«Die Zeit für Veränderungen ist reif»

Die Liestaler Seelsorgerin Marie-Theres Beeler hat genug. Sie hat einen Forderungskatalog an den Basler Bischof Felix Gmür mitunterzeichnet, der Gleichwertigkeit und Glaubwürdigkeit in der römisch-katholischen Kirche verlangt.

Tobias Gfeller

«Wir haben es satt!», steht im Titel eines Forderungskatalogs an den Basler Bischof Felix Gmür. Frau Beeler, was haben Sie denn genau satt?
Marie-Therese Beeler: «Satt» ist drastisch ausgedrückt und soll aufrütteln. Man könnte auch sagen: Wir haben genug, wir sind es leid und müde. Aber das wurde schon oft ohne Wirkung gesagt. Es geht uns um die fehlende Glaubwürdigkeit in der römisch-katholischen Kirche, die durch festgefahrene Strukturen verhindert wird. Wir haben es satt, weil es seit Jahrzehnten erfolglose Bemühungen und Aufrufe gibt, sich auch als Kirche dem zu stellen, was Jesus wollte: Frieden statt Gewalt und Machtmissbrauch, Liebe und Gerechtigkeit im umfassenden Sinne und Gleichwertigkeit aller Menschen.

Diese Forderungen stehen, wie Sie sagen, schon länger im Raum. Was hindert die Kirche daran, diese umzusetzen?
Die trägen kirchlichen Strukturen machen es schwer, die Würde und Chancengleichheit aller Menschen, wie sie Jesus gefordert hat, umzusetzen. Die Struktur ist auf Hierarchie aufgebaut und verhindert die Umsetzung von zentralen Botschaften des Christentums in der eigenen Institution. Dagegen, dies zu ändern, gibt es noch immer massiven Widerstand und sozialen Druck innerhalb der Institution. Jesus hat sich gegen willkürliche Macht und unsinnigen Gesetzesgehorsam in seiner religiösen Umwelt aufgelehnt, um dem Göttlichen treu zu bleiben. Wir wollen heute auffordern, sich daran zu erinnern und als Kirche glaubwürdig zu sein.

Sie fordern Gleichwertigkeit und Glaubwürdigkeit. Was heisst das im Detail?
Es geht uns um die Gleichwertigkeit aller Menschen unabhängig von Faktoren, welche die Natur bestimmt hat wie Geschlecht oder sexuelle Orientierung. Es geht darum, niemanden auszuschliessen, der oder die in seiner Lebensgeschichte Brüche erlebt hat. Es geht um die Einladung und Aufforderung an alle, die Welt glaubhaft mitzugestalten. Jesus hat sich mit der religiösen Elite seiner Zeit um die Anerkennung aller Menschen gestritten, die Gott und ein glaubwürdiges Leben suchen.

Inwiefern ist denn die Kirche unglaubwürdig?
Die festgefahrenen Strukturen, die auf Hierarchie, nicht hinterfragten Machtstrukturen und auf der Ungleichbehandlung der Geschlechter aufgebaut sind, passen nicht zu dem, was die Kirche verkünden und vertreten soll. Das beisst sich grundsätzlich und wird in unserer Gesellschaft auch nicht mehr akzeptiert.

Wenn Sie ehrlich sind, müssen Sie sich auch eingestehen, dass der Einfluss des Basler Bischofs im Vatikan doch eher beschränkt ist.
Das ist so. Bischof Felix Gmür müsste im Sinne des Wohls seiner Kirche aber noch viel mehr Einfluss nehmen, in eigenen Gottesdiensten klare Zeichen setzen und auch damit sichtbar machen, dass Gott die Gleichwertigkeit aller Menschen will. Mit einer Bewegung im Rücken, die mit ihm dafür kämpft, dass die Kirche in ihren eigenen Reihen lebt, was sie verkündet, kann er gestärkt einstehen für das, was Jesus heute von ihr erwarten würde. Es wäre auch wichtig, mögliche Mitstreiter auf seiner Ebene zu suchen und zu stärken, um einer klerikalen Obrigkeit, welche die Konservierung der heutigen kirchenrechtlichen Grundlagen fordert, etwas entgegenzusetzen.

Sie arbeiten im Auftrag der als Seelsorgerin im Kantonsspital in Liestal und in der Psychiatrie Baselland. Wie reagierten Menschen auf Sie, als bekannt wurde, dass Sie den Forderungskatalog mitunterzeichnet haben?
In den Institutionen begegne ich den Menschen als Seelsorgerin und nicht als kirchenpolitisch Aktive. Das ist mir wichtig. Mein kirchenpolitisches Engagement lebe ich nicht am Arbeitsplatz aus, und wo es Reaktionen gab, waren diese ausschliesslich positiv. Mir ist klar, dass kritische Stimmen mich kaum auf dem direkten Weg erreichen. Ich begegne auch in meiner Arbeit sehr konservativen Leuten, die sogar das zweite vatikanische Konzil bedauern. Aber die Stimmung bei den Menschen und insbesondere bei den Katholiken, mit denen ich zu tun habe, ist eindeutig: Es braucht Veränderungen in der Kirche, letztlich auch für eine glaubwürdige christliche Botschaft. Ich lerne Menschen kennen, die an ihrer kirchlichen Erziehung leiden, an Abwertungen, die sie durch die Kirche erlebt haben und noch heute erleben. Ich treffe auf Menschen, die sich schämen, dass sie Mitglied der römisch-katholischen Kirche sind. Das darf doch nicht sein! Die Zeit für Veränderungen ist reif. Es ist mehr als fünf vor zwölf, um zu reagieren, damit die Kirche nicht noch mehr an Bedeutung für spirituell Suchende verliert.

Wären solche Veränderungen auch im Kleinen, das heisst auf regionaler Ebene möglich?
Ja, es gibt Entscheide, die wir lokal umsetzen könnten. Vor allem auf der rituellen, symbolischen Ebene könnte vieles verändert werden. Wer wird als Kirche wahrgenommen? So könnten auch in bischöflichen Gottesdiensten Frauen und Männer das Evangelium lesen und am Altar feiern. Es gibt unzählige Beispiele, in denen ein Bekenntnis zu einer notwendigen Veränderung dringend wären. Dazu gehört zum Beispiel die Taufspendung von Frauen, die in anderen Konfessionen als Pfarrerinnen angesprochen werden, ohne kirchenrechtlichen Hürdenlauf. Hier gibt es Männer und auch Frauen, die zum Beispiel Frauen nicht als Priesterinnen sehen wollen. Sie sind faktisch in der Minderheit, aber offiziell im Recht.

Wie vereinbaren Sie persönlich Ihre Haltung als Feministin mit der Arbeit für diese angeblich frauenfeindliche Kirche?
Ich lebe in einem Zwiespalt und werde öfters gefragt: «Wie kannst du denn da arbeiten?» Aber ich bin verbunden mit der römisch-katholischen Kirche, die mich seit Kindheit bei gesellschaftlichem Engagement begleitet hat, die zur Verwurzelung in meinem Gottesglauben beigetragen hat und die mir heute eine Aufgabe gibt, in der ich eine wichtige Arbeit tun kann.

AUSGEFRAGT | MARIE-THERESE BEELER, SEELSORGERIN, LIESTAL

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