Wald wehrt sich gegen Trockenheit
12.07.2019 Baselbiet, Sissach, NaturUeli Meier zu den Spätfolgen von «Burglind» und zum Wassermangel
Die jüngsten Erhebungen des Amts für Wald beider Basel zeigen erst das wahre Ausmass der Trockenheit im vergangenen Jahr. Amtsleiter Ueli Meier erklärt, was Wetterlage und klimatische Veränderungen für den Wald ...
Ueli Meier zu den Spätfolgen von «Burglind» und zum Wassermangel
Die jüngsten Erhebungen des Amts für Wald beider Basel zeigen erst das wahre Ausmass der Trockenheit im vergangenen Jahr. Amtsleiter Ueli Meier erklärt, was Wetterlage und klimatische Veränderungen für den Wald bedeuten.
Otto Graf
Herr Meier, warum sind die Streuschäden in den Wäldern rund um Basel, im unteren Laufental sowie in Teilen der Frenkentäler grösser als anderswo?
Ueli Meier: In diesen Gebieten sind die Böden sehr durchlässig. Der Sturm Burglind hat bei vielen Bäumen die Feinwurzeln beschädigt, wodurch die Bäume weniger Wasser aufnehmen konnten. Die Trockenperiode 2018 schwächte die Bäume zusätzlich.
Besteht ein direkter Zusammenhang mit dem Wasserhaushalt des Bodens?
Ja, die Speicherfähigkeit des Bodens, in dem sich die Baumwurzeln befinden, spielt eine grosse Rolle. Sinkt der Grundwasserpegel, können Bäume nicht genug Wasser aufnehmen und sterben ab.
In den Karstgebieten im oberen Kantonsteil versickert das Wasser ja auch relativ schnell. Warum ist die Situation dort weniger prekär?
Die Bäume in diesen Gebieten kommen mit der Trockenheit besser zurecht, weil sie sich der Situation in ihrer Evolution genetisch angepasst haben.
Abgestorben sind vor allem ältere Bäume fast aller Baumarten. Bedeutet dies, dass mit einem Abflachen der «Baumsterberate» zu rechnen ist, wenn der Altbestand weggestorben ist?
Ältere Bäume haben den Kopf, die Krone, weiter oben als junge und sind dem Wind, aber auch der Strahlung stärker ausgesetzt. Es ist ein Naturgesetz, dass jüngere Organismen auf Stresssituationen dynamischer reagieren können.
Inwiefern können sich angestammte Baumarten – Fichte, Tanne, Buche, Eiche, Esche – den sich abzeichnenden klimatischen Veränderungen anpassen?
Falls das genetische Material vorhanden ist und sich aktivieren lässt, könnte die Natur die Pflanzen den klimatischen Veränderungen anpassen. Aber wir wissen noch nicht, in welchem Ausmass das geschehen wird. Und es braucht Zeit. Die Zeit ist der entscheidende Faktor für natürliche genetische Anpassungsprozesse. Ich habe kürzlich in Süditalien vitale Buchen- und Tannenbestände gesehen. Das künstliche Einbringen von Pflanzmaterial aus südlichen Provenienzen würde vorerst jedoch nur zu einem Durchmischen der Bestände mit unklaren Auswirkungen führen. Eine Option ist das aber.
Wie hat sich die Waldgesellschaft in der Schweiz in den Kälte- und Wärmeperioden nach den Eiszeiten verändert?
Vor etwa 7000 Jahren war der Boden mit einem geschlossenen Tannenwald bestockt. Erst die Kelten wurden sesshaft und begannen den Wald mittels Brandrodungen zu bewirtschaften. Die Kelten nutzten die Wälder zusätzlich als Weide für ihre Ziegen, welche die keimenden Tannen wegfrassen. Das war Voraussetzung für den «Siegeszug» der Buche. Die Kelten waren es auch, welche die Eiche stark förderten. Zur Zeit der Römer war es wärmer als heute, was den wärmeliebenden Baumarten, welche die Römer mitbrachten,förderlich war. Der enorme Holzbedarf der Römer brachte die Eiche dann praktisch zum Verschwinden.
Kann man die damaligen Veränderungen mit der heutigen Entwicklung vergleichen?
Heute laufen die Prozesse schneller ab. Immerhin kennen wir die Entwicklung in den vergangenen 20 000 Jahren aufgrund der Pollenvorkommen ziemlich genau. Es ist also kein neues Phänomen, das wir heute erleben, aber die Natur hat weniger Zeit.
Die Föhre, um eine Baumart herauszugreifen, gedeiht auch an extremen Standorten, zum Beispiel an südexponierten Flühen und Felsen, wo es sehr heiss und trocken und wo kaum Humus vorhanden ist. Warum hat die Föhre an wesentlich gemässigteren Standorten jetzt Probleme?
Die Föhre und die Flaumeiche konnten sich über die Jahrtausende diesen Begebenheiten anpassen. Die Flaumeiche wächst auch an «besseren» Standorten, bleibt in der natürlichen Konkurrenz aber auf der Strecke, weil sie von anderen Baumarten überholt wird. In den felsigen Gebieten hingegen hat sie kaum Konkurrenz. Bei den Föhren, die jetzt bei uns Schwierigkeiten haben, dürfte die Schwächung durch «Burglind» eine Rolle spielen. Es wäre auch zu prüfen, ob diese Föhren eine andere Herkunft haben, also gepflanzt worden sind.
Während der Borkenkäfer schon immer zur Fauna in unseren Wäldern gehörte, bedrohen eingeschleppte Insekten und Pilze den Waldbestand zusätzlich. Wie halten Sie die Schäden durch derartige Eindringlinge sowie Neophyten in Grenzen?
Bei den Pilzen als äusserst komplexe Organismen können wir nichts tun. Rechtlich könnte der Verkauf und das Einbringen unerwünschter Pflanzen verboten werden. Das Eliminieren derartiger Pflanzen ist aber sehr kostspielig. Es stellen sich zudem die Fragen, welche Pflanzen Schutz verdienen und was die Natur zum Gleichgewicht im Wald beitragen kann.
Was bedeuten die raschen Veränderungen im Wald für die Forstbetriebe?
Das «Gemächliche» geht verloren. Alle Prozesse laufen schneller ab. Ein Waldentwicklungs- oder ein Betriebsplan mit einem Zeithorizont von fünfzehn Jahren ist schon nach zehn Jahren überholt. Die Bandbreite der Herausforderungen wird ständig grösser: Von der ökonomischen zur ökologischen Bewirtschaftung oder vom reinen Produzenten von Nutz- und Energieholz auch zum Pfleger von Erholungsgebiet, Trinkwasserspeicher und Luftfilter. Hier treffen Welten aufeinander.
Wie könnte der Wald in hundert Jahren aussehen, wenn die klimatische Entwicklung mit häufigeren Hitze- und Trockenphasen so verläuft wie heute prognostiziert?
Die Artenvielfalt wird grösser sein. Denkbar in einem Laubwald sind etwa gewisse Eichen-, Ahorn- und Eschenarten, die Robinie oder der Nussbaum. Einige aktuelle Nebenbaumarten wie die Kirsche, die Elsbeere oder der Speierling werden stärker vertreten sein und im oberen Baselbiet werden wir weiterhin Freude an Buchen,Tannen und wohl auch Fichten haben. Die waldbauliche Zielsetzung wird mehr auf Stabilität als auf «Stammlänge» ausgerichtet sein und die Wälder damit weniger hoch sein als heute.
Werden wir auch in Zukunft einen Wald haben, der zum Verweilen einlädt?
Ja, die Bedeutung des Walds als Erholungsort wird angesichts der Klimaerwärmung zunehmen. Parallel zum Bevölkerungswachstum steigt auch das Verlangen, sich im Wald zu erholen.
Kürzlich wurde eine Studie veröffentlicht, wonach das weltweite Aufforsten dem Kohlendioxid in der Luft riesige Mengen Kohlenstoff entziehen und so den Anteil des Treibhausgases spürbar senken würde. Wie stufen Sie diese Einschätzung ein?
Diese Studie, die ich im Detail noch nicht kenne, ist wohl in einem Büro ausgebrütet worden. Sie ist sehr theoretisch und enthält viele Unbekannte.
Wäre es sinnvoll, die hohen Holzvorräte massiv herunterzufahren und auf Halde zu legen, um neues Zuwachspotenzial zu schaffen?
Eine höhere Holznutzung käme der Natur entgegen, weil die Bestände stabiler würden. Die Technologie des Bauens mit Holz eröffnet tatsächlich neue Möglichkeiten, vermehrt auf Holz als Werkstoff zu setzen. Bau- oder Möbelholz verhindert das Freisetzen von CO2 auf lange Zeit. Das Abbauen der hohen Vorräte schafft Platz für neues Holzwachstum, was sich auf die CO2-Bilanz positiv auswirkt.
Was empfehlen Sie dem Gast, der den Wald besucht?
Wer die Augen offen hält und den gesunden Menschenverstand walten lässt, wird sich auch in Zukunft am Naturpark «Wald» erfreuen.