-Zerstörungsradius um Basel sollen 330 Burgen gestanden haben. Die ominöse Burgenliste, die nach dem Beben entstand, wird von Historikern und Archäologen als nur bedingt vertrauenswürdig betrachtet. Aus verschiedenen Quellen zusammengetragen schwankt die Zahl der betroffenen Burgen zwischen 34 und 80. Es stehen aber auch Burgen auf der Liste, die nachweislich keine Schäden davon getragen haben. Wie gross diese Schäden waren lässt sich nur noch in einzelnen Fällen bestimmen. Die Burg Waldeck in Leymen (F) zum Beispiel wurde nachweislich zerstört. An der Burg Angenstein in Duggingen, der Homburg bei Wittnau und der bernischen Grasburg in Wahlern haben Archäologen Reparaturen kleineren Ausmasses nachgewiesen. Es sind vor allem Bautätigkeiten aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts, die die Archäologen auf die Fährte von Erdbebenschäden führen.

Die Burgen fallen
Schon vor dem Beben hatte in der Region ein eigentliches «Burgensterben» begonnen. Laut Meyer hat das Erdbeben demnach einen bereits laufenden Prozess bloss beschleunigt, aber keinesfalls ausgelöst. Viele der Burgen, die nach dem Beben nicht oder nur provisorisch wiederhergestellt wurden, wären in den folgenden Jahrzehnten sowieso aufgegeben worden. Je nach Untergrund richtete das Beben unterschiedlich grosse Schäden an. «Aufgrund von Bauuntersuchungen der jüngeren Zeit steht fest, dass auf vielen Burgen, die für 1356 als zerstört gemeldet wurden, sehr viel Bausubstanz stehen geblieben ist», schreibt Meyer.

Wie der Adel, der die Schirmherrschaft über die Pfarrkirchen innehatte, die Katastrophe bewältigte, ist nicht schriftlich festgehalten. Historiker nehmen an, dass viele Familien für den Wiederaufbau Güter verkaufen oder Geld aufnehmen mussten. Eine allgemeine wirtschaftliche Zerrüttung des burgsässigen Adels in der Basler Region scheint es jedoch nicht gegeben zu habe.

Auch die Stadt Basel erholte sich erstaunlich schnell. Schon kurz nach dem Beben begann der Wiederaufbau. Der drohende Winter beschleunigte die Bemühungen. Zugute kam der Stadt, dass sie sich in einer gesicherten Versorgungslage befand. Die Basler Viehherden weilten zur Zeit des Bebens noch auf den Weiden. Die in Scheunen eingelagerten Ernten blieben weitgehend intakt. Ausserdem befand sich Basel zum Zeitpunkt des Bebens in keinem kriegerischen Konflikt, sondern unterhielt mit der Nachbarschaft vertragliche Bindungen.

Das Erdbeben vom 18. Oktober 1356 hat sich tief ins Gedächtnis der Menschen gegraben. Die Faszination des Ereignisses überdauerte die Jahrhunderte. Bis ins 15., 16., 17. oder sogar 18. Jahrhundert wurden Berichte zum Beben erstellt.

NACHGEFRAGT | PROF. DR. DONAT FÄH, SCHWEIZERISCHER ERDBEBENDIENST

Wenn es in Basel bebt

Prof. Dr. Donat Fäh ist Leiter der Sektion Erdbebengefährdung und Risikobewertung beim Schweizerischen Erdbebendienst an der ETH Zürich.

Herr Fäh, was tut sich zurzeit unter der Erde von Basel?
Donat Fäh: Es gibt ab und zu ein kleines Beben. Bei grossen Schadens erdbeben reden wir immer von einem langen Zeitraum. Was heute ruhig ist, kann morgen aber schon anders sein. Wenn man die paläoseismischen Beobachtungen analysiert, sieht man, dass etwa alle 2500 Jahre ein grösseres Erdbeben in der Region Basel stattfindet.

Was führt zu diesen Beben?
Das ist sehr komplex. Basel liegt am südlichen Ende des Rheingrabens. Dieser vergrössert sich durch langsame Öffnungsbewegungen. Die Lage am unteren Ende dieser Zone ist typisch für grössere Beben. Verwerfungen gibt es aber auch in Baselland.

Wie gut kennt man die Abläufe des Bebens von 1356?
2005 ist eine grosse interdisziplinäre Studie zum Erdbeben gestartet worden. Historikerinnen, Archäologen beider Basel, Bauingenieure und Seismologen waren daran beteiligt. Ziel war es, das ganze Beben zu rekonstruieren. Die Ergebnisse haben bestätigt, dass es sich um das bisher stärkste Erdbeben Mitteleuropas handelte. Das Epizentrum lag etwa 10 Kilometer südlich von Basel. Die Stärke lag bei etwa 6,6.

Welche Anhaltspunkte hatten Sie dafür?
Wir haben die Häuser, die heute noch aus dieser Zeit stehen, untersucht, und versucht ein Schadensbild zu evaluieren.Viele Häuser haben Datierungen von Holz, so konnten wir bestimmen, welcher Teil noch aus der Zeit vor dem Beben stammt und was nach dem Beben erneuert wurde. Dabei kam uns das Wissen der Archäologie zur Bauweise der Häuser sehr zu Hilfe. Untersucht wurden unter anderem auch der Boden, der Aufschluss über die Brände gab.

Welche Konsequenzen zieht Basel aus seiner besonderen Lage?
Viel wurde bereits für die Erdbebensicherheit getan. Wir arbeiten schon länger mit dem Kanton Basel-Stadt zusammen. In den 1990er-Jahren wurden alle wichtigen Gebäude wie zum Beispiel Spitäler, Feuerwehr überprüft. Viele Gebäude hat man danach verstärkt. 2012 fand die Erdbebenübung Seismo 12 unter der Leitung des Bundesamts für Bevölkerungsschutz statt. Es wird aber auch erdbebensicher gebaut. Das Roche Gebäude hat man zum Beispiel so konzipiert, dass es einem Erdbeben wie dem von 1356 standhalten könnte. Das geht weit über die Vorschriften in der Baunorm hinaus, war aber ein ausdrücklicher Wunsch der Roche. Viele private Häuser, vor allem die älteren, hingegen würden einem stärkeren Erdbeben nicht standhalten.

Wie sehen Sie als Seismologe die Zukunft Basels?
Irgendwann in der hoffentlich fernen Zukunft wird es wieder ein Beben geben. Man sollte die Zeit nutzen. Es liegt in der Verantwortung der Kantone und Gemeinden, dass man erdbebensicheres Bauen fördert. Bei Neubauten ist das sehr einfach und günstig.

Die Burgen stürzen

Image Title

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Ja. Ich benötige ein Abo.

Article

Image Title